Honnymoons

Ausbruchsversuche - Die erste serbisch-albanische Filmproduktion

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Nik und Maylinda aus Albanien

Zwei junge, frisch verliebte Paare verlassen den Balkan und also ihre Heimat auf der Suche nach einem besseren Leben in Westeuropa. Nachdem die einen in Albanien, die andern in Serbien auf einer Hochzeit von Verwandten noch ausgiebig gefeiert haben, brechen sie auf – das albanische Paar reist via Schiff nach Italien, das serbische will im Zug über Ungarn Österreich erreichen. Doch sie werden an der ungarischen Grenze festgehalten, ebenso stranden die beiden Albaner in einem süditalienischen Hafen. Aufgrund unglücklicher Zufälle geraten sie unter Verdacht und werden verhaftet. Das steht der Erfüllung ihrer Träume im Weg.

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Vera und Marko aus Serbien

Der Serbe Goran Paskaljevic erzählt im Film «Honnymoons» von Maylinda und Nik aus den albanischen Bergen und Vera und Marko aus Belgrad. Beide verliebten Paare träumen davon, in einem europäischen Land ihre Wünsche verwirklichen zu können. Doch alle machen die Erfahrung, dass die Festung Europa sie nicht mit offenen Armen empfängt. Mit feinem Gespür für beide Kulturen zeichnet der Regisseur, der 1947 in Belgrad geboren wurde und bereits 30 Dokumentar- und 15 Spielfilme realisiert hat, die Milieus der vier jungen Menschen. Hier das Haus von Niks Eltern, die um den vermissten Sohn Illir trauern, der vermutlich in der Adria ertrank, dort die Familie Veras, deren Vater sich im Krieg unversöhnlich mit seinem Bruder zerstritt. Während sich der Alltag in der Stadt Pristina und auf dem Land unterscheidet, gleichen sich die Kulturen in ihrer Festfreudigkeit: Farbenfroh, gewärmt durch Raki und traditionelle Volksmusik, wird da wie dort Hochzeit gefeiert.

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Feste hüben wie drüben.

Die erste serbisch-albanische Koproduktion

Der Film schildert die zwei Aufbruchsgeschichten nacheinander und verknüpft sie über die Musik. Der Cellist Marko liefert dunkle, warme Klänge zu den Bildern, die von Niks und Maylindas Stranden an der italienischen Grenze erzählen. Subtil bringt Paskaljevic so zum Ausdruck, dass sie zwar aus verfeindeten Regionen stammen, ihr Flüchtlingsschicksal aber dasselbe ist. Feinfühlig lässt er in den Figuren zudem Ereignisse anklingen, die dem Film zeitlich vorausgingen und auch heute noch nicht überwunden sind: Krieg und Widerstand, Bruderzwist, Flucht und Nationalismus, Rassismus und Fremdenhass. Und dennoch: «Honnymoons» ist ein filmpolitisches Ereignis: die erste serbisch-albanische Koproduktion!

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Marko wird zusammengeschlagen.

Paskaljevic über seinen Film

«Ich konzipierte den Film als Triptychon. Die albanische Geschichte handelt von einem jungen Paar, das Albanien verlassen möchte, weil es die Umstände nicht erlauben, dass sie ihre Beziehung ausleben können. Die serbische Geschichte erzählt von zwei jungen Menschen, die ebenfalls nach Westeuropa aufbrechen wollen, weil sie sich dort ein Leben mit mehr Möglichkeiten erhoffen. Der dritte Teil verwebt die beiden Schicksale schliesslich, ohne dass sie im Film konkret zusammenlaufen würden. Ich bin aber überzeugt, dass die Zuschauenden am Ende den Eindruck haben, die beiden Paare bewegten sich im selben imaginären Raum, wenn sie an den Grenzen warten – die Albaner in einem süditalienischen Hafen, die Serben an einer Bahnstation der ungarischen Grenze. Nach den ersten bitteren Enttäuschungen an der Grenze zu dieser so besseren Welt, bricht für beide Paare ein neuer Tag an.»

Das Schlussbild, ein Zug, der von links nach rechts über die Leinwand fährt, bedeutet für mich: Es geht weiter. Es gibt eine Zukunft. Doch wie diese aussieht, bleibt völlig offen. Der Titel «Honnymoons» tönt für mich zu positiv. Oder ist er eventuell ironisch gemeint? Oder einfach als Anstoss weiter zu denken?

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An der Grenze heisst es Stopp – und Warten.

Aus einem Interview mit dem Regisseur: eine Lektion in aktueller Geschichte

Weil das Interview von Jorge González mit Goran Paskaljevic Interessantes über diesen Film, das Filmemachen im Allgemeinen und gleichzeitig Wissenswertes über die heutige Situation auf dem Balkan vermittelt, übernehme ich einen grösseren Auszug daraus.

Mich beeindrucken die langen Einstellungen in den Sequenzen. Sie sind typisch für Ihren Filmstil. Weshalb arbeiten Sie häufig mit dieser Form?

Weil es den Schauspielern mehr Freiraum lässt. In langen Einstellungen wird kein künstlicher Rhythmus erzeugt. Der Rhythmus kommt aus der Einstellung selbst hervor. Die Szene mit den Motorrädern hätte ich auch mit Hilfe von einigen Schnitten machen können, ähnlich wie in vielen amerikanischen Filmen. Aber ich denke, dass mehr Spannung für das Publikum entsteht, wenn man einer einzigen Einstellung folgt. Ich arbeite sehr gerne mit Nahaufnahmen der Schauspieler, mit dieser Technik kommen ihre Ausdrücke und Gefühle besser zur Geltung.

