Eine ruhige Jacke

Roman Dick kommt 1982 zur Welt und ist ein aussergwöhnliches Kind. Er spricht nicht und lebt in seiner eigenen, inneren Welt. Die Diagnose Autismus wird gestellt.

Er kommt in ein heilpädagogisches Heim. Dort hat er die Möglichkeit, sich zurückzuziehen, aber auch sich einzubringen. Nach und nach öffnet er sich der Aussenwelt. Die Natur, insbesondere der Wald, wird zu dieser Zeit zum Schutzort für Roman. Aufgrund seines aggressiven Verhaltens kommt er mit fünfzehn Jahren für zwei Monate in die Psychiatrie. Mit sechzehn wechselt er zur Sonnhalde Gempen, einem Heim für Menschen mit Autismus. 2002 kommt er zur Aussenstelle Roderis, einem Bauernhof, wo er heute noch lebt. Er entwickelt sich zu einem tüchtigen Waldarbeiter, lernt das Leben in einer Gemeinschaft kennen, die seine feine, humorvolle Seite sehr schätzt, auf seine Ausbrüche jedoch mit Ratlosigkeit reagiert. Roman geht gern in die Welt hinaus, fährt leidenschaftlich gern Zug, spielt Gitarre und zeichnet ausserordentlich gut, ist jedoch weiterhin auf eine Begleitung angewiesen.

...sein Betreuer

Xaver Wirth ist 1952 geboren worden. Bereits in jungen Jahren interessiert er sich für Anthroposophie und unternimmt Indienreisen. Mit fünfundzwanzig beginnt er ein Praktikum im Heim Columban in Urnäsch. Ein Jahr später wechselt er ins Schulheim Hofbergli in Rehetobel, wo er seine Frau kennenlernt und sich zum Heilpädagogen und Sozialtherapeuten ausbildet. Mit achtundzwanzig ziehen sie nach Gempen. Seine Ausbildung schliesst er im Schulheim Sonnhalde in Gempen ab. Danach kümmert er sich dort intensiv um den Aufbau des Erwachsenenbereichs. Neben der Gestaltung von Lebensräumen nach künstlerischen und kulturellen Motiven, ist ihm die Schaffung sinnvoller Arbeit ein grosses Anliegen. Dank seiner Initiative entstehen eine Kerzenwerkstatt, eine Bildteppich-Weberei, eine Brotbäckerei und eine Imkerei. Er ist der Überzeugung, dass ein enger Bezug zur Natur für die Entwicklung autistischer Menschen von grosser Bedeutung ist. So entsteht die landwirtschaftliche Wohn- und Arbeitsgemeinschaft Roderis, wo seine Hauptaufgabe die Führung der Imkerei und der Arbeitsgruppe Wald ist. Nach sechzehn Jahren internen Wohnens zieht er 2002 mit seiner Familie nach Hochwald. Er vertieft sich in das Werk Rudolf Steiners im Zusammenhang mit der Insektenwelt und bietet Kurse für eine wesensgemässe Bienenhaltung an. Am 25. März 2009 stirbt Xaver Wirth unerwartet im 30. Jahr seiner Tätigkeit in der Sonnhalde. Seine Projekte im Wald und in der Imkerei, mit Ausnahme des Motorsägekurses, werden bis heute weitergeführt.

… und wir

Selten begegnen wir in der Öffentlichkeit einem autistischen Menschen. Seine etwas sonderbaren, gelegentlich provozierenden Äusserungen verunsichern uns für einige Zeit. Doch sobald dieser Mensch nicht mehr vor uns steht und wir wieder allein sind, ist der «Autismus» für uns wie ein Spuk verschwunden. Wenn jedoch ein Filmemacher wie Ramòn Giger, der sich während sechs Jahren mit Autismus, mit Menschen mit autistischen Eigenschaften und vor allem mit dem dreissigjährigen Roman Dick und seinem Betreuer Xaver Wirth auseinandergesetzt hat, ist das etwas anderes. Wir sind während 74 Minuten im Kino und in der Erinnerung noch viel länger mit dieser Andersartigkeit und vor allem mit Roman konfrontiert. Jetzt können wir nicht wegschauen und vergessen, im Gegenteil, wir werden hineingezogen und wir werden berührt, betroffen gemacht. Wir setzen uns mit dieser Situation auseinander. Wir wissen zwar nicht, was Autismus wissenschaftlich ist. Doch wir haben einen autistischen Menschen erlebt, sind ihm begegnet. Wir haben erlebt, wie er lebt. Und wir haben Xaver in seiner Betreuerarbeit etwas über die Schultern geschaut.

