La belle saison

Frauenbewegte 70er-Jahre: Melodrama zweier Lesben zwischen dem frauenbewegten Paris und der bäuerlichen Provinz. Catherine Corsinis Film «La belle saison» schildert einfühlsam die erotische Beziehung und das gesellschaftliche Umfeld.
La belle saison

Delphine (l) und Carole

«La belle saison», der zehnte Spielfilm der Französin Catherine Corsini, beginnt im Sommer 1971, zu einer Zeit, in der Präsident Pompidou mustergültigen Familien noch alljährlich einen Orden verleiht, um die vom Zeitgeist bedrohte Institution zu stärken. Die bodenständige und ehrliche Delphine (Izïa Higelin), Bauerntochter aus dem Limousin, spürt, dass solche Massnahmen nur mehr erfolglose Rückzugsgefechte einer überholten Ideologie sind. Persönlich fühlt sie sich zu Frauen hingezogen, schon zu Hause, aber vermehrt noch in Paris, wohin sie sich abgesetzt hat und jetzt ihre Gefühle offen auslebt. Sie verliebt sich in Carole (Cécile de France), eine ihrer neuen Freundinnen, die in einer heterosexuellen Beziehung mit Manuel lebt, deren Welt nun aber unwiderruflich aus den Angeln gehoben wird. Ihr Coming Out wird für sie zur Umkehrung eigener Konventionen. Hier ist es die arglose Provinzlerin, die die raffinierte Grossstädterin verführt. In Paris habe sie das Gefühl, schreibt Delphine ihrem Jugendfreund Antoine nach Hause, in einer Woche so viel zu erleben wie früher in drei Monaten. Der Bauerntochter eröffnet sich in der Grossstadt eine aufregende, reizvolle Welt. Durch glücklichen Zufall ist sie zu einer Gruppe von Frauenrechtlerinnen gestossen, deren sinnenfrohe Radikalität sie begeistert. Daheim gab es für ihre Furchtlosigkeit und Ehrlichkeit keinen Platz.

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Die Bauerntochter Delphine in Paris

Die Pariser 68er-Atmosphäre wird in wenigen eindrücklichen Szenen aktualisiert. Das frauenbewegte Engagement ihrer Heldinnen treibt voller Elan daher, bleibt inhaltlich jedoch gelegentlich schlagworthaft. Die Regisseurin Catherine Corsini erweist sich in ihrer Beschreibung eher als Romantikerin denn als Soziologin, was eine Anteilnahme am Leben der zwei Frauen nur fördert. Endgültig zu sich und dem gesellschaftlichen Hintergrund kommt ihr Film, als Delphine auf den elterlichen Bauernhof zurückkehren muss, nachdem ihr Vater einen Schlaganfall erlitten hat. Jeanne Lapoiries Kamera beschwört die ländliche Idylle des Zentralmassivs und versenkt sich lustvoll in den Arbeitsalltag, bei dem die Tochter ihrer Mutter Monique (Noémie Lvovsky) tatkräftig zur Seite steht. Die Filmemacherin, die selbst in dieser Region aufgewachsen ist, entwirft nicht nur ein begeistertes Bild bäuerlichen Lebens, sondern zeigt gleichzeitig, wie in der Weite der Landschaft die Enge der Menschen herrscht. Konkret wird dies in der Rolle von Antoine, der mit Delphine zusammen einmal den Hof übernehmen soll. Er wird der Frauenbeziehung wegen sitzen gelassen. Diese wiederum muss verschwiegen werden, als Carole Delphine aufs Land nachreist.

Nach der Frist des heimlichen Glücks entdeckt die Mutter erschüttert, was ihre Tochter für die Frau aus der Grossstadt zutiefst empfindet, und sie vertreibt diese vom Hof. Nun bricht der Konflikt zwischen den liebenden Frauen mit aller Gewalt durch. Delphine muss sich zwischen zwei Identitäten entscheiden. Für das Melodram bietet es sich an, dass Corsini sie mit zärtlicher Empathie schildert. Auch das Drehbuch findet für diese Zerreissprobe keine einfache Lösung, zumal auch die Mutter sich im Recht versteht.

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Turbulente Pariser Diskussionen

Cathrine Corsini, nach den Hintergründen des Films befragt

Worin bestand für Sie der Reiz, die Handlung von «La belle saison» in die 70er-Jahre zu verlegen?

«Ich verspürte das Bedürfnis, den damaligen Feministinnen, die oft verunglimpft oder als sexuell frustrierte Emanzen beschimpft wurden, meinen Respekt zu zollen. Ich selbst war zwar über viele Jahre hinweg keine sonderlich engagierte Feministin, ja ich tendierte sogar dazu, mir die Vorurteile, die man ihnen gegenüber hegte, selbst zu eigen zu machen. Dann aber begriff ich, dass ein Grossteil der Errungenschaften, die für mein heutiges Leben ganz selbstverständlich sind, eben diesen Frauen zu verdanken sind, die sich damals engagiert und wirklich gekämpft haben. Ich hatte begriffen, dass beim Feminismus das Menschliche im Mittelpunkt stand – und dies war denn auch der Kerngedanke, von dem ich mich bei der Arbeit am Skript habe leiten lassen.»

