Get - Der Prozess der Viviane Amsalem

Inhumanes Judentum: Der israelische Film «Get – Der Prozess der Viviane Amsalem» zeigt, wie die israelischen Scheidungsgesetzte zwar jüdisch und religiös, aber machistisch und unmenschlich sind.
Get - Der Prozess der Viviane Amsalem

Viviane (gespielt von Ronit Elkabeth, der Co-Regisseurin), ihr Anwalt, Anwalt von Elisha, Elisha

Viviane Amsalem will sich nach zwanzig Jahren Ehe von Elisha scheiden. In Israel, wo sie lebt, kann das jüdisch-orthodoxe Rabbinatsgericht eine Ehe nur auflösen, wenn der Mann zustimmt. Obwohl sie seit Jahren getrennt leben, weigert er sich, ihr den «Get», den für die jüdische Scheidung unabdingbaren Freibrief, zu geben. Zeuge um Zeuge wird aufgerufen, der Prozess, der immer groteskere, ja kafkaeske Züge annimmt, scheint kein Ende zu nehmen. Es vergehen fünf Jahre, doch Viviane gibt nicht auf, sie kämpft um ihre Würde und für ihre Freiheit.

Gemeinsam mit ihrem Bruder Shlomi schrieb und inszenierte die gefeierte israelische Schauspielerin Ronit Elkabetz den Film, in dem sie auch selbst die Titelrolle spielt. «Get – Der Prozess der Viviane Amsalem» wurde an mehreren Festivals ausgezeichnet und ist Israels Oscar-Kandidat für den besten fremdsprachigen Film.

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V. l. n. r. ein Zeuge, Viviane, ihr Anwalt, Elishas Anwalt, Elisha

Aus einem Interview mit Ronit und Shlomi Elkabetz

Der Titel des Films kündigt einen Gerichtsprozess an, was für ein Streit wird darin verhandelt?

Die ihrer Ehe überdrüssige Viviane hat bereits vor Jahren die gemeinsame Wohnung verlassen und möchte nun auch die offizielle Scheidung, um nicht zur sozialen Aussenseiterin degradiert zu werden. Da die staatliche Ehe in Israel bis auf den heutigen Tag nicht existiert, kommen bei einem solchen Verfahren allein religiöse Gesetze zur Anwendung, die eine Zustimmung des Ehemanns zwingend vorschreiben. Nichtsdestoweniger setzt Viviane auf das das Gesetz, in der Absicht, das zu erlangen, was sie für ihr gutes Recht hält. Während Viviane hartnäckig die Scheidung verfolgt, lehnt Elisha sie mit noch grösserem Starrsinn ab.

Betrifft dieser Konflikt eine bestimmte gesellschaftliche Gruppe oder historische Phase?

Im heutigen Israel wird ausnahmslos jede Eheschliessung von religiösen Gesetzen geregelt, ungeachtet dessen, welcher gesellschaftlichen Gruppierung die Eheleute entstammen oder ob sie religiös oder vollkommen areligiös sind. Wenn eine Frau ihr Jawort gibt, verliert sie augenblicklich ihr Recht auf den «Get», die Ehescheidung, weil die Entscheidungsgewalt dafür ausschliesslich beim Mann liegt. Das religiöse Gesetz verleiht ihm in dieser Beziehung also ein schier haarsträubendes Machtmonopol. Die Rabbis behaupten zwar, dass sie alles tun, um der Ehefrau zu helfen, doch in Wirklichkeit agieren sie in den nichtöffentlichen Prozessanhörungen vollkommen anders: Sie halten es für ihre heilige Pflicht, einen jüdischen Haushalt um jeden Preis zusammenzuhalten, und sträuben sich mit aller Kraft dagegen, persönliche Trennungsbedürfnisse über diese religiöse Pflicht zu stellen.

Zu welcher Zeit spielt «Get – Der Prozess der Viviane Amsalem»?

