Immer und ewig
Niggi und Annette Bräuning
Die unglaubliche Reise eines aussergewöhnlichen Paares
Ein Liebespaar, beide Ende 60, startet von Basel Reisen kreuz und quer durch Südeuropa. Am Steuer des Campers Niggi, ein leidenschaftlicher Fotograf und Tüftler, neben ihm Annette, seine vom Hals abwärts gelähmte Frau. Seit zwanzig Jahren ist sie rund um die Uhr auf Hilfe angewiesen. Mutig und mit Witz und Charme ringen die beiden dem Leben ab, was es an Schönem für sie noch bereithält. Wie schafft es das einst wilde Paar, allen Einschränkungen zum Trotz, immer wieder von Neuem aufzubrechen?
Im Roadmovie «Immer und ewig» erzählt ihre Tochter, die 1975 in Basel geborene Filmemacherin Fanny Bräuning, authentisch, überzeugend und berührend aus dem Leben ihrer Eltern. Sie begleitet sie auf einer ihrer Reisen und macht sich voller Neugier und Staunen auf die Suche nach Antworten: zum Umgang mit dem Schicksal, der Rebellion gegen die Krankheit, der gegenseitigen Abhängigkeit, der Gratwanderung zwischen Fürsorge und Konfliktbewältigung usw. Der Film lädt ein zu persönlichen Antworten, macht Mut bei eigenen Entscheiden und ist eine intime, stille Hommage ans Leben.
Fanny Bräuning mit ihrem Vater
Aus einem Interview mit der Regisseurin
Frau Bräuning, was liess Sie einen Film ausgerechnet über Ihre Eltern drehen? Vor neunzehn Jahren sass mein Vater am Krankenbett meiner Mutter, die auf der Intensivstation zwischen Leben und Tod schwebte. Ich hatte innerlich schon begonnen, mich von ihr zu verabschieden. Nicht so mein Vater. Noch während sie vollständig gelähmt im Koma lag, fing er an, von einem ausgebauten Kleinbus zu träumen, mit dem sie beide auch künftig noch am Leben würden teilnehmen können. Die Idee, daraus einen Film zu machen, ist dann über die Jahre langsam gewachsen.
Dieser Bus ist inzwischen Realität geworden. Ja, sie haben damit schon viele Reisen unternommen. Mein Vater gibt mit seinem Erfindergeist alles, um ihr gemeinsames Leben aufrecht zu erhalten. Mich berührt die Rebellion meines Vaters gegen die Krankheit meiner Mutter, wie er versucht, dafür seine ganze Kraft und all seine Fähigkeiten einzusetzen. Mich berührt auch der Wille meiner Mutter, weiter zu leben, trotz stärkster Einschränkungen.
Er betrachtet sie nicht als schwerbehindert? Nein, das brachte ihn sogar ziemlich in Rage, als ich einmal dieses Wort benutzte. Denn sie könne ja noch alles: essen, denken und kommunizieren. Wirklich schlimm für ihn wäre, wenn der Austausch mit ihr nicht mehr stattfinden könnte. Das hat mich zunehmend begonnen zu interessieren. Woher er die Energie für diese Wahrnehmung, diese positive Haltung nimmt? Für mich selber war die Krankheit meiner Mutter nämlich ein bisschen wie ein schwarzes Loch. Mit der Zeit begann mich die Frage umzutreiben: Wie schafft mein Vater das alles? Aber auch eine andere Frage beschäftige mich zunehmend: Wer ist eigentlich meine Mutter noch? Denn für mich selbst war sie ein wenig hinter der Krankheit verschwunden. Nicht, dass es sie nicht mehr gegeben hätte. Doch irgendwann musste ich mir eingestehen, dass ich eigentlich gar nicht wusste, wer sie ohne diese Krankheit wäre. Denn ich war zwei Jahre alt, als sie die Diagnose MS bekam, kenne sie gar nicht anders als krank. Mein Vater aber schon.