Eine andere Welt…

«Eine ruhige Jacke» zeigt nicht bloss einen für mich fremden Menschen, eine andere Welt, weit entfern von gängigen Vorstellungen, sondern der Dokumentarfilm führt mich auch zu mir selbst, provokativ, radikal. Mit seinen starken sinnlichen Bildern fordert er von uns eine unvoreingenommene Reflexion: eine Umkehr des Denkens, eine Änderung des Sinnens, eine «Metanoia». Die Bilder dieser andern Welt wurden zum Teil vom Regisseur, zum Teil von Roman selbst gefilmt. Seine Bilder erinnern mich an das New American Cinema mit Jonas Mekas, Shirly Clarke, Gregory Markopoulos. Auch die filmischen Revolutionäre der 60er-Jahre durchbrachen Sehgewohnheiten und zeigten andere Welten im Sinne eines künstlerischen Aktes. Roman macht Ähnliches, weil er anders ist, wohl auch anders sieht und hört, denkt und fühlt. Wichtig für uns bleibt die Erfahrung, dass es dieses Andere gibt.

… mit einigen Highlights

Lange verfolgen einen einzelne Szenen. Etwa jene, in welcher der Betreuer den jungen Mann ins Gebet nimmt, nachdem er beobachtet hat, wie Roman einem andern Heimbewohner an den Hintern gegriffen hat, was er dann aus dem Innersten heraus erklärt, er hätte gern einen Freund. Oder jene Sequenz, als Roman mitgeteilt wird, Xaver sei gestorben, und es in seinem Gesicht sichtbar wird, dass in ihm drin ein Sturm der Trauer und Verzweiflung losgeht. Oder jene Szene, in der er mit seinem Freund Holzscheite bündelt und ihn dabei umarmt. Oder das wunderbare Bild, in dem Roman allein eine weite Landschaft mit Wegen, die nicht irgendwo im Feld enden, durchwandert. Das sind nur einige beispielhafte Szenen dieses grossen Schweizer Dokumentarfilms, Erstlingswerk notabene, für welches Ramòn Giger hauptverantwortlich ist, unterstützt wird von Jan Gassmann (Kamera und dramaturgische Beratung) und Roland von Tessin (Schnitt).

Gedanken des Regisseurs

Auf der Suche nach meiner eigenen Sozialkompetenz machte ich meinen Zivildiensteinsatz in einem Pflegeheim für Menschen mit einer Behinderung. So lernte ich Roman und Xaver kennen und kam mit einer Thematik in Berührung, die meine Fragen nach Zwischenmenschlichkeit, Anteilnahme und Verständnis für einen anderen Menschen in ein komplett neues Licht rückten.

Ich stellte mir die Frage, zu welcher Art von Beziehungen ein Mensch fähig ist, dem als einzige Überlebensstrategie die absolute Selbstisolation bleibt, obwohl er das gleiche Bedürfnis nach Zuneigung und Austausch haben müsste und sich vielleicht besonders stark danach sehnt, von seiner Umgebung wahrgenommen und anerkannt zu werden. Und umgekehrt: Welche Art des Verstehens kann ich als «beziehungsfähiger» Mensch für Roman entwickeln, welcher, so nehme ich an, auf ganz andere Weise empfindet?

Die Annahme, dass Roman, bedingt durch seinen Autismus, hauptsächlich auditiv-visuell und eben nicht sprachlich-begrifflich denkt, veranlasste mich, die filmische Suche vorwiegend auf seine ganz eigene Art der Wahrnehmung auszurichten. Häufig war ich voreingenommen, beeinflusst von Klischees und wissenschaftlichen Thesen, wie die Welt eines autistischen Menschen funktioniere. Ich musste einen Prozess des radikalen Umdenkens durchlaufen. Es war Roman selbst, der die wichtigste Regieanweisung gab: «Als totaler Mensch» wolle er verstanden werden, nicht bloss als Menschen mit autistischen Störungen.

