La classe

Fragen an die multikulturelle Schule

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Im 20. Pariser Arrondissement, einem Multi-Kulti-Viertel und sozialem Schmelztigel, versucht ein junger Lehrer, Unterrricht zu geben und kommt dabei an seine Grenzen.

Der nach dem Roman «Entre les murs» von Laurent Cantet realisierte Spielfilm «La classe (Entre les mures)» kommt wie ein Dokumentarfilm daher. Eine Kamera war stets auf den Schüler einer Haupthandlung, eine auf Nebensachen und die dritte auf den Lehrer gerichtet – weshalb das Publikum sich als Teil des Geschehens erlebt.

François bereitet sich auf das neue Schuljahr vor, versucht mit viel Einsatz nicht nur Schulwissen zu vermitteln, sondern auch Respekt und Toleranz. Im Klassenraum mit den 14- bis 15-Jährigen unterschiedlicher Nationalitäten prallen die Meinungen und Kulturen jedoch hart aufeinander. Fast Unmenschliches hat er zu leisten an Motivation, Selbstbeherrschung und Frustrationstoleranz. Der Film stellt radikale Fragen zur Situation des Lehrberufs und der künftigen Schule: ausgehend von den Fakten, dass die beginnende Völkerwanderung noch zunimmt, und dass die Schule die dadurch geschaffene Probleme weiter zu lösen hat.

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Lehrer Sein ohne Hoffnungen

Als Nicht-Pädagoge kann man im Blick auf auf das brillante Spiel der jungen Crew ihnen grosse Natürlichkeit und Selbstsicherheit attestieren. Doch wer als Lehrperson engagiert ist, erkennt in vielen Szenen, situativ und dramaturgisch zugespitzt, was er oder sie an blockierendem Schülerdesinteresse, provokativer Kommunikationsverweigerung im eigenen Schulalltag wieder.

Wer sich während den mehr als zwei Stunden in der Rolle des Lehrers eintaucht, hält es kaum aus, man leidet: Von den Lehrpersonen, die ich kenne, überlebt das höchstens jede zweite. Wie kann François sich immer neu motivieren, in den Auseinandersetzungen sich zurückhalten und fair bleiben angesichts der Provokationen, Verweigerung und Widerstände? Und das nicht bloss während einer Stunde, sondern ein ganzes Jahr. Kaum verstellbar, dass ein Mensch das mehr als zwei, drei Jahre aushält. Und dann? Wie soll das weitergehen? Mir persönlich fiel am Schluss des Filmes unvermittelt der Satz aus Dantes «Commedia» ein: «Lasciate ogni speranza» und will mich auch heute nicht verlassen.

Lösungen dringend gesucht

Hier drängen sich Fragen auf wie: Warum gelingt hier die Integration nicht, obwohl hochmotivierte Lehrpersonen sie versuchen? Wie kann die Schule künftig ihren Bildungsauftrag erfüllen, wenn sie ausgelastest ist mit Nach-Erziehung? Ist die Einrichtung Schule dafür überhaupt noch das richtige Instrument, oder müsste mehr als heute die Soziale Arbeit Erstarbeit leisten?

Als schnelle, wie meist gefährliche Antwort drängt sich auf: Weg mit den Fremden, dann ist das Problem gelöst! Doch angesichts der politischen und moralischen Zielvorstellung einer sich herauszubildenden Weltgemeinschaft kann das nicht die Antwort sein. Von unserer Sozial- und Bildungspolitik sind neue und differenzierte Antworten gefordert. Der Film «La classe» aus einer Stadt, wo die Probleme zugespitzter sind als bei uns, kommt gerade noch zur rechten Zeit, damit wir uns vorbereiten können, die wirklichen Probleme der Schule zu lösen und nicht weiterhin Geld und Zeit verschwenden für Selbstverständlichkeiten wie die Schul-Harmonierung oder die vom Wesentlichen ablenkenden Pisa-Spielereien.