Lovely Louise

Eine Mutter-Sohn-Symbiose Nach ihrem Erfolgsfilm «Herbstzeitlosen» erzählt Bettina Oberli in «Lovely Louise», zwischen Komödie und Tragödie pendelnd, die Geschichte eines alternden Muttersöhnchens und seiner dominanten Mutter.

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Annemarie Düringer als nur selten «lovely» Louise

Der leicht ergraute Mittfünfziger André (Stefan Kurt) wohnt noch bei seiner achtzigjährigen Mutter Louise (Annemarie Düringer). Er führt ein unspektakuläres Dasein als Taxifahrer und Tüftler, der mit dem Charme eines Zukurzgekommenen sich kaum traut, die schöne Würstchenverkäuferin Steffi (Nina Proll) auf dem Modellflugplatz anzusprechen. Eines Tages steht ein Fremder (Stanley Townsend) vor der Tür, der schillernde Bill aus Amerika, der als sein Halbbruder schon bald die Zweisamkeit des Paares auf den Kopf stellt. Zum ersten Mal im Leben erwacht André aus seiner Lethargie und muss ein paar Tatsachen ins Auge blicken. Denn auch für ihn ist es nie zu spät, mit dem Leben und mit der Liebe zu beginnen.

Eine komplexe Geschichte …

Soweit die Geschichte von «Lovely Louise», die im Vergleich zu «Herbstzeitlosen» komplexer ist. Diese Komplexität hat die Regisseurin Bettina Oberli, die mit Filmen wie «Im Nordwind» und «Tannöd» schon mit anderen Formaten experimentiert hat, gewollt. Im neuen Film geht es um Lebenslügen, Schuld, Neid, eine symbiotische Beziehung und den Frust ungelebten Lebens. Die Story scheint mir zwar nicht immer plausibel und zwingend, sie funktioniert eher «additiv» als «konsekutiv», d. h. die Handlungselemente reihen sich mehr aneinander, als dass sie auseinander herauswachsen.

Bevor ich die Qualitäten des Films beschreibe, gebe ich der Regisseurin das Wort. Sie beschreibt in einem Statement, wie sie zu diesem Film kam und warum er die gewählte Form hat:

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Stefan Kurt, fein gezeichnet als André

«Selber Mutter von zwei kleinen Söhnen, erzähle ich mit „Lovely Louise“ eine Mutter-Sohn-Geschichte, in der es um einen gegenseitigen Mangel an Anerkennung geht und darum, dass jeder dafür geliebt werden möchte, was er ist. Wenn er denn überhaupt weiss, was oder wer er ist: Denn alle Figuren in diesem Film sind mit ihren Lebenslügen beschäftigt. Es geht um die komplexe Beziehung zwischen Eltern und Kindern, die viele Menschen kennen, und auch darum, dass man irgendwann seine Eltern verlassen muss. Wie im Film „Die Herbstzeitlosen“ spielt eine eigensinnige ältere Dame eine tragende Rolle, aber dieses Mal erzähle ich aus der Perspektive des Sohnes. André schafft es nicht, zu seiner Mutter in genau dem Abstand zu leben, der ihm – und damit auch ihr – gut täte. Beide leben in einer Verstrickung, die ihnen die Luft und die Lust nimmt.

