Kühe, Käse und drei Kinder

Auf Augenhöhe mit Kindern: Susanna Fanzun hat mit «Kühe, Käse und drei Kinder» einen wunderbaren Dokumentarfilm über das Leben einer Familie auf der Alp Gün geschaffen: einfühlsam und anregend für Alt und Jung.
Kühe, Käse und drei Kinder

Braida, Marchet und Jon (v. l.)

In der grossen Welt der kleinen Alp Gün dreht sich vieles um die drei Kinder Braida, Marchet und Jon. Ihr Sommer hoch oben im Safiental besteht aus Kühen, Käse und dem spielerischen Lernen und Mitarbeiten. Durch die Augen der Kinder gesehen, wird die Alp zum bereichernden Erlebnis. Die Sicht der Eltern Anna und Riccardo ergänzt das Bild ihres einfachen, strengen Lebens, welches im Gegensatz steht zum Alltag der Menschen im Unterland, weshalb der Film auch Fragen des Konsums, des Komforts und der Medien stellt, ohne sie zu werten.

«Als ich selbst Mutter geworden bin, habe ich gelernt, dass die Perspektive der Kinder auf die Welt eine andere ist. Durch meine persönlichen Erfahrungen als Mutter und früher als Pädagogin hat mich diese Sicht interessiert», sagt die Bündner Filmemacherin Susanna Fanzun. Hier liegt ein Verdienst dieses Berichtes über das Leben auf einer Alp auf 1995 Meter ü. M. Die Mutter hütet, melkt und macht Butter, der Vater melkt und ist für das Käsen zuständig, die Gehilfin Aita packt überall zu. In diesem Biotop leben die Buben Jan (3) und Marchet (6) und das Mädchen Braida (8). Mit Beherztheit und Kreativität begegnen sie den Herausforderungen des Alltags, übernehmen Verantwortung und überwinden Ängste. In ihrem kleinen Universum erlernen sie die Gesetzmässigkeiten des Erwachsenenlebens.

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Eine heile, doch unsentimentale Welt

48 Kühe, fünf Hühner und ein Hund gehören zum Leben der Eltern und der Kinder, die weder Handy noch Gameboy, weder Fernsehen noch Radio haben und auch nicht vermissen. Die Kinder arbeiten, spielen, begegnen Tieren, erkunden die Natur, streiten, singen, holzen, essen und schlafen, manchmal ist ihnen auch langweilig. Die Arbeit bestimmt den Tagesablauf: aufstehen, käsen, buttern, Kühe von der Weide holen, melken, Geräte reinigen, Stall putzen, Kühe rauslassen, sie beobachten, Hühner und Schweine füttern, Zäune reparieren, kochen, essen, aufräumen, Kinder zu Bett bringen, Gutenachtlieder singen, den Wecker stellen und schlafen gehen.

«Als Filmautorin bin ich immer wieder auf der Suche des Grossen im Kleinen. Dies im Alltäglichen zu suchen, zu filmen und sichtbar zu machen, begeistert mich», meint Fanzun. Das dürfte auch bei Menschen in dörflichen und städtischen Regionen unseres Landes Respekt und Freude für und Sehnsucht nach der heilen Welt, diesmal ganz ohne negativen Unterton, wecken. Die Regisseurin und Kamerafrau hat dafür Landschaften mit grossem Feingefühl, manchmal mit bunten Farben, manchmal mit tristen Tönen, festgehalten. «Kühe, Käse und drei Kinder» kann anregen, über eine Schweiz zu sprechen, die schon heute vielen fremd ist.

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Die Buben beim Alpenrosenpflücken

Hintergründe aus einem Interview mit der Regisseurin

Frau Fanzun, wie kamen Sie dazu, einen Film über Kinder zu machen, die den Sommer mit ihren Eltern auf einer Kuhalp im Safiental verbringen? «Die Welt mit Kinderaugen zu sehen, ist spannend. Dies erfahrbar zu machen war für mich als Filmemacherin eine spannende Herausforderung. Ich hatte bereits andere Projekte mit Kindern realisiert. An einem Filmfestival in Deutschland habe ich einen schönen Dokumentarfilm über einen Buben und seine Mutter gesehen. Danach stand meine Entscheidung fest, ein Filmprojekt ganz aus der Kinderperspektive zu machen.»

