Giulias Verschwinden

Älterwerden beginnt mit der Geburt und endet mit dem Tod. Der wunderbare Schweizer Film «Giulias Verschwinden» handelt vom Altern und wie man es feiern kann.

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Aufgezeigt beim Beschaffen eines Geburtstaggeschenks zweier Teenager, beim geplatzten Geburtstagsessen einer 50-jährigen Giulia mit Freunden und beim Geburtstagsfest einer Achtzigjährigen in der Seniorenresidenz. Und dabei kommt alles anders als geplant, einmal als Presto mit Action, dann als Andante amoroso und schliesslich als Furioso mit Torte.

Ausgerechnet an ihrem Fünfzigsten muss Giulia am eigenen Leib erfahren: Alter macht unsichtbar. Aus Frust geht sie shoppen und trifft dabei einen charmanten, geheimnisvollen Fremden. Statt mit der Geburtstagsgesellschaft, die auf sie wartet, verbringt sie den Abend mit ihm. Sie trinken zusammen und plaudern über sich, ihr Alter, ihr Leben, bis das Feuer einer zarten Freundschaft zu glimmen beginnt und sie beide für einen Abend zu sich und zum andern, zur andern entführt.

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Eine Gruppe etwa gleichaltriger Freundinnen und Freunde wartet, frisch zurechtgemacht, wohlriechend und die Zeichen des Alters weggeschminkt, im Restaurant auf Giulia, die nicht kommt. Sie sinnieren angeregt und aufgekratzt über ihre zunehmenden Jahrringe. Bis dass ihr Palaver und ihre Witze, ihre Wahrheiten und Weisheiten zum Thema Altern sich zusehends im Alkohol konservieren.

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Zur gleichen Zeit shoppen die Teenager Jessica und Fatima auf ihre Weise. Sie suchen ein Geburtstagsgeschenk und «finden» goldene Turnschuhe für den Schwarm ihrer Herzen. Fast ist es gelungen, doch da steht ein Ladendetektiv, dem sie nicht entkommen. Die geschiedenen Eltern von Jessica stehen vor den Trümmern ihres Erziehungskonzeptes, als sie ihr Kind bei der Polizei abholen müssen.

Derweil schmollt Leonie über den Verlust ihrer Jugend, indem sie sich am achtzigsten Geburtstag gegen ihre fürsorgliche Tochter, die vornehme Altersresidenz, die Konventionen, gegen das Altsein und die ganze Welt auflehnt und ihre eigene Geburtstagsparty genussvoll sabotiert, alles im Chaos enden lässt, was wenigstens zweien in der Runde einen Heidenspass bereitet.

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Die vier Geschichten in drei Lebensphasen erzählt der Filmemacher Christoph Schaub nach einem Drehbuch des Romanautors und Kolumnisten Martin Suter. Beide selbst in einem Alter, 50 und 61, in dem der Verlust der Jugend, der Attraktivität und Dynamik, der sexuellen Vitalität und Autonomie meist erstmals wahrgenommen wird. Die Dialoge sind lebensklug, manchmal bösartig, frech, immer jedoch elegant, locker oder zärtlich brutal. Die Regie ist leichtfüssig, einfallsreich, humorvoll und mit grosser Liebe zu den kleinen Dingen des Älterwerdens. Grossartig auch Kamera und Musik, die alles visuell und akustisch vertiefen.

Die Spiele und kleinen Querelen dreier Generationen um Jugend und Alter versetzen das Publikum im Kino in ihre eigene Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft und lassen sie dort bittersüss und zuckersauer träumen, lösen Schmunzeln und oft auch leise Wehmut aus. Erzählt wird das Lustspiel, innerhalb dessen die Giulia- und John-Geschichte als wie ein Kammerspiel daherkommt, in meist langen Einstellungen, dass wir mit den Protagonisten gut mitgehen und uns selbst einbringen können.

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Corinna Harfouch als Giulia, voll reifer Sinnlichkeit und verinnerlichter Erotik, Bruno Ganz als John, ein geheimnisvoller, wunderbarer Alter. Bei ihnen stimmt alles, ihre feine Menschlichkeit steckt an. Seien wir ehrlich: An ihnen kann man sich kaum satt sehen, in sie kann man sich verlieben. Aber auch die andern Rollen sind grossartig besetzt. Während der Aufführungen gibt es deshalb immer wieder lautes Lachen. Nach dem Film gibt es überall lächelnde und schmunzelnde Gesichter, nach dem die Zuschauerinnen und Zuschauer sich 87 Minuten lang in zahllosen Szenen wiedererkannt haben. «Giulias Verschwinden» ist keine Verherrlichung und keine Verteufelung des Alters. «Giulias Verschwinden» zeigt, wie man dem Alter ein Schnippchen schlagen oder sich mit dem Menschlich-Allzumenschlichen abfinden kann. Etwas anderes bleibt uns ja nicht.