Into Eternity

Der dänisch-finnische Dokumentarfilm von Michael Madsen stellt zum ersten Mal die Atomenergie menschheitsgeschichtlich und philosophisch in Frage – und es bleibt nur als einzige Antwort der Ausstieg.

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Einfahrt in den Tunnelkomplex für die Entsorgung des Atommülls

Seit Jahren streitet man in der Schweiz über Zwischenlager leicht radioaktiver Abfälle – und hat keine Lösung. Seit dem Gau im AKW Fukushima diskutiert man weltweit über die Sicherheit der Atomkraft generell – und hat keine Lösung. Bei den für die nächste Zeit angekündigten Atom-Diskussionen im Parlament ist zu befürchten, dass wieder einmal Wahlkampftaktik, Opportunismus und Mutlosigkeit siegen werden.

Gerade zur rechten Zeit kommt der Dokumentarfilm «Into Eternity» des finnischen Regisseurs Michael Madsen ins Kino. Dieser stellt zum ersten Mal die Frage der Nutzung der Atomkraft grundsätzlich und radikal. Was bedeutet es, wenn Finnland ein Grab zur Entsorgung hoch radioaktiver Abfälle baut, für die Menschheit in 100’000 bis 500’000 Jahren? Dabei gibt es heute weltweit schon 250’000 Tonnen, die endgültig entsorgt werden müssten. «Wollen wir, dass die Chinesen und Inder in den nächsten zwanzig Jahren unseren Lebensstandard erreichen, dann brauchen wir jeden Tag drei neue Kernreaktoren», stellt der Autor lapidar fest.

In Finnland wird gegenwärtig das erste und weltweit einzige Endlager für hoch radioaktiven Atommüll in den Fels getrieben: Ein riesiger Komplex aus Tunneln und Kavernen, der mindestens 100'000 Jahre überdauern soll. Denn radioaktiver Abfall muss mindestens so lange von jedem lebenden Organismus ferngehalten werden. Wird der «Onkalo» (das Versteck), so der Name des Bauwerkes, versiegelt bleiben? Wird er einmal versehentlich geöffnet? Wer kann das eine garantieren und das andere ausschliessen? Wie können wir sicherstellen, dass kommende Generationen unsere Warnung überhaupt verstehen? Wissen wir, welche Sprache und Zeichen unsere Nachkommen in jener fernen Zukunft verstehen? Hält der Bunker allen von Menschenhand oder Naturkräften verursachten Katastrophen stand? Noch nie hat ein Film derart erhellend gezeigt, wie wir wissen, dass wir nichts wissen.

«Die Antiquiertheit des Menschen»

Als erster hat der Philosoph Günther Anders (1902 – 1992) die Bedrohung der Gegenwart durch die Atomkraft ins Zentrum seines Denkens gerückt und als unerbittlicher Moralist dagegen gekämpft. Mit seinem Hauptwerk «Die Antiquiertheit des Menschen» (vor allem 1. Band aus dem Jahr 1956) wurde er zu einem der wichtigsten politischen Warner des 20. Jahrhunderts. Seine Denkwelt ist düster; denn der Mensch wurde nach seiner Analyse zum Objekt seiner technologischen Fähigkeiten und steuert auf eine Apokalypse zu, die er nicht als solche erkennt. Atomkraft-, Technik- und Zivilisationskritik seines Werkes lesen sich heute wie Prophezeiungen, deren Erfüllung wir täglich näher rücken.

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Die vom Gau in Fukushima bekannte Kühlung der Brennstäbe

Vom «Zauberlehrling» ins «faustische Dunkel»

Wir haben uns daran gewöhnt, dass Techniker über die Gefahren der Atomkraft sprechen und direkt oder indirekt darüber entscheiden, obwohl diese im Grund doch selbst ein Teil des Problems sind: nämlich mit ihrer Behauptung der «Sicherheit der Prognosen». «Sie kriegen die sogenannte Wissenschaftler-Krankheit. Für sie ist alles Routine», heisst es im Film. Philosophen, aber auch Dichter und andere Künstler stehen eher «ausserhalb» und wären, so meine ich, verlässlichere Berater. Wer lädt sie ein, wer hört sie?

