Like Father, Like Son

Mit «Like Father, Like Son» schenkt uns der Japaner Hirokazu Kore-eda ein filmisches Meisterwerk von universaler Bedeutung.

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Der gut situierte Architekt Ryota und seine Frau Midori erfahren, dass ihr sechsjähriger Sohn Keita nicht ihr eigenes Kind ist, weil zwei Babys nach der Geburt im Spital vertauscht wurden. Die Frage stellt sich nun, wollen sie und das andere betroffene Elternpaar, einfache Leute mit drei Kindern, den vermeintlichen Sohn gegen den wirklichen eintauschen? Nach sechs Jahren Kindheit? Wollen sie prozessieren? Suchen sie eine andere Lösung? Und grundsätzlich ergeben sich daraus Fragen wie: Was ist ein Vater? Wie wird man Vater? Was sind Eltern? Wie wird man Eltern?

Ein Vater wird geboren

Vor sechs Jahren ist Hirokazu Kore-eda, der Schöpfer von «Like Father, Like Son», einer der Grossen des Weltkinos, selbst Vater geworden. Dies hat ihn veranlasst, nachdem er schon sein ganzes übriges Werk dem Thema Familie gewidmet hat, diesmal explizit dem Thema Vater einen Film zu widmen. «Ich kann sagen, dass das Vater Werden sich nicht von selber ereignen kann, sondern dass das Kind einen Vater aus einem macht», fasste er seine persönliche Erfahrung zusammen, die ihm auch für die Arbeit am Film diente.

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Ryota mit seinem Sohn Keita

Blut, Zeit oder was Anderes macht einen Vater?

Vor einiger Zeit hat die Regisseurin Lorraine Lévy mit «Le fils de l’autre» die gleichen Fragen am Beispiel einer israelischen und einer palästinensischen Familie gestellt, doch anders gelöst. Ihr ging es darum aufzuzeigen, wie sich der Nahostkonflikt in dieser Situation widerspiegelt. Kore-eda, der würdige Nachfolger der drei grossen japanischen Filmregisseure Ozu, Mizoguchi und Kurosawa, zielt auf Allgemeinmenschliches, Existenzielles.

«Sind Sie Vater? Oder Mutter? Stellen Sie sich vor, man würde Ihnen mitteilen, Ihr sechsjähriger Sohn sei nicht Ihr eigenes Kind, weil es damals nach der Geburt im Spital zu einer Vertauschung kam, die erst jetzt eingestanden wurde. Möchten Sie nun „Ihr“ Kind behalten, oder möchten Sie das Kind, mit dem sie die ersten sechs intensiven Jahre verbracht haben, gegen Ihr leibliches eintauschen?» Mit diesen Sätzen spricht Walter Ruggle, ein Kenner des Regisseurs, uns persönlich an. Die Geschichte bei Kore-eda ist, wie meistens bei ihm, einfach, doch sie bildet lediglich den Vorwand für das innere Drama der vier Protagonisten. Und dieses verlangt adäquate Antworten, für welche mir die Worte fehlen. Es bräuchte Poeten oder Philosophen, und da ich das nicht bin, hole ich mir bei einigen von ihnen Hinweise, vielleicht sogar Antworten.

So bei Khalil Gibran mit seinem bekannten Text: «Eure Kinder sind nicht eure Kinder. Es sind die Söhne und Töchter von des Lebens Verlangen nach sich selber. Sie kommen durch euch, doch nicht von euch. Und sind sie auch bei euch, so gehören sie euch doch nicht.» Weist dieser Text nicht in eine Richtung, die den Film aufhellen kann?

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Der zweite Vater, mit Ryusei, seiner Schwester und Keita

Über die Geburt des Menschen

Eine Frau wird während neun Monaten und der Geburt Mutter. Wird ein Mann durch die Zeugung Vater? Sind es die Gene, ist es das Blut, das den Mann zum Vater macht? Oder ist es die Zeit, die er mit dem Kind verbringt? «C’est le temps que tu as perdu pour ta rose qui fait ta rose si importante», heisst es in einem poetischen Bild in «Le petit prince» von Antoine de Saint-Exupéry. Zeigt nicht auch dieser Satz in die Richtung auf eine Erklärung? «Perdre le temps» gelingt von den beiden Vätern Ryusei besser als Ryota. Jener tollt mit den Kindern auf dem Spielplatz und scherzt in der Badewanne; dieser versucht es zwar auch, doch erst zaghaft und etwas hilflos. Dieses Zeit Verbringen geschieht oft im Spiel. Es ist, nach der Abkehr vom Stress, der Spielende, der «Homo ludens», gefragt. Dass dieses Spielerische die ganze Geschichte hindurch den beiden Frauen besser gelingt als den Männern, ist offensichtlich, uns wohl auch aus dem persönlichen Alltag bekannt.

Was dann geschieht, ist in meinen Augen das Zentrum der Geschichte: die Geburt des Vaters und zutiefst die Geburt des Menschen. Darüber hat Erich Fromm geschrieben: «Die Geburt ist nicht ein augenblickliches Ereignis, sondern ein dauernder Vorgang. Das Ziel des Lebens ist es, ganz geboren zu werden, und seine Tragödie, dass die meisten von uns sterben, bevor sie ganz geboren sind. Zu leben bedeutet, jede Minute geboren zu werden. Der Tod tritt ein, wenn die Geburt aufhört.» – Vielleicht macht einen der Film deshalb manchmal traurig, weil er aufzeigt, dass auch uns diese «Geburt» (noch) nicht gelungen ist, dass wir (noch) nicht «Vater» sind.

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 Mütter gehen mit der Mutterschaft anders um als Väter mit der Vaterschaft.

Kore-eda, der Regisseur der Familie

Hirokazu Kore-eda ist der unbestrittene Meister in der Schilderung familiärer Situationen. Er erzählt dazu vordergründig ganz einfache, hintergründig von Leben und Lebenserfahrung erfüllte Geschichten. So auch in den früheren Werken «I Wish» (2011), «Still Walking» (2008), «Nobody Knows» (2004) und «Wonderful Life» (1998). Der neue Film «Like Father Like Son» ist unterhaltsam, weil man darin immer wieder Neues entdecken^kann, besinnlich, weil er Sinn vermittelt, eindrücklich, weil er die Vater- und letztlich Mensch-Werdung formal in vollendeter Weise zeigt. In den Landschaften, den Räumen, im Dekor, der Bildgestaltung, mit der Musik, den Geräuschen und der Montage. Nichts ist hier zufällig und grundlos. Seine formale Meisterschaft erinnert mich an einen Satz von Béla Balàsz, der die Geschlossenheit gerade dieses Werkes begründet: «Der Film kennt kein „rein Äusserliches“ und keine „leere“ Dekorativität. Eben weil im Film alles Innere an einem Äusseren zu erkennen ist, darum ist auch an allem Äusseren ein Inneres zu erkennen.»

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