Meine neuen Einsichten, welche jegliche Psychologisierung ablehnten, erschlossen eine ganz neue Perspektive bezüglich Roman. In gewissen Fachkreisen wird Autismus nicht mehr als eine Behinderung, sondern vielmehr als Andersartigkeit angesehen und dies, obwohl er durchaus lebensbeeinträchtigende Auswirkungen hat. Grundsätzlich liegt jedoch bei nur sehr wenigen autistischen Menschen eine geistige Behinderung vor. Der Intelligenzquotient ist in den meisten Fällen normal bis überdurchschnittlich. Auch Roman ist weder körperlich noch geistig behindert. Und doch werden seine äussere Erscheinung und sein Verhalten als «behindert» interpretiert. Die eigentliche Diskrepanz zwischen seiner äusseren Erscheinung und seinem eigentlichen Wesen entsteht erst aus der Beziehung zu uns. Das symptomatische Vorurteil, dass es autistischen Menschen verwehrt bleibe, Mitgefühl für andere zu entwickeln, deutet auf diese Irritation hin. Dass es ihnen schwer fällt, zwischenmenschliche Interaktionen «richtig» zu interpretieren, sei hiermit nicht infrage gestellt; ebenso, dass sich diese Verunsicherung als ein bedrohliches Gefühl äussert und sich auf ihre Haltung gegenüber anderen überträgt. Und trotzdem geben diese Eigenheiten keinen Aufschluss darüber, welche Gefühlsregungen sich wirklich im Inneren von autistischen Menschen abspielen.

Ist es denn nicht bei uns allen so, dass wir die wirkliche Begegnung erst zulassen, wenn etwas Unausweichliches passiert? Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass ich mich am Sterbebett meines Vaters darauf besinnen werde, welche Gelegenheiten ich verpasste, ihm wirklich zu begegnen. Und ich werde mich fragen, wieso es mir zuvor nicht gelang, diese intime Verbindung zuzulassen. In dieser Hinsicht sehe ich mich nicht anders als Roman.

Interview mit Ram òn Giger

In Ihrem Film wird die Beziehung zwischen Roman, einem jungen Mann mit autistischen Störungen und seinem Betreuer, der ihm das Holzfällen beibringt, thematisiert. Wie haben Sie die beiden kennengelernt?

In der Schweiz muss man sich mit achtzehn Jahren entscheiden, ob man den Militär- oder den Zivildienst absolvieren möchte. Letzterer dauert länger, bietet jedoch die Möglichkeit, im Sozialbereich zu arbeiten. Ich habe meinen Zivildienst in einer Einrichtung absolviert, die vor vierzig Jahren von Eltern autistischer Kinder gegründet wurde. Durch diese Lebenserfahrung entstand bei mir der Wunsch, einen Dokumentarfilm über Roman zu machen.

Im Film werden oft Situationen gezeigt, in denen Roman sich weigert, sich angemessen zu verhalten oder gewisse Aufgaben zu erledigen. Wie haben Sie auf diese Unberechenbarkeit reagiert?

Autistische Menschen benötigen einen Alltag mit einer sehr klaren Struktur. Es kam jedoch vor, dass Roman selbst diese Regeln durchbrach, was mich besonders interessierte. Ich musste mich also mit derselben Geduld wie das Personal wappnen, um die nötige Reaktionsbereitschaft für unerwartete Ereignisse aufbringen zu können. Ich befand mich nicht in einer berechenbaren Situation. Aus diesem Grund besass ich auch kein Drehbuch, an dem ich mich hätte orientieren können. Oft stand ich in einer Sackgasse, was mitunter ein Grund war, dass das Filmprojekt sechs Jahre gedauert hat. «Eine ruhige Jacke» war eine Geduldssache, und das war für mich und den Film auch besser so, anstatt mit vorgefassten Meinungen zu arbeiten.

Ist die Lehrzeit und die Beherrschung von gewissen Handgriffen und Verhaltensweisen das Thema des Films?

Nein, das sind nicht die Themen des Films. Ich wollte keinen Film über die Lehrzeit eines autistischen Menschen machen oder eine Beschreibung dessen Alltags, ich wollte vielmehr die Interaktion zwischen den Personen aufzeigen. Mich interessierte, auf welche Weise sich Roman auf eine Beziehung einlässt oder aber die Gründe, warum er sie verweigert. Richtig ist, dass wir am Anfang des Projekts den Fokus auf ihn legen wollten, aber die Beziehung zu Xaver war so stark, dass sie zum zentralen Thema des Films wurde. Ohne die Anwesenheit von Xaver hätte ich das Projekt nicht erfolgreich abschliessen können. Er war sehr tapfer, vor allem auch, weil er den Mut aufbrachte, mich in ihre Arbeit einzubeziehen. Er erlaubte mir, ihn und Roman zu beobachten, obwohl ihre Beziehung durch Romans Angespanntheit manchmal sehr zerbrechlich war.

