Eu, tu, eles

In letzter Zeit gab es im Kino einige bemerkenswerte Filme über die Zwanzig- bis Dreissigjährigen: «Birthday», «L'ultimo bacio», «Some Voices», «Ghost World», «Maelström» und «Y tu mamá también», um nur einige Titel zu nennen.

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Sie lassen Anteil nehmen am Schönen und Schweren im Leben junger Menschen. Seltener zeigt das Kino das Leben älterer und alter Menschen ebenso intensiv. «Eu, tu, eles» des Brasilianers Andrucha Waddington ist eine solche Ausnahme. Er zeigt nicht mehr ganz junge, ältere und alte Menschen, mit ihren Freuden und Leiden und ihrem Alltag. Ein Film, der begeistert und herausfordert.

Auf den Plakaten, Flyern und Aushangbildern des Films «Eu, tu, eles» (Ich, du, sie) prangt das Bild der lachenden, von Leben sprühenden, sinnlich provozierenden Re-gina Casé, Brasiliens aktuellem TV-Star. Sie ist im Film die Protagonistin Darlene Linhares. Aufrecht, stolz sitzt sie da und hält zwischen den gespreizten Beinen eine grosse Schale mit Zuckerrohr. Sie widerspricht den landläufigen Bildern eines Covergirl, mit ihren herben Gesichtszüge und ihrer kräftigen Figur. Ihre weisse Bluse verhüllt einen üppigen Busen und darunter ein Herz, das nicht nur die Menschen im Film begeistert, sondern auch uns im Kinosaal.

Von der Liebe in Hängematten

Nach einer enttäuschten Liebschaft kehrt Darlene mit ihrem unehelichen Sohn aus der Stadt in die unendlich weite Landschaft von Ceara im Nordosten Brasiliens zu-rück, vom erhofften Bräutigam vor der Kirche, mit Esel und Schleier stehen gelassen. Bald darnach heiratet sie Osias, der ihr ein Haus und einige Ziegen vermacht. Doch kaum verheiratet, erhebt er sich kaum mehr aus der Hängematte, die er lieber mit seinem Transistorradio als mit seiner Angetrauten teilt. Er kommandiert sie herum und spielt den Pascha; denn er besitzt sie ja. Die Schönheit, das Glück und die Liebe muss sie sich selbst beschaffen, geschenkt wird ihr nichts. Bald kommt sie ihrem dunkelhäutigen Vetter, dem Witwer Zezinho, näher. Dieser kümmert sich nicht nur um den Haushalt, sondern liebend gern auch um Darlene. Dass sie schon bald dar-auf ein Kind bekommt, bringt Osias nicht aus der Ruhe. «Es wird schon noch heller», erklärt sie ihm. Erst allmählich schöpft er leisen Verdacht. Doch richtig kompliziert wird es erst, als der Gatte, um den Vetter zu ärgern, auch den schönen, jungen Feld-arbeiter Ciro ins Haus holt. Nicht lange danach ist sie Darlene wieder schwanger.

Im Lauf ihres Lebens bringt sie vier Kinder zur Welt und lebt mit drei Männern, die alle versuchen, glücklich zu werden. Dabei kommt es immer wieder zu Spannungen. Durch Komplimente, Drohungen und Zärtlichkeiten weiss die eigenwillige Frau je-doch die drei Männer stets unter einem Dach bei Laune zu halten.

Auf der Suche nach dem Glück

«Das Wasser hier ist nicht gut. Weder das Wasser noch sonst etwas in dieser Ge-gend», meint sie zu ihrem ältesten Sohn, symbolisch für das ganze Leben in dieser Gegend und mit diesen Menschen. Darlene kommt zur Überzeugung, dass ein ein-zelner Mann ihr das alles nicht geben kann, was sie braucht. Sie lebt leidenschaftlich. Was andere nur träumen, lebt sie aus und braucht dazu ihre drei Männer.

Elena Soárez hat die Geschichte nach einer wahren Begebenheit geschrieben, Andrucha Waddington in wunderschönen und dennoch kargen, gleichnishaften und dennoch alltäglichen Bildern mit dem Kameramann Beno Silveira inszeniert, Gilberto Gil, eine der Schlüsselfiguren der brasilianischen Musik, die Melodien geschrieben.

Die Geschichte hätte sich angeboten als derber Schwank, der gehörnte Ehemänner dem Gespött preisgibt, oder als blutige Tragödie, die der rigiden Moral verpflichtet ist. Waddington wählte die Form einer lustvollen, erdigen Komödie mit einer leidenschaftlichen Frau, die die Männer beherrscht und beglückt, indem sie liebt. «Sugar-Daddys mit mehreren Frauen gibt es ja häufig, und ich frage mich, wie eine Frau in unserer Machokultur mit so einer Situation lebt», meint der Regisseur. Hier sind die Rollen umgekehrt. – Vom geflohenen Liebhaber zu Osias, von Osias zu Zezinho, von Zezinho zu Ciro: Das sind die Stationen der Lebens- und Liebesreise von Darlene.

Eine diesseitige, anarchistische, heidnische Freude und Sinnlichkeit erfüllt den Film: die befreiende, wilde Lebenslust einer starken Frau, die sich über kleinliche Gebote hinwegsetzt, einem höheren Prinzip, der Grenzen sprengenden Liebe, verpflichtet: «Liebe und tu, was du willst» sagt Augustinus. Der Schluss aus Nietzsches «Zarathustra» verfolgte mich während des Films: «Lust – tiefer noch als Herzeleid: Weh spricht: Vergeh! Doch alle Lust will Ewigkeit, will tiefe, tiefe Ewigkeit!» Diese Worte übersetzen vielleicht für die einen oder andern die Bilder jener südamerikanische lichtdurchfluteten Landschaften der Lust in europäische, dunklere, neblige Seelenlandschaften.