Die Frau mit den fünf Elefanten

Die Übersetzerin Swetlana Geier hat gerade ihr Lebenswerk abgeschlossen. Die Grand Dame der deutsch-russischen Kulturvermittlung hat die fünf grossen Romane Dostojewskijs, die «fünf Elefanten», in fast zwanzig-jähriger Arbeit neu übersetzt. Der Film von Vadim Jendreyko folgt ihren Spuren.

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Swetlana Geiers Leben wird von Europas wechselvoller Geschichte überschattet. 1923 in der Ukraine geboren, erlebt sie mit fünfzehn, wie ihr Vater bei Stalins politischen Säuberungen verhaftet, nach eineinhalb Jahren schwer misshandelt entlassen wird und kurz darauf stirbt. Mit achtzehn verliert sie ihre beste Freundin, als die SS in Kiew 30 000 Juden hinrichten. Während der Besetzung der Ukraine arbeitet sie als Dolmetscherin, wird 1943 mit ihrer Mutter in einem Arbeiterlager in Dortmund interniert. Sie erlebt die Gräuel zweier Diktaturen, trifft aber immer wieder Menschen mit Zivilcourage und Mut, die ihr das Überleben ermöglichen. Nach dem Krieg bleibt sie in Deutschland, studiert, gründet eine Familie und beginnt, russische Literatur ins Deutsche zu übertragen. Seit vierzig Jahren unterrichtet sie zudem an verschiedenen Universitäten.

Auseinandersetzung mit Dostojewskij

Aufgrund ihrer Kombination aus Sprachvermögen, Empathie, detektivischem Spürsinn und Hintergrundwissen wird sie ein Star ihrer Zunft. Ihre Bewunderer halten sie für einzigartig. «Übersetzen», sagt sie, «ist mein Schicksal.» Und:«Man übersetzt nicht von links nach rechts, wie die Sprache läuft, sondern nachdem man sich den Satz angeeignet hat. Er muss nach Innen genommen, ans Herz gelegt werden. Ich lese das Buch so oft, bis die Seiten Löcher kriegen. Im Grunde kann ich es auswendig. Dann kommt ein Tag, an dem ich plötzlich die Melodie des Textes höre.»

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Dostojewskijs Werk nimmt in Swetlana Geiers Leben einen besonderen Stellenwert ein. In einem jahrelangen Prozess verleibt sie sich seine Texte ein, studiert die Manuskripte, reist an die Schauplätze der Handlung der Romane, um deren Geografie zu verstehen und mit seinen Augen sehen zu können. «Man muss Dostojewkij lesen wie ein Schatzgräber: An den unscheinbarsten Stellen sind Juwelen vergraben, die man oft erst beim zweiten oder dritten Mal Lesen entdeckt. Er ist unerschöpflich.»

Wer bin ich?

Wie Dostojewskij mit seinen Helden immer der Frage «Wer bin ich?» nachgeht, so macht es auch Swetlana Geier und erlebt dabei mit dieser Frage «übersetzungserotische Momente». «Für das Übersetzen ist die Vorstellung eines Transports keine zureichende Metapher. Es ist kein Transport, weil das Gepäck niemals ankommt. Mich haben immer die Verluste interessiert. Mich hat das interessiert, was immer jenseits des Neuen, des Übersetzten bleiben muss.»

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Mit fünfundachtzig Jahren reist sie zum ersten Mal seit dem Krieg zurück an die Orte ihrer Kindheit, in die Ukraine. Der in Basel lebende Regisseur Vadim Jendreyko (bekannt durch seinen Film über den Emigranten, Boxer und Schläger «Baskim») begleitete sie, vor der Kamera vertreten durch eine junge Reporterin, auf dieser Reise in ihre Vergangenheit. In Fragmenten zeichnet der Dokumentarfilm die Erinnerung der Protagonistin auf, Archivbilder spiegeln die Weltgeschichte wieder, deren Zeugin sie war. Er begleitet sie zu den verschiedenen Orten ihrer Kindheit und folgt ihr zuhause bei ihren Alltagsaufgaben und ihrer literarischen Tätigkeit. Mit dem neuen Film schuf Jendreyko ein weiteres Emigranten-Schicksal, diesmal einer gelungenen, einer wunderbaren.