Mahatah

Vom Ankommen und Wegfahren: Die Schweizerin Sandra Gysi und der Ägypter Ahmed Abdel Mohsen beobachten in ihrem poetischen Dokumentarfilm «Mahatah – Side Stories from Main Stations» das Leben in den Bahnhöfen von Zürich und Kairo und laden uns ein, darüber nachzudenken und zu sinnieren. Ab 15. September im Kino
Mahatah

Pünktlichkeit und Kontrolle

Kairo und Zürich. Wie Inseln liegen ihre Bahnhöfe zwischen Welten und Zeiten, in denen Menschen leben. Bis der nächste Zug einfährt oder den Bahnhof verlässt, ist die Welt vereint im Wort «Mahatah» (Bahnhof). In der Hitze Kairos hilft Gelassenheit, in Zürich die Klimaanlage oder ein gemeinschaftlicher Tanz. An beiden Orten beleben Menschen mit Passion ihren Kosmos zu etwas Kostbarem. In kleine Episoden verdichtet sich der Film zu einem kollektiven Rhythmus des Lebens, einer gemeinsamen Poesie und einer universellen Kraft.

Über seine Menschlichkeit hinaus, mit der uns «Mahatah» beschenkt, bietet uns der Film mit seiner Form einen besonderen ästhetischen Genuss, vor allem im Schnitt und Sound Design, welche die Bilder und Töne zu einer Symphonie vereinen.

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Die Oberaufseherin einer Männerschar

«Mahatah» mit seinen kleinen und grossen Geschichten

«Mahatah – Side Stories from Main Stations» ist kein Tourismusfilm. Mit perfekter Unterstützung von Kamera, Schnitt und Tondesign haben Sandra Gysi und Ahmed Abdel Mohsen ein Werk geschaffen, das unterhält, überzeugt, nachhaltig wirkt und das Leben zeigt: wie wir kommen oder gehen, uns begegnen oder verabschieden. Äusserlich vielleicht ein kleiner, seiner Strahlkraft wegen jedoch ein grosser Film, entstanden aus Fragmenten, unzähligen Bildern und Tönen sowie Menschen in verschiedensten Funktionen. Wer mal eingestiegen ist in das Leben in diesen Bahnhöfen, erlebt zahlreiche kleine und grosse Geschichten.

Bahnhöfe sind kosmopolitische Treff- und Knotenpunkte: Orte der Begegnung. Die «Nebengeschichten», wie es der Titel bescheiden nennt, lassen uns Menschen zusehen und zuhören, die Treppen schrubben, Zugskompositionen erstellen, für Sicherheit sorgen, Tickets oder Kebab verkaufen und vieles mehr, dabei sein bei fremden, doch berührenden Begegnungen von Männern und Frauen, die da Wala, Marina, Raimundo usw. heissen und die voller Engagement ihre Orte am Leben erhalten, in der Hitze Kairos hilft Gelassenheit, in Zürich die Klimaanlage oder ein Tanz.

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Wo man sich begegnet


Anmerkungen der Regie


Die Bahnhöfe in Zürich und in Kairo sind für uns der Ausgangspunkt für die Reisen in unsere andere, zweite bzw. Wahl-Heimat. Symbolisch stehen die Bahnhöfe für die verschiedenen Lebensentwürfe, die sich aus der Wahl eines Ortes ergeben. Wo und wie möchte man leben? Woher kommen wir, wohin wollen wir? Universelle Fragen, die wir uns in der Auseinandersetzung mit unseren Biografien stellen. Während es Ahmed Abdel-Mohsen aus Ägypten in die Schweiz zog, um da ein neues Leben aufzubauen, zog es Sandra Gysi schon in jungen Jahren immer wieder nach Ägypten, um dann jahrelang zu pendeln, bis das Pendel in Kairo stehen blieb, um dann vielleicht auch wieder in eine Richtung auszuschlagen. Was sind die kulturell bedingten Lebensgefühle, die einem vielleicht besser entsprechen?

Die Kultur des freundlichen Chaos in Kairo steht gegen die Kultur der durchgetakteten Organisiertheit in Zürich: Sie färbt, auch wenn hier klischiert, auf uns ab, sobald wir am jeweiligen Ort ankommen. So warten wir im Bahnhof Kairo geduldig auf Züge, während wir uns in Zürich bereits über zwei Minuten Abfahrtsverspä̈tung ärgern. Nach einer Zeit in der schweizerischen Struktur und zeitlichen Verbindlichkeit zieht es uns wieder ins ägyptische Gewusel, in dem das Leben geduldig den gegebenen Möglichkeiten folgt, und umgekehrt. Dabei sind wir weder Migrantin noch Migrant, denen keine Wahl des Ortes bleibt, sondern geniessen den Luxus, selbst entscheiden zu dürfen.