In den letzten Jahren gab es Filme über das Alpwesen. Was macht diesen Film besonders? «Mein Fokus ist auf die Kinder gerichtet, wie diese auf der Alp leben und welche Erfahrungen sie dort machen können, die wertvoll für ihre Entwicklung sind. Die Alp ist dafür ein wunderbarer Schauplatz. Für mich steht nicht die Alp und wie sie funktioniert im Vordergrund. Im Film wird spürbar, was diese Erfahrungen auf der Alp für die Kinder bedeuten, auch für später.» Ein Vergleich mit andern Alp-Filmen empfiehlt sich, zum Beispiel mit «Mein erster Berg» (https://der-andere-film.ch/filme/filme/titel/mno/mein-erster-berg) von Erich Langjahr (2012), «Die Kinder vom Napf» (https://der-andere-film.ch/filme/filme/titel/def/die-kinder-vom-napf-1) von Alice Schmid (2011), «Bergauf Bergab» (https://der-andere-film.ch/filme/filme/titel/abc/bergauf-bergab) von Hans Haldimann (2008) und der Klassiker «Wir Bergler in den Bergen sind eigentlich nicht schuld, dass wir da sind» von Fredi Murer aus dem Jahr 1974.

Haben Sie Erfahrungen mit dem Alpleben? «Als Journalistin habe ich Sennen und Hirten auf der Alp besucht. Als Kind gingen wir mit der Schule einmal auf die Alp und konnten beim Käsen zusehen. Als Bauernkinder war der Alpaufzug für uns ein ganz besonderer Tag. Wir begleiteten die Kühe zur Alp Laisch, und bei jedem Bauernhaus kamen neue Kühe, Kinder, Frauen und Männer dazu. Abends kam dann die ganze Schar Menschen ohne die Kühe zurück ins Dorf. Eine unserer Kühe mochte meine Mutter besonders gerne. Die Kuh stand fast jedes Jahr nach zwei Tagen wieder vor unserem Stall. Mutter machte sich dann am nächsten Tag alleine mit der Kuh auf, und brachte sie zurück auf die Alp.» Die Autorin von «Kühe, Käse und drei Kinder», Susanna Fanzun, arbeitete von 1986 bis 2013 als Journalistin und Filmemacherin bei Radiotelevisiun Svizra Rumantscha und gründete 2012 Pisoc Pictures. Bis heute hat die mehrfach Ausgezeichnete über zwanzig Dokumentarfilme den Menschen der Region, deren Geschichte und Traditionen gewidmet.

Wie sind Sie auf diese Familie gestossen? «Die Familie lebt im gleichen Dorf wie ich, in Scuol. Mir sind die Kinder aufgefallen, ihre ausserordentliche Art zu beobachten, Dinge in die Hand zu nehmen und gemeinsam zu spielen. Auch wie die Eltern, beide Forstingenieure, mit den Kindern umgehen, finde ich beispielhaft.»

Die Alpzeit dauert gute drei Monate. Können die Kinder einfach in der Schule fehlen? «Die Eltern müssen beim Kanton eine Sonderbewilligung beantragen, damit ihre Kinder während der ganzen Alpzeit mit der Familie auf der Alp sein können. Dort gibt es während der Schulzeit Aufgaben für die Primarschülerin Braida. Marchet konnte mit dem dreijährigen Jon spielen, interessierte sich aber auch für die Schulstunden der Schwester. Die Kinder wissen, dass sie dort oben vieles lernen, was man gar nicht in der Schule lernen kann.»

Was hat Sie an den Kindern auf der Alp besonders beeindruckt? Jedes Kind ist in einer besonderen Entwicklungsphase, und das macht dieses Trio so spannend und grossartig. Jon, Marchet und Braida sind sehr selbständige Kinder, übernehmen viel Verantwortung für ihr Handeln und man bewundert sie für ihr Wissen im Umgang mit Tieren und Gefahren. Mir gefällt vor allem, wie sie mit Langeweile umgehen. Braida vermisst allerdings ihre Freundinnen. Sie schreibt ihrer Klasse schöne Briefe. Es kommt auch vor, dass die Brüder sie nerven. Dann zieht sich das Mädchen zurück und liest. Jedes Kind hat eigene Strategien entwickelt, wie es mit Langweile umgeht.»

Braida, Aita, Riccardo, Marchet, Anna und Jon (v. l.)
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egie: Susanna Fanzun, Produktion: 2014, Länge: 93 min, Verleih: Frenetic