Les Choristes

Wenn Lehrpersonen in der Schule bei einem Kind erzieherisch am Anschlag sind, gibt es oft als letzte Lösung nur noch eine Heimeinweisung.

Was in Jugendheimen, Beobachtungsstationen, sozialpädagogischen Gruppen oder Arbeitserziehungsanstalten geschieht, wie Sozialpädagogen oder Sozialbegleiterinnen dort ihre Arbeit verstehen, das unterscheidet sich wesentlich von der Arbeit in der Schule. Diese verwandte Tätigkeit jedoch besser kennen zu lernen, dürfte auch für Pädagoginnen und Pädagogen wichtig sein. Der Film «Les choristes» von Christophe Barratier, der gegenwärtig im Kino läuft, gibt solche Einblicke, wenn auch nicht in die aktuelle schweizerische Situation, sondern in die französische der fünfziger Jahre.

Frankreich 1949. Man kämpft mit den Folgen des Zweiten Weltkrieges. Um die Resozialisierung der vielen Waisen, Halbwaisen und traumatisierten Kindern voranzubringen, gründete der Staat Wiedereingliederungszentren und erstellt für jedes Problemkind ein psychologisches Profil. Dies der geschichtliche Hintergrund des Films.

Die Brutalität, die dauert, und das Glücks, das aufblitzt

Der arbeitslose Musiker Clément Mathieu (grossartig verkörpert von Gérard Jugnot) tritt in einem solchen Heim die Stelle als Hilfslehrer an. Keine einfache Aufgabe, wie er schon am ersten Tag feststellt. Nicht nur ist das Internat ein düsterer Ort, sondern auch die Zöglinge benehmen sich ziemlich ausgelassen. Ein durch einen Bubenstreich verletzter Mitarbeiter flüstert ihm, um ihn zu warnen, beim Abschied noch schnell die Namen der schlimmsten Bösewichter zu.

Doch mehr Mühe als die Buben, die seine Nerven und Erziehungsmethoden auf die Probe stellen, bereitet ihm der Direktor, der seine Zöglinge mit rabiaten Methoden zur Vernunft zu bringen versucht. Gewalt wird mit Gewalt vergolten. «Action –Réaction» heisst es in seinem Jargon. «So nicht!». sagt sich Mathieu. Doch aufgeben will er auch nicht. Also macht er wo immer möglich Widerstand und stellt sich auf die Seite der Buben. Er beginnt mit ihnen zu singen und verwandelt den Haufen rotznasiger Taugenichtse in wenigen Wochen in einen engelsgleichen Chor. Die jungen Burschen im Heim – und wir im Kino – erleben die heilende Wirkung des Gesangs und der Musik. Auch wenn der Film nicht glücklich endet, lässt er das Glück doch für kurze Augenblick aufblitzen. Und wir wagen zu hoffen, was doch wesentlich zum Ethos des Erziehers, der Erzieherin gehört.

Von der Ethik der Erziehung

Ähnlich wie in «Être et avoir», dem französischen Dokumentarfilm über einen Dorfschullehrer, wird hier ein Erzieher porträtiert, dessen Wirken wir im Kino zu unserem als Pädagoge und Pädagogin in Beziehung setzen können. Darum steht für uns auch nicht so sehr die Ästhetik des Films im Vordergrund, als vielmehr die Fragen: Wie hätte ich mich in dieser oder jener Situation verhalten? Wo hätte ich anders gehandelt? Wie werden in der Erziehung Veränderungen möglich? Woher nimmt Clément Mathieu seine Kraft? Wo finden wir sie in unserem Erziehungsalltag? Es geht also um die Ethik der Heimerziehung, der Erziehung allgemein. Der Film provoziert meine Stellungnahme, besser unsere Stellungnahme, wenn wir den Film gemeinsam sehen und uns damit auseinandersetzen.