Die Höhle des gelben Hundes

Filmereignis aus der Mongolei

Byambasuren Davaa, die mit der «Geschichte vom weinenden Kamel» letztes Jahr aufgefallen ist, zeigt uns in ihrem zweiten Film aus ihrer Heimat wunderbare Landschaft, beeindruckende Menschen und eine faszinierende Kultur. Der Film gefällt, weil er schön ist, er interessiert, weil er in fremde Welten entführt, er beglückt, weil er jeder und jedem von uns etwas mitgibt.

In der endlosen Weite der mongolischen Landschaft führt eine fünfköpfige Nomadenfamilie ein Leben fernab der Zivilisation. Nach alter Tradition lebt sie von der Schafzucht – und im Einklang mit der Natur. Bei einem ihrer Spaziergänge findet die sechsjährige Nansa in einer Felsenhöhle einen kleinen Hund, den sie Zochor nennt und nach Hause mitnimmt. Statt ihn wieder auszusetzen, wie es der Vater verlangt, wird er ihr treuer Begleiter. Doch eines Tages verliert sie in der Steppe seine Spur – und begegnet bei ihrer Suche einer alten Nomadin, die ihr die bewegende Legende von der Höhle des gelben Hundes erzählt.

Schön ist mehr als bloss schön

Der Film kommt daher wie der klassische «documentaire romancé», bei dem die Begriffe «Dokumentarfilm» und «Spielfilm» nicht mehr genügen. Die Dokumentation ist inszeniert, die Inszenierung dokumentarisch.

Für die Regisseurin und den Kameramann Daniel Schönauer ist dies der Diplomfilm an der Münchner Filmhochschule. Ihnen gelingen Bilder von faszinierender Schönheit: sinnstiftende Landschaftsaufnahmen und intime Personenbilder. Vertieft werden sie noch durch die Musik einer mongolischen Gruppe. Die Bild- und Tongestaltung verleiht dem Film eine neue Dimension. Schönheit wird nicht bloss abgebildet; Schönheit wird mit filmischen Mitteln neu geschaffen: Schönheit, die Wahrheit wird.

Ehrfurcht vor allem Leben

Die Familie, die am Schluss des Films ihre Jurte abbricht und weiterzieht, bedankt sich bei dem Stück Land, auf dem sie den Sommer verbringen durfte und entschuldigt sich, dass ihre beiden Zelte zwei Abdrücke im Gras hinterlassen. Sie fühlen sich schuldig, weil man Mutter Erde etwas zugefügt hat. Solche Szenen erhalten für uns eine fast paradiesische Dimension. Ohne lehrhaft zu sein, erfüllt uns der Film in solchen Momenten mit neuer Sehnsucht nach heiler Welt, womit er für uns einen Kontrapunkt zu einer Welt bildet, wie wir sie in unseren Breitengraden kennen, was Jane Fonda so umschrieb: «Wir gehen mit dieser Welt um, als hätten wir eine zweite im Kofferraum.»

Erlebnisse, die weiter wirken

Jede und jeder von uns nimmt diesen – wie jeden andern – Film verschieden wahr, sieht anderes, hört anderes, eben das, was wir ins eigene Bewusstsein einbauen können und wollen. «Die Höhle des gelben Hundes» gibt uns, neben vielem anderen, den «Mut zur Beziehung», statt «den Mut zur Erziehung». Denn was hier zwischen Eltern und Kindern abläuft, ist eine Beziehung, wie wir sie uns alle wünschen, von der wir lernen können.

Zusätzlich zum Einblick in den Alltag einer traditionellen mongolischen Nomadenfamilie gewährt der Film uns Einblick in deren kulturelle und spirituelle Ursprünge, in deren Innenwelt sozusagen. In allem Vordergründigen schwebt etwas Umfassendes, Übergreifendes. Ohne irgendeine konfessionelle Zuordnung kann man den Film durchaus als tief religiös erleben: als «in Verbindung sein» mit etwas Darüber, Darunter, Dahinter oder Davor.Der Filmproduzent meint dazu: «Die Spiritualität der Nomaden, ihr Respekt vor der Natur und vor anderen Lebewesen, ist ausgesprochen inspirierend. So hoffe ich, dass der Film dazu anregt, etwas von dieser Spiritualität in unsere westliche Kultur zu übertragen. Byambasuren Davaa zeigt, uns, dass die Lebensbedingungen in ihrer Heimat eine ganz andere Qualität für Gesundheit, Geist und Seele haben als die unsrigen. Vielleicht erkennen wir Westler durch ihren Film: Wir können auch anders!»