 Der historische Stoff ist sehr eng mit der intimen Beziehung zwischen Delphine und Carole verwoben

«Wie Geschichte und Intimleben zusammenbringen? Diese Frage stand im Mittelpunkt unserer Diskussionen beim Schreiben des Drehbuchs. Wie kann man sich einerseits politisch engagieren und mutig für andere einsetzen, wenn man andererseits so viel Mühe hat, im eigenen Privatleben seine Sache zu vertreten? Dieser Widerspruch hat mich tief berührt: Delphine fühlt sich gehemmt, so weit es ihre Intimsphäre betrifft, gleichzeitig hat sie aber den Mut, einen Schwulen aus der geschlossenen Psychiatrie zu befreien und einen Arzt, der sich als Abtreibungsgegner starkmacht, mit einer Kalbslunge zu bewerfen.»

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Carole folgt Delphine aufs Land

Sie kontrastieren das Politische mit dem Privaten. Besonders greifbar wird dies in der Szene mit Manuel

«Die Figur des Manuel mag ich ganz besonders. Ich fand es reizvoll, zu beobachten, wie er Carole mit ihren eigenen Widersprüchen konfrontiert, indem er ihr sagt, dass wahres Engagement nicht nur im Kreise von ein paar Freundinnen stattfinden sollte, die sich in einem Hörsaal treffen. Man kann ihm da durchaus recht geben. Er hat Carole gerade deswegen geliebt, weil sie ebenso frei war wie er – und daran möchte er sie nun erinnern.»

Wie erklärt sich die Lust, so viel nackte Haut zu zeigen?

«Die Nacktheit zu inszenieren, folgte gewissermassen der Logik der damaligen Zeit. Plötzlich fand man es normal, sich nackt zu zeigen. Seltsamerweise hat uns die Lust, so viel nackte Haut zu zeigen, aber erst ganz allmählich während der Dreharbeiten überkommen. Ich habe mich von Cécile de France, die Carole spielt, mitreissen lassen. Mir gefiel das Aussehen, das man ihr verpasst hatte. Letztlich war also sie schuld an dieser Freizügigkeit. Für die Szene, wo sich die beiden Protagonistinnen in den Feldern der Liebe hingeben, war im Drehbuch kaum etwas festgelegt: Es ist ein Moment purer Fleischlichkeit, der wegen der Kühe, die gleich daneben zu muhen anfangen, ins Komische kippt.»

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Monique, zwischen Verstehen und Ablehnen

In der Szene, wo die Mädchen mit Mutter Monique beim Picknick zusammensitzen, liesse sich denken, dass letztere für die Argumente und den Freiheitsgeist von Carole empfänglich sein könnte ...

«Der Moment, von dem Sie gerade reden, ist einer ganz kleinen Improvisation am Ende einer Szene zu verdanken. Cécile de France, die Carole, und Noémie Lvovsky, die Monique spielt, verleihen ihren Figuren hier einen subtilen Zug, der zumindest die Möglichkeit eines wechselseitigen Verständnisses erahnen lässt. Jedenfalls treten sie hier dem Eindruck entgegen, als handle es sich bei der Mutter um eine gänzlich unaufgeschlossene Frau.»

... Andererseits ist auch die Szene, in der die Mutter Carole brutal vor die Tür setzt, durchaus glaubwürdig

«Noémie Lvovsky ist eine wunderbare Schauspielerin, und die grosse Frage, die sie sich stellte, war gerade die, ob man diese Szene wohl plausibel finden würde. Doch wenn sie in der Rolle der Mutter Carole anschreit, sie sei der Teufel in diesem Haus, dann wird klar, dass es pure Angst ist, was sie so heftig reagieren lässt. Angst vor etwas Unbekanntem, das ihr unvorstellbar und pervers erscheint: die Homosexualität ihrer Tochter.» Interview von Claire Vassé

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Folgt ihr Carole nach Paris?

Das Private und das Politische

«La belle saison» spielt auf dem Hintergrund des Mai 68 in Paris und der dortigen und damaligen Frauenbewegung, obwohl «Le deuxième sexe», das Standardwerk von Simone de Beauvoir, schon 1949 erschienen war, seit 1967 die Anti-Psychiatrie und seit 1975 die Anti-Pädagogik europaweit im Vormarsch waren.

Der kluge, unterhaltsame und mit leichter Hand gedrehte Film behandelt darüber hinaus ein zeit- und raumübergreifendes, allgemein menschliches Thema zwischen individueller Selbstverwirklichung im Geschlecht und gesellschaftlicher und familialer Normerfüllung, exemplarisch im Paar von Delphine und Carole.

Auf diesem Boden und mit diesem Geist entstand, beherzt, mitunter frech, eine Hommage an die jungen Frauen der ersten Stunde des Feminismus und der Lesbenbewegung, deren Gemeinschaftssinn, Kreativität, Selbstständigkeit und erotischer Sinnlichkeit.

In seiner Ausweitung auch auf die Länder rund um Frankreich, vor allem Deutschland, stellt der Film von Catherine Corsini ein anschauliches Beispiel dar für die in jener Zeit postulierte Formel, dass das Private stets politisch und das Politische stets privat sei.

Regie: Cathrine Corsini, Produktion: 2015, Länge: 105 min, Verleih: Cineworx