Love Island

Liebe: alles inklusive: Die Kroatin Jasmila Žbanic schuf mit «Love Island» eine wunderbare Sommerkomödie und gleichzeitig einen tiefschürfenden Film-Essay über die Liebe.
Love Island

Grebo und seine hochschwangere Frau Liliane gönnen sich einen wohlverdienten All-inclusive-Urlaub in einem Hotelresort an der Adriaküste. Sun, Fun and Nothing to Do. Was will man mehr? Am Abend erfreut er die Hotelgäste mit einem Song und erinnert damit seine Frau an einen Rocker, in den sie einmal verliebt war. Doch die grosse Überraschung ist das Zusammentreffen mit der mysteriösen Flora. Die charismatische, verführerische junge Frau sorgt für Gefühlswallungen aller Art und stellt das junge Ehepaar auf die Probe. Geheimnisse aus der Vergangenheit lassen sich auf der «Liebesinsel» nicht lange verbergen …

Tagsüber verweilt man sich am Pool, bestellt Drinks und zeigt stolz seinen blauen Bändel am Handgelenk: «All Inclusive». Man gehört dazu, hat das Gefühl, jemand zu sein. Abends steigt die Fete im Dancing, wo die Animatorin verkündet: «Tonight You Are the Stars.» Grebo gibt beim Karaoke seinen Lieblingssong «Wind of Change» der Scorpions zum Besten. Das Lied wird ihn den Rest der Ferien verfolgen, wird zum Programm: Ein anderer Wind ist angesagt, auch für den Macho Grebo …

Autorin erfolgreicher Frauenporträts

Die Regisseurin von «Love Island», Jasmila Žbanić, wurde 1974 in Sarajevo geborgen, besuchte die Akademie für darstellende Kunst, arbeitete als Puppenspielerin in den USA und begann 1997, allein oder mit anderen zusammen, Dokumentarfilme, Videos und Kurzfilme zu realisieren. Ihre Arbeiten wurden auf Filmfestivals und Ausstellungen präsentiert. Zu den Höhepunkten ihres Schaffens zählen ein Kurzfilm, der einen Blick auf die unterschiedlichen Lebenswege zweier Mädchen wirft, einer Kroatin und einer Bosnierin; ein Dokumentarfilm über eine bosnische Mutter auf der Suche nach ihren Kindern; eine bewegende Beschreibung einer jungen Frau, die während des Krieges schwer verletzt wurde und schmerzhaft wahrnimmt, wie ein Fotograf Bilder von ihr machte. Mit «Grbavica» gewann sie den Goldenen Bären in Berlin. Es folgte «Na putu», die beiden Spielfilme waren in den Schweizer Kinos.

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Grebo, Flora und Juliane

Anmerkungen der Regisseurin

«Wir haben den Film auf der wunderschönen Insel St. Nikola gedreht, die im adriatischen Meer liegt, vor der Halbinsel Istrien, in der Nähe des kroatischen Porec. Wir hatten ein Resort gesucht, das einen eigenständigen Charakter sowie Atmosphäre und Energie hat. Die Schönheiten der Adria sind ein wichtiger dramatischer Aspekt in der Handlung: Durch sie kommen die Schönheit der Figuren und deren Geschichten zum Tragen. Das Meer und die Sonne sind elementare dramaturgische Katalysatoren im Ganzen.»

«Ich bin erstaunt, wie gewisse Orte und spezielle Zeiten das menschliche Wesen dramatisch beeinflussen und verändern können. Das wird während Ferien am Meer besonders deutlich, wenn Menschen sich entblössen. Wenn man lange Zeit am Swimmingpool verbringt, so scheint es, vergisst man Soziales und gängige Schranken. Ferien sind die Zeit des Jahres, in der wir uns vom täglichen Trott und der Routine lösen. Diese eigenartige Chemie wollte ich einfangen.»

«Humor erlaubt uns, uns selber als etwas Relatives zu sehen, das ohne die Gewissheit lebt, das Paradies zu erlangen. Humor bringt uns in eine Dimension, in der wir die Dinge anders wahrnehmen.»

«In Bosnien lebend, war ich mit der schrecklichen Nachkriegszeit konfrontiert, was mich emotional berührt und betroffen hat. „Love Islandist nicht als unterhaltsamer Versuch gedacht, der harten Wirklichkeit zu entkommen. Es ist die Vision einer anderen Realität, der Versuch, bewusst zu machen, dass diese Utopie auch Wirklichkeit sein kann.»

