Deux

Zwei ältere Frauen kämpfen für ihre Liebe: «Deux», der Spielfilm von Filippo Meneghetti, handelt in einer wenig bekannten Welt: im Leben eines Lesbenpaares um die Siebzig, das von der Zukunft träumt, doch wegen eines Schicksalsschlages sich neu ausrichten muss. Ab 16. August im Kino
Deux

Madeleine und Nina (v. l.), das Liebespaar

Wenn über Lesben oder Schwule gesprochen, geschrieben oder ein Film gedreht wird, geht es meist um junge und lebenslustige Menschen mit schönen Körpern; dass auch ältere Frauen und Männer sich in ihrem Zustand zum gleichen Geschlecht hingezogen fühlen können, wird meist übersehen. Aus diesem Grund ist «Deux», der Debütfilm von Filippo Meneghetti, mit Martine Chevallier als Madeleine/Mado und Barabara Sukowa als Nina, wichtig. Denn er leuchtet blinde Flecken unserer Wahrnehmung aus, beschreibt mit Empathie und Fantasie die nicht alltäglichen Lebensgeschichten zweier Frauen um Siebzig. – Alle drei wurden verdienterweise mehrfach ausgezeichnet.

Nina und Madeleine wohnen seit Jahrzehnten Tür an Tür im obersten Stockwerk eines alten Hauses in Südfrankreich. Alle rundherum glauben, dass sie gewöhnliche Nachbarinnen sind. Sie aber kommen und gehen zwischen den beiden Wohnungen hin und her, teilen Tisch und Bett und leben die Freuden und Sorgen des täglichen Lebens eines Liebespaares. Sie planen, aufs Alter nach Rom umzuziehen, obwohl Madeleine es noch nicht gewagt hat, ihre Kinder darüber zu informieren. Dann geschieht etwas, das ihre Beziehung auf eine harte Probe stellt. Dabei erfährt Madeleines Tochter Anne Stück für Stück die Wahrheit der Beziehung der beiden Frauen. – Im folgenden Interview erzählt der Regisseur, wie er zu diesem Film kam.

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Madeleine, bei ihrer Geburtstagsfeier

Interview mit Filippo Meneghetti zum Film «Deux»


Der Film dreht sich um zwei Frauen in den Siebzigern, die sich lieben, dies aber verheimlichen. Wie sind Sie auf die Idee gekommen, diese Geschichte in einem Film zu erzählen?
Die Idee, das geheime Leben meines Liebespaares und die Unfähigkeit, sich zu offenbaren, wurde mir von verschiedener Seite zugetragen. Lange schon wollte ich darüber einen Film drehen, war aber unsicher, wie ich das angehen soll. Als ich eines Tages bei einem Freund vor der Wohnung klingeln wollte, hörte ich Stimmen aus dem obersten Stockwerk und ging nach oben, um nachzusehen. Die Türen zweier Wohnungen standen offen, und die Stimmen waren die von zwei Frauen, die aus ihren Wohnungen heraus miteinander sprachen. Ich verweilte schweigend und ungesehen ein paar Minuten. Das faszinierte mich. Später erfuhr ich von meiner Freundin, dass die beiden Frauen um die Siebzig und Witwen sind. Sie wehren sich gegen die Einsamkeit, indem sie ihre Türen offen halten und den Flur zu einem Teil ihrer Wohnungen machen. Jetzt sah ich meine Geschichte vor mir. Meine Protagonistinnen würden auf diese Weise zusammenleben und ihre wirkliche Beziehung verbergen, indem sie als gewöhnliche Nachbarinnen wahrgenommen werden. Nun begannen sich Bilder in meinem Kopf zu formen: metaphorische, aber auch einfache und routinierte Arrangements. Das Projekt war geboren. Viel später, als ich schon am Drehbuch arbeitete, hörte ich von einem Paar, das fast genauso wie Nina und Madeleine lebt und ihre Beziehung vor ihren Familien verbergen.

Architektur stand also am Anfang des Films?
Ja, noch bevor wir überhaupt mit dem Schreiben begannen. Die beiden miteinander verbundenen Wohnungen waren der Lebensraum der Protagonistinnen und zugleich ein symbolischer Ort, der ihren Umgang mit der Aussenwelt reflektiert. In Madeleines Wohnung erzählen unzählige Objekt die Geschichte ihrer Familie; Ninas Wohnung dagegen ist leer und mysteriös, wir sehen sie auch erst spät. Der Flur bildet den Dreh- und Angelpunkt zwischen den beiden Wohnungen und den beiden Frauen. Die anfangs meist geöffneten Türen werden immer häufiger geschlossen und verwandeln den durchlässigen Raum in einen begrenzenden. Die Bilder von offenen und geschlossenen Türen wurden zur Metapher für ihre Situation. Sie erlaubte mir, mit filmischen Formen zu spielen. Von Anfang an wollte ich die Liebesgeschichte wie einen Thriller drehen und dann neu interpretieren: ein Auge, das durch ein Guckloch schaut, ein Eindringling in der Nacht.