Grosse Bahnhöfe wie jene in Zürich und Kairo gehören zu den am besten bewachten Orten. Das Vorhaben, hier einen Dokumentarfilm zu drehen, war zugegeben etwas naiv angedacht und stellte uns vor einige unbezwingbar scheinende Hürden, allen voran die Drehbewilligungen. Während es in der Schweiz vor allem eine Frage der Organisation und der Partnerschaften war, so waren die Wege in Ägypten um einiges verschlungener und unvorhersehbarer. Doch als dies dann mal geregelt war, durften wir selbst die Überwachungszentralen filmen, was in Zürich undenkbar war. Trotzdem gab es viele bange Stunden, in denen wir in der Cafeteria in Kairo ausharrten, nicht wissend, ob wir unsere Dreharbeiten fortsetzen können.

Bahnhöfe sind Mikrokosmen, die Menschen aus allen sozialen Schichten Zugang gewähren. Es sind öffentliche Räume, die sich dennoch in einer gewissen Geschlossenheit präsentieren. Und in der Begrenztheit ihrer örtlichen Ausdehnung klingt stets das Echo der ganzen Welt. Es war unsere Vision, diese hereinklingende Ferne und die Essenzen der Gesellschaften der beiden Orte, die wir am besten kennen, anhand der Bahnhöfe aufzuzeigen, von denen aus wir in die jeweiligen Orte reisen oder zurückkehren. Davon handelt unser Film.

Wir wollten nicht nur unser persönliches Empfinden vom Durchschreiten dieser Universen aufspüren, sondern eine allgemeine, globale Erfahrung, die durch die Migration und Mobilität der Menschen entstanden ist, anhand von rund einem Dutzend Protagonisten in ihren verschiedenen Facetten entdecken. Der Bahnhof ist Teil ihres Lebens, und sie machen, dass diese Kosmen wie ineinandergreifende Zahnräder funktionieren. Wir haben beide Orte und ihre Menschen lieben gelernt und freuen uns sehr, dass wir Innenansichten aus den beiden Bahnhöfen festhalten durften.

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Der Bahnhof von Kairo

Ein Film für persönliche Erinnerungen


Der Film «Mahatah – Side Stories from Main Stations» weckt bei Zuschauenden, welche die Bilder und Töne an sich heranlassen, bald einmal eigene Erinnerungen – bis er bald einmal mein, dein, ihr Film wird. Mich beispielsweise erinnerte er an den Bahnhof Malans, wo ich immer wieder die bemalten Holzfiguren von Menschen und Tieren bewunderte, abwartend, bis sie mir ihre Geschichten erzählten. Peter Leisinger hat mit ihnen seine Träume vom Warten und Verabschieden lebensgross übersetzt. Weiter erinnere ich mich an Erlebnisse, die ich vor zwanzig Jahren mit Seniorinnen und Senioren im Bahnhof Zürich hatte, als wir dort Menschen mit der Videokamera beobachteten: Sich Begrüssende und sich Verabschiedende, die für uns zu Symbolen wurden. Oder, als ich vor fünfzig Jahren dem Filmemacher Hans Stürm beim Film «Metro» assistierte und wir uns abenteuerlich, weil verboten, Menschen in ihrem privaten, dennoch öffentlichen Leben näherten, gelegentlich untermalt von Melodien aus fernen Gängen, als sängen dort Piaf oder Brel. – Vielleicht tauchen Ihnen nun eigene Erlebnisse mit Bahnhöfen auf, vielleicht auch bei Liedern wie «S'nüüni Tram» von Dieter Wiesmann, das wir als Kinder, oder «Ds Lied vo de Bahnhöf» von Mani Matter, das Sie als Jugendliche hörten.

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Hier werden Weichen gestellt

Das Filmerteam


Sandra Gysi, verantwortlich für Buch und Regie, wurde 1969 in Aarau geboren, machte 1997 den Master of Arts in Social Anthropology, Filmwissenschaft und Germanistik in Zürich. Seit 1995 hielt sie sich regelmässige in Ägypten und im Sudan auf und studierte arabische Sprachen. Seit 2000 arbeitet sie als Produzentin und Projektmanagerin, realisiert Ausstellungen mit zeitgenössischer Kunst aus Afrika und Arabien. Als Filmregisseurin schuf sie in der Schweiz, in Ägypten, Indien und im Sudan zahlreiche Dokumentarfilme. Sie lebt in Zürich und Kairo.

Ahmed Abdel Mohsen, der Co-Regisseur, wurde 1974 in Assuan geboren, machte ein Studium in Medienwissenschaft und Journalismus an der Faculty of Art der South Valley University in Ägypten und der später in Regie an der F+F Schule für Kunst und Design in Zürich, wo er nach seinem Abschluss auch arbeitete. Als Regisseur und Produzent realisierte er diverse Spiel- und Dokumentarfilme und lebt in Zürich und Assuan.

Hinter dem kreativen Team des Films steht jemand, die ein Leben lang Filme produziert hat und damit immer wieder Hintergründe in den Vordergrund gerückt hat: Franziska Reck, die Inhaberin und Geschäftsführerin von Reck-Film, die seit der Gründung mehr als 30 Filme produziert und so immer wieder ein Stück Welt von der Hinterbühne auf die Vorderbühne gerückt hat.

Vorpremieren

Regie: Sandra Gysi und Ahmed Abdel Mohsen, Produktion 2021, Länge: 79 min, Verleih: Reck-Film