It Must Be Heaven
Elia Suleiman lebt in Nazareth, allein in einem grossen Haus, wo ein Nachbar in seinen Garten eingedrungen ist. Was nicht schlimm ist, da der Regisseur ohnehin verreist, um sein neues Projekt zu lancieren: den Film, den wir jetzt sehen. Dafür bereist er Paris und New York und beobachtet dort das Leben. Seine Herkunft folgt ihm dabei wie ein Schatten.
Mit seinem neuen Film, richtet der palästinensisch-israelische Filmemacher Elia Suleiman, 1960 in Nazareth geboren, seinen Blick über die Grenzen seiner Heimat hinaus und nimmt Ähnlichkeiten und Gleichheiten zwischen Palästina und der übrigen Welt wahr: Wie viel Palästina steckt in der Welt? Wie viel Welt in Palästina?
Ein stiller Beobachter
Seit mehr als zwei Jahrzehnten bereichert Suleiman das Kino mit seinen magischen und verstörenden Filmen, seinem eigenwilligen Stil und seiner imaginären Kraft. Er lässt Bilder sprechen und vertraut ihnen. Wie in den meisten seiner Werke ist er auch in «It Must Be Heaven» zugleich Protagonist und Erzähler. Als Wanderer zwischen den Welten erzählt er still und leise. Dafür zieht er von Nazareth nach Paris und nach New York und zurück nach Nazareth. Mit offenem Blick auf eine christlich orthodoxe Osterzeremonie, die in einem Theater endet, auf seinen dreisten Nachbarn, der sich vor seinem Haus an die Zitronen macht, sowie auf die sechs Polizisten in Paris, die das Café vermessen, vor dem er gerade sitzt. Durch sein Staunen über die alltäglichen Dinge des Lebens schaut auch der Zuschauer mit neuen Augen auf seine vertraute Umgebung. Suleiman hat ein grosses Talent, bei den kleinen Feindseligkeiten und Egoismen des Alltags, die als anerzogene Umgangsformen ihr Eigenleben führen, die Absurdität dahinter freizulegen. Der aufkommenden Verzweiflung begegnet er mit stillem Spott und feinem Humor. In jedem seiner Filme löst er, inmitten brutaler Unversöhnlichkeiten, sanfte Tränen und befreiendes Gelächter aus.
Grossen politischen Fragen begegnet Suleiman mit ebenso grossem poetischem Humor. Unüberbrückbar geglaubte Konflikte und Spannungen stellt er dar, indem er ihre Absurdität ausleuchtet und dann entlarvt. Die klassische Burleske ist sein Genre. Zutiefst komische Aspekte formuliert er, ohne spöttisch zu werden. Beispielsweise Fragen nach der Heimat und nach der Fremde. Wer kann da wohl solche Fragen besser beantworten als ein Palästinenser – dessen Land eben Donald Trump für ein paar lumpige Millionen kaufen will? Wo endet da die Absurdität der Kunst? Wo beginnt die Absurdität der Politik? Der Film referiert darüber semibiografisch, persönlich und welthaft zugleich.
Aus einem Kommentar des Regisseurs
«It Must Be Heaven» zeigt alltägliche Situationen von Menschen überall auf der Welt, die in einem Klima von globaler geopolitischer Spannung leben. Die Gewalt am einen Ort gleicht der Gewalt am andern. Die Bilder und Geräusche, die das transportieren, werden überall verstanden. Heute gibt es überall auf Flughäfen und in Shoppingmalls Sicherheitskontrollen. Polizeisirenen und Alarmanlagen sind nicht nur gelegentlich zu hören, sondern bilden in den Städten eine permanente Klangkulisse. Durch die Massenmedien werden wir tagtäglich mit Worten und Bildern konfrontiert, die oft, ja meist falsch sind.
Mein Film sucht dagegen Momente im Marginalen, Trivialen oder in dem, was normalerweise nicht in unserem Fokus liegt, womit er intim, zärtlich und berührend wird. Es sind die persönlichen Geschichten von der Suche nach Identität, die Fragen aufwerfen und Hoffnung geben. Wie in meinen früheren Filmen gibt es auch im neuen wenig Dialoge. Was gesprochen wird, funktioniert eher wie ein Monolog, um Rhythmus und Musikalität zu erzeugen. Anderseits entsteht das Narrativ des Films durch die unterschwellige Montage und durch Szenen, die choreografisch in Bewegungen die Burleske der absurden Welt erzählen, mit Bildern, die sich der Poesie der Stille öffnen.
Palästina als Mikrokosmos, die Welt als Makrokosmos
Nicht erst in seinem neuen Film schafft es Suleiman, unterschiedliche Stile und Tugenden von Regisseuren der Stummfilmzeit zu vereinen. Wenn Figuren, die er meist selber spielt, zuschauen, agieren und protestieren, dann oft sogar stiller als die berühmten Stummfilm-Akteure. Verwandt ist er in seiner Absurdität mit Keaton, Tati, Kaurismäky und Roy Andersson, etwa mit «About Endlessness» (https://der-andere-film.ch/filme/filme/titel/abc/about-endlessness). Suleiman ist ein grosser Schweiger, in «It Must Be Heaven» sind es gerade mal fünf Worte, die er, beziehungsweise sein Alter Ego, von sich gibt: «Nazareth» sagt er, als ihn ein New Yorker Taxifahrer nach seiner Herkunft fragt, und er präzisiert: «Ich bin aus Palästina».
Es verwundert deshalb nicht, dass sich die Welt, wie Elia Suleiman sie beschreibt, allmählich als Abbild Palästinas und Palästina als Abbild der Welt erweist, das eine wie das andere metaphorisch und realistisch zugleich. Wenn durch ein menschenleeres Paris plötzlich Panzer rollen und Düsenjäger mit ohrenbetäubendem Lärm den Himmel durchstossen, gibt dies eine Ahnung dessen, wie es sich anfühlt, ständig mit einer wirklich militärischen Präsenz konfrontiert zu sein. An einer anderen Stelle ist Palästina konkret, dann nämlich, als eine junge Frau, die mit Palästina-Flagge und «Free Palestine» auf den Leib geschrieben, von Polizisten kreuz und quer durch den Central Park gejagt wird. Auch wenn der Film in seinen Parallelen meist symbolisch bleibt, gibt es immer wieder Einbrüche in die harsche Realität. Bei einer Fahrt durch Palästina wird Suleiman von einem Polizeiwagen begleitet, in dem zwei israelischen Soldaten sitzen, die während des Überholmanövers komödiantisch ihre Sonnenbrillen tauschen, während in ihrem Wagen, gefesselt und mit verbunden Augen, eine Frau sitzt, die wohl ins Gefängnis abgeführt wird. Während des ganzen Films erinnert sich Suleiman, auch mehrere Tausend Kilometer in der Fremde, immer wieder an Palästina. Durch Paris fahren Panzer; bei Sicherheitskontrollen am Flughafen wird er schikaniert, gibt jedoch witzig zurück; im US-Supermarkt tragen alle Leute Waffen.
Das sind einige der Momente dieses detailreichen Films, die zum Weiterdenken einladen. Absurde Situationen, als Kurz- und Kürzestgeschichten inszeniert, zeigen Palästina als Mikrokosmos der Welt und die Welt als Makrokosmos Palästinas. Anders gesagt: Palästina im Herzen, die Welt im Blick. Nochmals anders: «Es müsste doch eigentlich der Himmel sein.»
Regie: Elia Suleiman; Produktion: 2019, Länge: 102 min, Verleih: Filmcoopi