Limelight

Suchen nach dem verlorenen Glück

Charles Spencer Chaplin (1889 bis 1977) hat mit «Limelight» seinen grossen Alters-Film geschaffen. Darin erzählt er berührend und anregend zugleich, wie ein alternder Clown eine junge verzweifelte Tänzerin vor dem Selbstmord rettet und später die gerettete Terry dem nun selbst lebensmüden Calvero zu neuem Lebensmut verhilft – wie Alt und Jung auf einander angewiesen sind und sich gegenseitig brauchen.

Kampf ums Glück

«Das Alter muss der Jugend weichen im Glanze des Rampenlichts», heisst es am Anfang des Films, und wir sehen die junge Balletttänzerin Terry reglos im Bett liegen. Chaplin kommt, angetrunken wie ein «alter Sünder", nach Hause, riecht auf dem Flur das Gas, bricht die Türe auf, trägt die Frau heraus, rettet sie, sorgt für sie und redet ihr Mut zum Weiterleben zu: «Der Kampf ums Glück ist wunderbar».

Sie wollte aus dem Leben scheiden, weil ihre Beine gelähmt waren. Er erlebt später, einstmals hoch umjubelte als Calvero, wie das Publikum aus seiner Aufführung herausläuft. «Ich bin fertig», stellt er fest. Und jetzt ist es Terry, die ihm Mut macht, obwohl sie selbst noch nicht gehen kann, doch in diesem Moment tragen sie ihre Füsse wieder und sie verlassen, Arm in Arm, das Haus, wissend: Es wird gut werden.»

Aussen- und Innenansicht

Mit «Modern Times» schuf Chaplin 1932 eine grossartige Aussenansicht des zwanzigsten Jahrhunderts, das bestimmt wird durch die Industrialisierung, den Aufstieg des Kapitalismus, die Ausbeutung der Arbeiter und den Klassenkampf, aber auch die Technik, die Segen und Fluch zugleich bedeutet, und versüsst wird durch die kleinen privaten Freuden des Alltags.

«Limelight» zeigt uns zwanzig Jahre später eine geniale Innenansicht dieser Welt: Charles Chaplin fragt darin in poetischen Bildern nach dem, «was die Welt im Innersten zusammenhält» (wie J. W. von Goethe im «Faust»). Er findet seine Antwort in einem Gleichnis: in den Beziehungen zwischen den Menschen, in seinem tiefen Humanismus, der sie verbindet.

Ich liebe dich

Was ist es jedoch, von nahe besehen, was diese, unsere Welt zusammenhält? – Terry braucht Calvero, Calvero braucht Terry. Jeder Mensch braucht den andern. Allein ist jeder verloren und stirbt. Erst das Du erweckt ihn zum Leben, erhält ihn am Leben. Das sich zum andern hinwendende Du. Das Du des Mit-Leids und der Mit-Freude. «Bei dir bin ich immer glücklich. Ich liebe dich», meint er zu ihr. Das Du des Mit-Seins ist es zutiefst: «Ich werde geliebt, also bin ich» (Thomas von Aquin).

In «Limelight» verkörpern dies ein Mann und eine Frau, ein Alter und eine Junge. Beide sind sie Künstler, Menschen, die etwas kreieren, die das Grösste, was uns aufgetragen ist, kreieren: das eigene Leben. Beide sind sie Lebens-Künstler. Ohne je belehrend zu wirken, erzählt Chaplin eine Geschichte, die zeigt, was Glück im Leben sein kann – was auch uns Zuschauende für die Länge des Films und darüber hinaus glücklich macht.

Auf dem Weg

Wir alle erleben Glück, das nie von Dauer ist. Das nur Augenblicke währt. Das kommt und geht. Das nie gestillt wird. Das nie ans Ziel kommt. Das immer auf dem Weg ist. «Limelight» wirkt glaubwürdig, weil Chaplin in seinem ganzen Oeuvre ein «ewiger Tramp» war: ein Mensch auf dem Weg, ein Gehender, ein «homo viator» (Gabriel Marcel). Den Film durchdringt ein felsenfester Glauben an das Gute, das gute Ende. Und deshalb tanzt Terry am Schluss, während Calvero im Sterben liegt, auf der Bühne – der Bühne des Lebens.

Mit einem ähnlich vertrauenden Blick auf das künftige Glück erlebte ich den damals achtzig-jährigen Chaplin mit seiner Gattin Oona O'Neil bei einem Besuch in seiner Villa in Corsier-sur-Vevey. Dieses «einzige Genie, das der Film hervorgebracht hat» (S. M. Eisenstein), verdient diesen Titel nicht bloss seiner formalen Meisterschaft, sondern mehr noch seiner Menschlichkeit wegen. Er ist und bleibt ein Genie der Freundlichkeit, der Freundschaft, der Liebe.