Zwei Einstellungen wechseln sich ab: Ihre eigenen und die etwas «zügelloseren» Romans. Wie kamen Sie darauf, ihm die Kamera zu geben?

Anfangs wollte ich einen Film über die Wahrnehmungsphänomene eines Menschen mit autistischen Störungen machen. Deshalb gab ich ihm eine Kamera. Indem er selbst filmte – woran er grosse Freude hatte – hatte ich einen Einblick in das, was ihn interessierte. Ferner konnte ich es nicht immer verantworten, mich an seiner Stelle zu äussern, da ich realisierte, dass es mehrheitlich um meine Interpretation anstatt um seine Wahrnehmung ging. So musste ich mich von meiner eigenen Sichtweise distanzieren, um Roman den entsprechenden Raum geben zu können. Die gefilmten Bilder von Roman waren ein Mittel zu zeigen, dass wir alle verschiedene Subjektivitäten besitzen, ohne diese jedoch speziell definieren zu wollen.

Beeinflusste der Film die Wirklichkeit und die beteiligten Personen?

Ich glaube nicht, dass man einen Dokumentarfilm machen kann, ohne dass man sich an dem Gefilmten beteiligt. Als Xaver sagt: «Wenn du nicht kommst, wird die Kamera ohne dich gehen», beeinflussen diese Worte Roman. Die Anwesenheit der Kamera ermunterte Roman, am Motorsäge-Unterricht teilzunehmen. Er genoss die teilhabende, aber nicht interagierende Präsenz der Kamera. Er hat während der sechs Monate Dreharbeiten von uns sehr viel Aufmerksamkeit bekommen. Ich bin mir sicher, dass der Film ihn sehr beschäftigte und er sich darum sorgte, wie er dargestellt wird. Natürlich habe ich aber keine Gewissheit darüber, was er wirklich dachte.

Abgesehen vom Autismus, welche Thematik könnten Sie in einem nächsten Projekt weiterführen?

Ich kann mir vorstellen, einen weiteren Film über Roman in zehn oder zwanzig Jahren zu drehen. Das Thema des Films ist eigentlich ein ganz einfaches existentielles Problem: Wie sind wir mit anderen Menschen verbunden?

Autismus

Autismus (frühkindlicher Autismus, autistische Störungen, Asperger-Syndrom) gehört zu den tiefgreifenden Entwicklungsstörungen. Menschen mit Autismus nehmen aufgrund komplexer Störungen des zentralen Nervensystems (besonders im Bereich der Wahrnehmungsverarbeitung) sich und die Welt anders wahr. Sie haben vor allem Schwierigkeiten, Bedeutungen und Regeln innerhalb von Kommunikation und sozialem Verhalten zu erkennen. So bleibt die Welt für sie oft unverständlich, überwältigend und Angst auslösend. Für die Diagnose müssen nach den internationalen offiziellen Klassifikationen Auffälligkeiten in drei Bereichen vorhanden sein:

Sprachentwicklung, verbale und nonverbale Kommunikation

Soziale Interaktion

Besondere Interessen und Aktivitäten, aufgrund einer eigenartigen Wahrnehmungs- und Informationsverarbeitung

In den meisten Fällen treten die Symptome bereits in den ersten drei Lebensjahren auf. Autistische Störungen können von geistigen Behinderungen begleitet werden. Es sind mehr Jungen als Mädchen betroffen, etwa im Verhältnis 3 bis 4:1. Die Ursachen des Autismus sind bis heute nicht vollständig geklärt. Bei der Entstehung spielen mit Sicherheit mehrere Faktoren eine Rolle. Ganz sicher ist aber, dass Autismus nicht durch familiäre Konflikte oder Erziehungsfehler entsteht.

Sprachentwicklung, Kommunikation und soziale Interaktion

Menschen mit Autismus leiden seit ihrer frühen Kindheit an extremen Beziehungs- und Kommunikationsstörungen. Sie haben grosse Schwierigkeiten, mit anderen Menschen in Kontakt zu treten. Ihre Kommunikationsmittel sind beeinträchtigt. Sie haben Mühe, Gestik, Mimik oder Worte zu verstehen. Die Mehrheit der Menschen mit Autismus entwickelt keine Sprache. Wenn die Sprache vorhanden ist, dann hat sie spezielle Eigenheiten (z.B. monotone Ausdrucksweise, unmittelbare und verzögerte Wiederholung von Wörtern und Sätzen, Sprachanwendung nicht im kommunikativen Sinn). Häufig kapseln sich Menschen mit Autismus von der Umwelt ab und sind dauernd bestrebt, ihre Umgebung gleich zu erhalten.