Wie haben Sie die Charaktere mit Ihren Schauspielerinnen entwickelt?
Barbara Sukowa und Martine Chevallier haben sich schon sehr früh für das Projekt engagiert, sodass wir die Charaktere für sie schreiben konnten. Ich wollte, dass Nina und Madeleine von Schauspielerinnen gespielt werden, die mit ihrem Alter zufrieden und stark sind, das Publikum sie nicht als Opfer wahrnimmt, sondern als Heldinnen, die um ihre Liebe kämpfen. «Deux» erzählt die Geschichte eines Kampfes und einer eigensinnigen wie liebevollen Leidenschaft. Er lässt mich auch Themen einbauen, die mich zudem interessieren: Wie beeinflussen fremde Blicke unser Handeln? Welchen Konflikt erleben wir, wenn wir Zensur erfahren? Die Hindernisse, die den beiden in den Weg gelegt werden, führen Nina und Madeleine manchmal zu extremem Verhalten. Ich wollte nicht, dass sie uns leidtun, ebenso nicht, dass Madeleines Tochter Anne als Unterdrückerin verurteilt wird. Deshalb passte Léa Drucker perfekt in diese Rolle. Sie verleiht der Figur Verletzlichkeit und zwingt das Publikum zu Mitgefühl. Denn sie ist eine liebevolle Tochter, für die ihre Mutter ein Vorbild darstellt, ist jedoch erschüttert, als sie entdeckt, dass sie von ihr belogen worden ist, was die Härte ihrer Reaktion erklärt. Jeder Charakter hat eben helle und dunkle Seiten.

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Nina, erschüttert von Madelaines Schlaganfall

Die zwei Wohnungen einer Wohnung


Schein oder Sein, Täuschung oder Wirklichkeit? Die Französin Madelaine und die Deutsche Nina sind Nachbarinnen, was man in ihrem Umfeld glaubt. Niemand, auch nicht Mados erwachsene Kinder Anne und Frédéric, weiss dass die verwitwete Madelaine Dorn und die ehemalige Reiseleiterin Nina seit Jahren ein Paar sind und nicht nur die Wohnung, sondern auch Tisch und Bett teilen. Ihren Lebensabend planen sie in Rom zu verbringen; doch ihre Familie darüber zu informieren gelingt nicht. Während aus Madeleines Ehe mit dem Vater ihrer Kinder zahlreiche Erinnerungstücke herumliegen, die ihr Appartement beinahe wie einen Antiquitätenladen erscheinen lassen, gibt es von den Beziehungen und der Vergangenheit Ninas keine sichtbaren Spuren, mit Ausnahme einer zweiten Zahnbürste im Badezimmer. Ninas Wohnung dient dazu, den Schein zu wahren.

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Anne mit ihrer Mutter Madelaine

Mit einem Thriller in den Alltag

Als Madelaine einen Schlaganfall erleidet und sich nicht mehr artikulieren kann, muss Nina dafür kämpfen, ihr weiterhin nah sein zu können. Dabei geht die Handlung gelegentlich etwas drunter und drüber. Für die bisher selbstverständlich gelebte Zweisamkeit muss jetzt mit Fantasie und Energie gekämpft werden. Denn ihre gemeinsame Beziehung hat keinen Rückhalt in der Gesellschaft. Jeden Zugang zu ihrer Geliebten muss Nina jetzt gegen die Familie und medizinische und geriatrische Institutionen erkämpfen. Eindrücklich und schön erweist sich ihre Beziehung im ganzen Film: im ersten Teil in leidenschaftlicher Sinnlichkeit, im zweiten im leidenschaftlichen Kampf. Der Film wird mehr und mehr zu einem Plädoyer für Freiheit und Leidenschaft und macht schmerzhaft bewusst, wie weit unsere Gesellschaft noch davon entfernt ist, alle Formen des Liebens als schön und gut zu akzeptieren. Ob 5000 Jahre Judentum, 2000 Jahre Christentum und 1500 Jahre Islam diesen Zustand erschaffen oder unterstützt haben, dass weiterhin Körper, Lust und Liebe verteufelt werden, heute an die Öffentlichkeit getragen durch die LGBT-Bewegung, die für Freiheit und Toleranz kämpft, solange die Gesellschaft nicht von ihrer Heteronormativität abweicht, stellt Fragen, die wohl noch lange nicht beantwortet sind.

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Kurze Zeit des glücklichen Miteinanders

Erst die Liebe erlöst und heilt


Es ist nicht nur sinnvoll, sondern auch schön, wie die Geschichte mit Madeleine und Nina sich entwickelt und Meneghetti seinen Film versöhnlich enden lässt – wie, das will ich nicht verraten. Dazu hören wir zusammen mit den beiden Frauen wiederholt den Schlager «Sul mio carro» mit Petula Clark. Denn das Leben und das Lieben geht weiter, in dieser oder jener Form. Die in «Deux» gelebte lesbische Liebe ist nicht jene der Boulevardpresse und nicht der Social Media. Deshalb ist es auch kein Ausrutscher, dass sich die Story gegen Ende etwas vom Ursprungsthema wegbewegt und zu einem Thriller entwickelt, hinein in den alltäglichen Alltag – und diesen gibt es bekanntlich auch in der Liebe in dieser, in jener und in allen andern Formen.

Regie: Filippo Meneghetti, Produktion: 2020, Länge: 95 min, Verleih: First Hand Films