Sie wollten also quasi durch die Augen Ihres Vaters auch Ihre Mutter besser kennenlernen? Ja, ich wollte herausfinden, was er in ihr sieht. Ich glaube, es gibt so etwas wie ein unverwundbares Selbst eines Menschen, das man entdecken kann, wenn man hinter die Krankheit und Verletztheit schaut. Und ich merkte, dass meinem Vater das viel leichter fällt als mir. Weil er meine junge Mutter als gesunde Frau kannte und, wie ich glaube, auch heute noch so sieht. Mir wurde mit der Zeit immer klarer: Es muss vor meiner Geburt etwas gegeben haben, das die beiden stark verbindet, eine Art Ursprungs-Mythos, der die beiden trägt.
Wie sieht dieser Mythos konkret aus? Ich glaube, sie zehren noch heute von ihrer gemeinsamen Jugend, der Kunstszene, in der sie damals verkehrten, dem Gestalten von Bildern und Welten: er als Fotograf, sie als Grafikerin.
Was macht die Liebe Ihrer Eltern sonst noch aus? Verbindlichkeit und Hingabe. Mein Vater sieht in dieser Hingabe auch einen Gewinn. Als Bekannte meiner Eltern in eine Midlifecrisis geraten waren, meinte er, das könne ihm nicht passieren. Er müsse sich diese Sinnfragen nie stellen und sei darüber froh.
Aber nicht nur Ihr Vater tut viel für Ihre Mutter, auch sie für ihn. Ja, durch Blicke und Lächeln kommuniziert sie ihm immer wieder, «mach dir keine Sorgen, mir geht es gut. Ich danke dir.» Auch wenn sie dies oft wahrscheinlich grosse Anstrengung kostet, weil ihr wohl nicht immer danach zumute ist. Das ist ein sehr berührendes Wechselspiel. Ich glaube, ohne diese liebevollen Rückmeldungen meiner Mutter wäre mein Vater vielleicht schon ausgebrannt.
Dennoch werden im Lauf des Films auch Ambivalenzen offenbar. Zunächst wirken sie wie ein Misston, der sich zufällig eingeschlichen hat, doch dann zeigt sich diese Liebe mehr und mehr in ihrer ganzen Vielschichtigkeit. Ja, mitunter werden neben aller Fürsorge und Behutsamkeit auch Konflikte spürbar. Für meine Mutter ist ihre Abhängigkeit manchmal sehr schwer auszuhalten. Und für meinen Vater ist seine Aufgabe ja nicht nur sinnstiftend, sondern auch belastend. Er sagt im Film, das Schwierigste sei für ihn, den Lebenswillen für zwei Menschen erhalten zu müssen. Erwartet meine Mutter überhaupt alles, was mein Vater für sie tut? Im Film sagt sie, es wäre ihr manchmal sogar lieber, er würde seine Reisen mal allein machen. Denn auf Reisen ist sie abhängiger von ihm als daheim, wo ihr Pflegerinnen und Therapeuten den Alltag erleichtern.
Manchmal schwingt sogar die Frage mit, ob Fürsorge auch ins Negative kippen kann. Durchaus. Mich interessierte, was es bedeuten kann, wenn man sich gemeinsam als Paar auf all das einlässt. Für mich ist das Bild der Liebe meiner Eltern am Ende jedoch kein kitschiges, sondern ein wahrhaftiges. Der Film zeigt ihre Beziehung in all ihren Facetten, inklusive Verzweiflung und Schuldgefühlen.
Der Film kreist aber nicht nur um diese Liebe, sondern zunehmend auch um die Frage, was einen überhaupt am Leben hält. Genau. Für meine Mutter ist das zum Beispiel auch die Freude an uns Kindern und ihren Enkeln, oder einfach an den Blumen auf der Terrasse, dem Blick aus ihrem Fenster. Zudem ist ja ein bekanntes Phänomen, dass man angesichts des Todes intensiver lebt. Und meine Eltern befinden sich nun seit bald zwanzig Jahren in einem Extremzustand, in dem sie ständig an ihre Vergänglichkeit gemahnt werden. Ich denke, dass sie das Leben umso mehr auskosten, da ihnen bewusst wurde, welch ein Geschenk es ist.
Beste Grüße von einer MSLerin