Besondere Interessen und Aktivitäten

Die Wahrnehmungs- und Informationsverarbeitung ist beeinträchtigt. Sie folgt anderen Gesetzmässigkeiten als dies bei nicht-autistischen Menschen der Fall ist. Oft werden Menschen mit Autismus von der visuellen und akustischen Reizvielfalt überflutet. Sie sind häufig nicht in der Lage, unsere Welt zu verstehen und sich mitzuteilen. Dies fördert den Rückzug in die «eigene Welt».

Sehr typisch sind auch Stereotypien, die das Verhalten autistischer Menschen kennzeichnen. (z. B. Handbewegung, Kreiseln von Rädern, Wedeln mit Faden oder Papier). Sie bestehen zwanghaft auf ganz bestimmten Ordnungen und können ihre Eltern zur Verzweiflung bringen durch übertriebenes Sammeln bestimmter Gegenstände, durch ihre Weigerung, bestimmte Kleidungsstücke zu tragen oder durch Wiederholung immer derselben Verhaltensweise oder sprachlichen Äusserungen. Durch Stereotypien versuchen autistische Menschen, eine Ordnung in die Vielgestaltigkeit und Komplexität unserer Welt zu bringen, statt ein riesiges Chaos zu erleben. Jede Veränderung in der Routine wirkt für Menschen mit Autismus verunsichernd und kann zu verschiedenen unerwünschten Reaktionen führen, z. B. in Form von Aggressionen oder selbstverletzendem Verhalten, die das Zusammenleben mit Menschen mit Autismus erschweren und Eltern wie Fachleute vor viele Probleme stellen.

Die intellektuelle Begabung autistischer Menschen ist sehr unterschiedlich. Sie reicht von geistiger Behinderung bis zu normaler Intelligenz. Ihr Entwicklungsprofil ist oft sehr aussergewöhnlich: Viele haben grosse Schwierigkeiten bei alltäglichen Tätigkeiten (einkaufen gehen, einen neuen Spaziergang machen, jemanden begrüssen) und zeigen erstaunliche Begabungen in Inselfähigkeiten (Rechnen, Musik, technische Disziplin). Die Feststellung des Grades der intellektuellen Fähigkeiten ist jedoch aufgrund der Verhaltens- und Kommunikationsauffälligkeiten oftmals schwierig.

Dank Autismus-spezifischen Auswertungsinstrumenten wie PEP-R für Kinder und AAPEP für Jugendliche und Erwachsene sind die Kompetenzen der Person besser zu erkennen. Nach internationalen Untersuchungen sind von 10‘000 Kindern vier bis fünf autistisch.

Berücksichtigt man das ganze «autistische Spektrum», kommt man auf eine Zahl von 26 pro 10'000 Personen. Aber in den letzten Jahren haben die Spezialisten eine hohe Steigerung der Fälle, besonders in den USA, beobachtet. Die Diagnose «Autismus» ist grundsätzlich nicht einfach zu stellen. Erfahrungsgemäss sind selbst Fachleute häufig damit überfordert. Viele Eltern stellen schon sehr früh, oft vor dem dritten Lebensjahr, Auffälligkeiten bei ihren autistischen Kindern fest.

Selbst wenn sie frühzeitig einen Kinderarzt oder eine Kinderärztin aufsuchen, können sie auch heute noch nicht damit rechnen, dass die Auffälligkeiten als autistische Störungen korrekt erkannt werden. In solchen Situationen erfolgt eine andeutungsweise gestellte Diagnose in Richtung Autismus (z. B. als «autistische Auffälligkeiten» oder «autistische Züge») erst nach dem dritten Lebensjahr. Häufig wird die Diagnose «Entwicklungsrückstand» oder «geistige Behinderung» gestellt, wo es sich eigentlich um eine autistische Störung handelt. Aus der Forschung und aus der Erfahrung von Autismus-spezialisierten Fachpersonen und Beratungsstellen wissen wir, dass eine möglichst frühzeitige störungsspezifische Diagnose und entsprechende pädagogisch-therapeutische Massnahmen zu den besten und effizientesten Resultaten führen. Deshalb ist die Früherkennung von autistischen Störungen von enormer Bedeutung.

Quelle: AutismusSchweiz, www.autism.ch