Hasta la Vista

Mit Rollstühlen ins Bordell: Der Spielfilm «Hasta la Vista» des Belgiers Geoffrey Enthoven lässt lächeln und lachen und hat Tiefsinn.

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Die drei Freunde Lars, Philip und Jozef verbindet eine gemeinsame Sehnsucht. Obwohl sie bereits weit über zwanzig sind, hatten sie noch nie Sex. Das aber soll sich schnellstens ändern! Das Vorhaben in die Tat umzusetzen, ist jedoch gar nicht so einfach. Lars sitzt aufgrund einer fortscheitenden Krankheit im Rollstuhl, Philip ist vom Hals abwärts gelähmt und Jozef ist fast komplett blind. Vom Alter her erwachsen, leben sie in der wohlbehüteten Enklave ihres Daheims. Passieren kann da nichts, auch nichts Positives. Und ihre überfürsorglichen Eltern verbieten ihnen eine sorgfältig als Wein-Tour getarnte Reise in ein Bordell, das auf ihre besonderen Bedürfnisse eingestellt ist. So organisieren sie sich heimlich den nächstbesten Fahrer. Auf eigene Faust begeben sie sich mit ihrem Kleinbus auf eine Reise, die sie aus ihrer wohlbehüteten belgischen Heimat an die spanische Küste und damit direkt an das Ziel ihrer Träume führen soll.

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Lars, Jozef, Philip und Claude (v.l.n.r.)

Ein Road Movie mit Hindernissen

Buch und Regie der belgischen Komödie finden den vermutlich einzig richtigen Ton, mit dem man ein solches, an Fettnäpfchen reiches Terrain, betreten kann: mitleidlos, aber voller Empathie, rotzig, aber nie schlüpfrig. Voraussetzung dafür ist eine stimmige Figurenzeichnung, welche die Protagonisten ernst nimmt, aber auch nicht zu ernst, wie es in politisch korrekten Zeiten und Gesellschaften ja gerne passiert. Das Drehbuch wurde von der Lebensgeschichte von Asta Philpot inspiriert, einem Briten, der an einer angeborenen Form der Gelenksteife leidet und sich für ein aktives Sexualleben von Behinderten starkmacht. Mit zwei weiteren Behinderten reiste er zu einem auf die Bedürfnisse von Behinderten ausgerichteten Bordell nach Spanien. Die BBC drehte darüber die Dokumentation «For One Night Only». Auch der vom Hals abwärts gelähmte Philip, der wegen seiner fortschreitenden Krebserkrankung an den Rollstuhl gefesselte Lars und der blinde Jozef beschliessen, gemeinsam in das Bordell «El cielo» im spanischen Punta del Mar zu reisen, um dort ihre Unschuld zu verlieren. Da sich Lars’ Gesundheitszustand aber rapide verschlechtert und die Eltern der drei Freunde deshalb ihre Einwilligung zur Reise zurückziehen, machen sich die jungen Männer in einer Nacht-und-Nebel-Aktion heimlich auf den Weg. Die erste Überraschung der hastig organisierten Reise besteht darin, dass sich der Fahrer und Betreuer «Claude» als bärbeissige Französin herausstellt. Überhaupt läuft längst nicht alles so, wie es sich die drei erträumt hatten. Vor allem Philip macht aus seiner Abneigung gegen Claude keinen Hehl und verdirbt sich und seinen Mitreisenden damit die Stimmung.

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Freundschaft ist mehr als Sex

Erst ein Unfall von Jozef und die folgende Aussprache klären die Fronten; die vier raufen sich zusammen, und Claude wird fester Bestandteil der Gruppe, eine lebenserfahrene Freundin und für einen am Ende sogar die Geliebte. Allerdings wird die neue Freundschaft bald auf die Probe gestellt, da Claude, einer Bewährungsstrafe wegen, die drei ihren besorgten Eltern ausliefern muss. Dennoch kommen sie am Ort ihrer Sehnsucht an: Spanien, Sonne, Meer, ein feudales Urlaubsdomizil – und das Bordell «El cielo». Doch dieses war, so viel ist Philip, Lars und Jozef längst klar geworden, ein wichtiges, aber längst nicht das einzige Ziel ihrer Reise. «Hasta La vista» (nach dem Lateinischen «Carpe diem», zu Deutsch «Pflücke den Tag») ist zutiefst ein Film über Freundschaft, der sich auch unabhängig vom Thema «Behinderung» lesen und verstehen lässt. Es geht um Solidarität, Unterstützung, Träume Ausleben, um gegenseitiges Vertrauen und Verzeihen, um den Tod und das Loslassen. Darüber hinaus macht der Film vieles offenbar, was Menschen behindert und oft das Leben schwer macht. Der mit klugem Witz gespickte Film lässt einen, je nach Gusto, immer wieder lachen oder lächeln. Und genau auf diese Weise nähern wir uns den vier Menschen, erhalten Einblick in das Innenleben der drei Männer und der Frau. Das alles erzählt der belgische Regisseur Geoffrey Enthoven mit Leichtigkeit und mit Humor, aber auch mit einigen anrührenden Szenen.

Wesentliches tragen zu diesem abgerundeten Werk die hervorragenden Schauspieler bei. Dass Robrecht Vanden Thoren (Philip), Gilles de Schryver (Lars) und Tom Audenaert (Jozef) ihre Behinderung «nur» spielen, ist fast nicht zu glauben. Auch Isabelle de Hertogh (Claude) gelingt eine differenzierte, komplexe Charakterstudie, trotz oder gerade wegen ihrer sehr raumgreifenden, eher stoischen Körperlichkeit. Ein schöner, rundum gelungener Film! Auch das ist eine Form gelungener Integration.