«In „Love Island“ wollte ich die Vergangenheit als eine verführerische Frau zeigen, die an einem Tag auftaucht, an dem sie von niemandem erwartet wird. Wie verändert uns das, wie verändern sich unsere Beziehungen? Wie gehen wir überhaupt mit der Vergangenheit und mit anderen, die aus der Vergangenheit kommen, um? Wie wird die Vergangenheit in einen neuen Kontext transformiert, insbesondere dann, wenn es mit Sexualität zu tun hat?»

«Die Sexualität und die Gesellschaft stehen im Zentrum, hier konzentriert in der Geschichte eines jungen Paares. Die Kontrolle unseres sexuellen Verhaltens durch Familienwerte definiert unser politisches Denken und den Grad unserer menschlichen und politischen Grenzen. Der Film mag weit entfernt sein von aktuellen politischen Themen, doch für mich bleibt das Thema von Familie und sexuellen Beziehungen ein grundlegend politisches. Auch die Art, wie dieses Thema behandelt wird, drückt für mich eine politische Haltung aus: Nichts ist statisch, menschliche Werte sind nicht in Stein gemeisselt, sie können unterschiedlich interpretiert werden.»

«Der Song „Wind of Change“ ist er ein wichtiges Lied für uns, die wir aus dem Sozialismus kommen. Nachdem dieser Song ein Welthit geworden war, kollabierte unsere Welt.»

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Sie lebten, arbeiten und liebten sich

Von der Sommer-Komödie zum Essay über die Liebe

«Wie schön ist doch die Jugend, die uns permanent entflieht. Wer glücklich sein will, sei es, denn fürs Morgen gibt es keine Gewissheit.» Diese Aussage des Besitzers der Insel zeigt die Richtung des ganzen Filmes an. Weiter führen seine folgenden Sätze: «Wir alle sind Verbannte der Vergangenheit. Studiere das Gewesene, wenn du die Zukunft verstehen willst.» Damit ist auch die Zeitachse der Handlung: von der Vergangenheit in die Zukunft.

Liliane erläutert ihre Sicht: «Wir haben nicht genügend Zeit. Zwei Jahre reichen nicht aus, um einander wirklich kennenzulernen. Wir müssten sechzig Jahre zusammen leben, um die Wahrheit zu erkennen», und wird dann persönlich: «Als ich zwanzig Jahre alt war, lebte ich mit drei Frauen zusammen. Eine war Flora. Wir waren uns sehr, sehr nahe. Sie war die Liebe meines Lebens. Wir lebten zusammen, arbeiteten zusammen und machten Liebe zusammen. Dann haben wir uns getrennt.» Jetzt ist es ausgesprochen, was Grebo nur schwer verdauen kann. Dennoch: Er vergibt ihr zwar. Doch, was gibt es da zu vergeben? Es war Liebe! Suchen wir eine Erklärung für diese Äusserung, dann landen wir wohl bald einmal beim Kirchenvater Augustinus, der geschrieben hat: «Liebe und tu, was du willst.» Der Zufallsbekannte von Grebo hilft dem Begriffsstutzigen weiter: «Du und ich, wir sind die Vergangenheit. Ich verfluche die Ehe und denjenigen, der sie erfunden hat. Es gibt nichts Besseres als in Sünde zu leben, ohne sie könnte ich nicht leben.» Und dann tun die beiden Männer, was zuvor die Frauen bei ihrem Wiedersehen getan haben.

Das traditionelle, Jahrhunderte, wenn nicht gar Jahrtausende rückwärts gewandte Leben und Lieben hat keine Zukunft, das sagt der Film von Jasmila Žbanic. Wie die Kroatin dies in Form einer märchenhaft schön inszenierten und gespielten Geschichte erzählt, ist sensationell, ihren Ideen zu folgen, lohnt sich, so meine ich. Gerade heute, wo da und dort ideologisch und politisch Formen der Liebe neu diskutiert und legalisiert werden.

Vorpremieren:
Zürich: Mittwoch, 17. Juni, 12h15, Arthouse Le Paris, Lunchkino Special
Baden-Wettingen: Mittwoch, 17. Juni, 20h30, Kino Orient, 20h30