So kommen Sie den Gesichtern der Figuren näher, können die Einzelheiten ihrer Gesichtsausdrücke hervorheben und neue Perspektiven für die Szene eröffnen. Warum fahren Sie so nahe an die Gesichter heran?

Weil ich Gesichter liebe. Wenn man einen Film macht, geht es um Menschen. Und an einigen Stellen muss man Nahaufnahmen der Gesichter machen, weil ein Gesicht vielmehr erklären kann als jedes Storyboard, als das visuelle Konzept. Ich filme eine Szene so, wie ich sie fühle, ohne vorherige Überlegungen. Ich habe noch nie eine Szene aufgezeichnet, ich mache das alles spontan: Ich versammle meine Schauspielerinnen und Schauspieler um mich herum, und wir spielen die gesamte Szene wie im Theater. Wenn ich dann merke, dass die Szene zu leben beginnt, unterbreche ich die Arbeiten und spreche mich mit meinem Kameramann ab, meinem persönlichen Assistenten. Mit dieser Methode brauchen wir normalerweise eine bis drei Aufnahmen, um herauszufinden, was wir wollen. Ich finde es nicht gut, wenn die Technik wichtiger wird als die Schauspieler oder die Szene selbst. Wenn wir uns dem gesellschaftlichen Inhalt zuwenden, dann weckt insbesondere die Wahl der Drehorte meine Aufmerksamkeit.

Was hat Sie dazu verleitet, einen Film über Albanien und Serbien zu drehen und die anderenBalkanländer völlig wegzulassen?

Ich habe bemerkt, dass Albaner und Serben sehr viele Ähnlichkeiten haben, einander jedoch überhaupt nicht kennen. Unter diesen Umständen besteht eine gewisse Spannung, deshalb gefiel mir die Idee eines gemeinsamen Filmprojektes, um zu zeigen, dass sie zusammen arbeiten können. Dies ist der Grund. Ich hätte auch ein Projekt mit Serbien und Bosnien machen können, aber das wäre dann sehr offensichtlich gewesen.

Ich hatte immer geglaubt, dass Serbien in Bezug auf Wirtschaft und Politik ein reicheres Land sei, und dass sie nach dem Balkankrieg grosse Probleme mit den Albanern hatten, um eine gemeinsame politische Strategie zu finden. Ist das nicht so?

Nein, die beiden Länder sind einander sehr ähnlich. Albaner und Serben würden gerne der EU beitreten, dies haben sie gemeinsam. Dennoch mussten die Albaner eine schwierige Zeit durchstehen während über vierzig Jahren (1945 –1985) unter der Diktatur von Enver Hoxha. Meiner Meinung nach war dies das härteste Regime in Europa des 20. Jahrhunderts. Die Menschen konnten ihr Land nicht verlassen und ins Ausland reisen; es gab überhaupt keine Religion, keine Freiheit. Wir (die Serben) hatten mehr Freiraum, das unterscheidet uns ein bisschen von ihnen. Aber der Kosovo befindet sich zwischen den beiden Ländern, und das ist das grösste Problem. Wenn es keinen Konflikt gäbe bezüglich der Kosovo-Region, wären wir wahrscheinlich sehr gute Nachbarn.

Der Kosovo hatte als multi-ethnische Region bereits eine lange und problematische Geschichte während vieler Generationen. Was halten Sie von der neuen und jüngeren Generation?

Einerseits bezahlen die Jungen für die Fehler, die von den früheren Generationen begangen worden sind. Andererseits interessieren sie sich nicht für die Politik, sie haben genug davon. Vor zehn Jahren glaubten sie noch immer, dass ihre Situation besser würde, wenn der demokratische Wandel in Serbien eintreffe, nach der Ära Milosevic. Aber sie hat sich nicht verbessert. Alle Politiker, die Macht gewinnen, wollen überall auf der Welt in erster Linie das Geld in ihre eigenen Säcke stecken. Als Folge davon wurden die Erwartungen dieser Generation enttäuscht. Ausserdem sind viele dieser jungen Leute noch nie ins Ausland gereist, sie kennen die Welt also überhaupt nicht. Ein Visum zu bekommen ist sehr kompliziert für sie, und sogar wenn sie eines erhalten, haben sie kein Geld, um zu reisen. Die neue Generation steckt irgendwie tief in der Scheisse fest!

Wenn wir uns auf die Charaktere in Ihren Filmen konzentrieren, dann fällt auf, dass die Protagonisten meistens Männer sind. Wieso ist das so?

Weil der Machismus in der serbischen Gesellschaft sehr verbreitet ist, Männer entscheiden über alles. In Spanien leben Sie auch ein bisschen in einer machistischen Gesellschaft. Diesbezüglich sehe ich einige Ähnlichkeiten zwischen den Serben und den Spaniern.

Im Hinblick auf soziale Strukturen scheinen Hochzeiten eine wichtige Rolle in Ihrem Film und in Balkanländern zu spielen. Ist das so?

Hochzeiten sind die wichtigsten Anlässe. Denken Sie an den Film: Der andere Vater wartet darauf, mehr Geld zu verdienen als sein Bruder, um Vorbereitungen für die grösste Heirat überhaupt zu treffen. Sie nehmen es in Kauf, während zwei bis drei Jahren Geld zu sparen, in erbärmlichen Umständen zu leben, um den anderen zu zeigen, dass sie die beste Hochzeit durchführen können. Es macht einen verrückten Eindruck, aber genau so ist es.

www.trigon-film.org

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