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Michael Madsen in der Rolle der Dichter und Denker

Schon Goethe hat vor 200 Jahren in seinem bekannten Gedicht «Der Zauberlehrling» exakt beschrieben, worum es hier geht. Zusätzliches dazu sagt er im «Faust». Im Film übernimmt Michael Madsen die Rolle der Dichter und Denker: Mit einem brennenden Zündholz in der Hand tritt er im «Onkalo» vor die Kamera und ruft uns die Menschheitsgeschichte in Erinnerung, deren Alter sich im Vergleich mit der Halbwertszeit der Brennstäbe winzig klein ausnimmt. Wo frühere Generationen Jahrhunderte überdauernde Werke wie Gotteshäuser, Brücken, Tunnel, Städte gebaut haben, die noch heute existieren, setzt sich die moderne Gesellschaft mit der Verbunkerung des Nuklearabfalls ein finales Denkmal. «Das Stollensystem wird zur Metapher einer Reise ins faustische Dunkel», meinte Nicole Hess, als der Film 2010 am Festival «Visions du Réel» in Nyon den «Grand Prix» erhalten hatte.

«Der Rest ist Schweigen»

In der Schweiz haben wir bis heute politische Lösungen und konkrete Orte nicht einmal für den leicht radioaktiven Abfall gefunden, während in Finnland mit «Onkalo» seit dem letzten Jahrhundert an einem «Loch» für die eigenen hoch radioaktiven Abfälle baut, das im nächsten Jahrhundert fertig werden soll. Und dabei werden täglich weltweit Tonnen neuen radioaktiven Abfalls produziert.

Welche Katastrophe aber droht der künftigen Menschheit, wenn ihr der Ort überliefert ist und sie glaubt, im Endlager einen wertvollen Schatz oder ein religiöses Grab gefunden zu haben und es öffnet? Auch die Gräber der ägyptischen Pharaonen wurden bekanntlich geöffnet. Oder wenn dieser Ort «vergessen» wird und er wegen einer Naturkatastrophe oder einem technischen Leck nach aussen zu strahlen beginnt?

Solche Fragen stellt Michael Madsen in seinem Film den Spezialisten und für den Bau des «Onkalo» Verantwortlichen. Was diese antworten, sind jedoch keine Antworten, sondern nur immer neue Fragen. Warum? Weil es keine Antworten gibt, ausser einen möglichst schnellen Ausstieg. Dafür findet der Filmemacher eine erschütternde und provokative filmische Form: statische Aufnahmen und langsame Bewegungen dieses «infernalen» Bauwerkes, unterlegt mit Musik von Jean Sibelius, Kraftwerk, Arvo Pärt, Edgard Varèse. Die Aufnahmen rücken die Arbeiter, Maschinen und Gerätschaften in eine «endzeitliche» Stimmung. Schweigen ist das, was dem Publikum bleibt, in Erinnerung an Shakespeares «Hamlet» und angesichts des Schlusses des Films: «Die Hand, die mich wiegt, will den Weg mir zeigen zur Gruft, wo man liegt, in Schweigen, in Schweigen.»

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Unter dieser Landschaft strahlt der Atomabfall noch mehr als 100’000 Jahre.

«Lass alle Hoffnung fahren»

Formal eingekreist, findet sich der Zuschauer wahlweise in einem Science-Fiction-Film der 1990er Jahre, in einem Thriller, einer modernen Operninszenierung oder in Samuel Becketts «Endspiel» wieder. Seine stilistische Vielfalt bei der Annäherung an den Gegenstand macht die Qualität des Filmes, womit er formal der Bedeutungstiefe des Themas gerecht wird. So orientierungslos, wie wir uns in dem immensen unterirdischen Labyrinth fühlen, stehen wir am Ende des Films der Zukunft gegenüber. Denn wir Menschen am Anfang des 21. Jahrhunderts schreiben für unsere Nachkommen heute das tödliche Testament: «Lasciate ogni speranza», vorausgesagt in Dantes «Divina Commedia». Doch diesmal ist kein Gott, sondern sind wir allein dafür verantwortlich.

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Arbeiter bei ihrem menschheitsgeschichtlichen Werk

Informationen über Podiumsdiskussionen und weitere Hinweise über den Einsatz des Films finden sich unter www.cinelibre.ch.

Kulturplatz vom 11. 5. 2011 von SF zum Film «Into Eternity».