Heute. Insofern, als das Scheidungsgesetz niemals reformiert worden ist, stellt sich die Frage nach dem Wann gar nicht, sondern vielmehr diejenige nach dem quälend langen Zeitraum, den das Scheidungsverfahren in Anspruch nimmt. Wie viel wertvolle Lebenszeit die Frau dafür verschwenden muss, ihren Scheidungsantrag bewilligt zu bekommen, hat in den Augen des Ehemanns, der Rabbis und des Gesetzes keinerlei Bedeutung. Der Zeitverlust spielt für die Frau, die für das Recht betteln muss, wieder zu einem normalen Leben zurückkehren zu können, jedoch eine enorm grosse Rolle. Denn solange sie nicht formal korrekt geschieden ist, darf eine Frau, die ausserhalb des ehelichen Haushalts lebt, keine neue Familie gründen; und gehen aus einer neuen Beziehung eventuell Kinder hervor, werden diese als «Mamzer» stigmatisiert, als Bastarde ohne offiziellen Rechtsstatus und gesetzlichen Schutz. Überdies verbietet das Gesetz der Frau im Grunde genommen generell eine Teilhabe am sozialen Leben, da jede soziale Aktivität sie in den Verdacht einer illegitimen Liebesaffäre mit einem anderen Mann brächte, wodurch ihre Chance auf eine Scheidung für immer vereitelt wäre, falls ihr bisheriger Gatte nicht doch noch zustimmen sollte. Eine Frau, die auf ihre Scheidungserlaubnis wartet, ist also dazu verdammt, in einer Art Gefängnis zu leben.

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Viviane, kämpfend und verzweifelnd

Fünf Jahre Kampf für Menschlichkeit

Was in einer Frau wie Viviane abläuft, wenn sie versucht, aus der Ehe, die für sie nur noch ein Gefängnis ist, auszubrechen und dafür den normalen Weg über das Rabbinat beschreitet, ist für Zuschauer eines liberalen, aufgeklärten Landes kaum nachvollziehbar. Elisha, der Mann, ist schon viele Jahre von ihr getrennt, zeigt auch in keiner Weise so etwas wie Reue oder Sehnsucht, sondern hält sich lediglich an das jüdische Recht, der Frau das «Get», den Freibrief, zu verweigern.

Vom Judentum über das Christentum zum Islam

Die Geschichte des Films steht nicht bloss für den konkreten Fall, sondern ist eine Parabel für jede zionistische, islamistische, evangelikale Herrschaft, mit der der jüdische Gott, der christliche Gott und der islamische Prophet die Menschen beherrscht. Ein Vergleich des Judentums mit dem Islam, wo Muhamed regiert, drängt sich nicht erst seit den aktuellen Terrorakten auf. Und auch im Christentum kann ein solcher Gott ausgemacht werden, der die Menschen beherrscht, indem er mit dem Himmel lockt, mit der Hölle droht und den Geboten führt oder verführt. Heute berichtet eine Zeitung, anlässlich des Papst-Besuches in Manila, dass die Philippinen und der Vatikan die einzigen Länder ohne Scheidungsgesetze sind.

Versteinerte Bilder, versteinerte Herzen

In Israel finden Filmvorführungen für Anwälte und öffentliche Diskussionen darüber statt. Eine Kontroverse ist im Gang, deren Fortgang ist zu beobachten. Erzählt wird die Geschichte in annähernd statischen Bildern, die gefüllt sind von unterdrückten Emotionen versteinerter Menschen. In den fast zwei Stunden gibt es nur wenig Bewegung im Bild und fast keine Bewegung der Kamera. Erst gegen Schluss bricht kurz Dramatik aus, räumlich und getragen von der Musik. Diese Zurückhaltung wirkt auf die Zuschauenden, fordert bei ihnen eine Reaktion heraus. «Get – Der Prozess der Viviane Amsalem» trifft uns, weil wir nicht durch äussere Action abgelenkt werden, der Film implodiert bei uns, lässt zum Himmel schreien. Am Schluss erleben wir wieder einmal, dass es zwischen dem Himmel des Ja und der Hölle des Nein noch viel Dazwischen gibt.

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Co-Regisseurin und Hauptdarstellerin Ronit Elkabetz und Co-Regisseur Shlomi Elkabetz

Titelbild: die scheidungswillige Ehefrau Viviane

Regie: Ronit und Shlomi Elkabetz, Produktionsjahr: 2014, Länge: 115 min, Verleih: Filmcoopi