„Lovely Louise“ schildert eine gegenseitige Abhängigkeit, wegen der zwei Menschen in einer fatalen Situation festsitzen: Louise und André glauben, auf Gedeih und Verderb aufeinander angewiesen zu sein. Schuldgefühle und Vorwürfe stehen im Raum: Louise hat ihre angeblich so glänzende Karriere für ihren kleinen Sohn aufgegeben, und gleichzeitig beklagt sie, dass aus André nichts geworden ist. Und vor allem lebt da in André eine übermächtige Mutterliebe und stoische Gutmütigkeit, die schon fast zu einer Depression führt. Er kommt nicht zu seiner Kraft, nicht zu seiner Energie, nicht zu seiner Männlichkeit, geschweige denn zu einer Frau. André und Louise leben in einem unspektakulären Zürcher Aussenquartier, und das Geld ist knapp. Sämtliche Protagonisten sind auf ihre Weise gescheitert – in der heutigen Welt, in der einem suggeriert wird, dass man für seinen Erfolg selber verantwortlich ist und es jeder schaffen kann, wenn er nur will. Das ist auch beim Amerikaner Bill der Fall, der in die Symbiose der beiden platzt, was sich zunächst als Katastrophe, am Ende jedoch als Segen erweist. André nabelt sich mithilfe des neuen Bruders von Louise ab, aber ohne dass er sie vernachlässigen muss. Mutter und Sohn finden am Ende des Films einen guten und gesunden Abstand zueinander, der beiden den Raum lässt, den sie brauchen.

Das klingt alles nicht sehr lustig. Und dennoch ist “Lovely Louise” kein trauriges Drama. Denn oft liegt in solchen Geschichten ein feiner Humor, gibt es Situationen, die von aussen betrachtet komisch sind. Alltagsrituale, die skurril anmuten, aber für Familien oder Paare selbstverständlich sind. Seltsame Verhaltensmuster, absurde Momente und sogar Zärtlichkeit – alles Situationen, die harte Worte und böses Blut leichter machen. Humor und Ironie sind in der Erzählweise und Gestaltung von “Lovely Louise” zentral. Denn das Leben, auch das scheinbar ausweglose und verkrustete Leben von André und Louise, ist immer tragisch und komisch zugleich. Die Frage, wie man als Individuum in einer Gemeinschaft Platz findet, der Konflikt zwischen dem Bedürfnis nach Zugehörigkeit und der Sehnsucht nach Ausbruch – das sind die Sujets, die mich persönlich umtreiben, in meiner Welt und meiner Arbeit, und dennoch glaube ich, dass diese Suche zeitlos und universell ist.»

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Stanley Townsend hereingeplatzter Halbbruder

… mit feinen Obertönen

Die grosse Herausforderung dieser Geschichte scheint mir die Gratwanderung zwischen Komödie und Tragödie zu sein. Vieles in dieser Story ist traurig, ausweglos: eine Tragödie, vieles heiter, lustig: eine Komödie. Skurrile Situationen überspielen tragische Hintergründe. Dieses Sowohl-als-auch macht die Geschichte differenziert, ehrlich und wahr – wie das Leben. Überzeugend und differenziert wird dies durch die Darstellerinnen und Darsteller in die Geschichte eingebracht. Durch die grosse alte Dame des österreichischen Theaters, Annemarie Düringer, als sture und herrische, gleichwohl fragile und verletzliche Louise, mit ihren Altersmarotten und Lebenslügen. Gleichermassen durch Stefan Kurt, als schwächlicher, emotional zurückgebliebener, gehemmter, dennoch sympathischer André. Stanley Townsend platzt in die Geschichte als der grosse, dicke, laute und doch verletzliche Halbbruder Bill. Die Österreicherin Nina Proll als Steffi, die einlädt und aufmuntert, doch wohl weiter die Lückenbüsserin bleibt. Als Schauspieler-Quartett spielen die Vier in «Lovely Louise» auf berührende Weise die Harmonien und Disharmonien eines «Lebenskonzertes».

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Nina Proll als Wurstverkäuferin und Freundin von André

Im Vergleich mit andern Filmen zum Thema Alter, die in den letzten Jahren ins Kino gekommen sind, ist «Lovely Louise» nicht «lovely», eher das Gegenteil. Doch auch diese alte Dame steht für einen Teil der Alten, der hier mal zu Worte kommt. Der Film spielt mit Klischees und überwindet sie gleichzeitig im Spiel der Protagonisten. «Lovely Louise» ist weniger lustig, dafür anregender als «Herbstzeitlosen» und bringt sein Publikum wohl weniger zum Lachen, als vielmehr zu einem leisen, hoffentlich verstehenden Lächeln.