Mammuth

Gérard Depardieu als verrückter Rentner-Raider

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Voraussichtlich wird dieser Film vor allem den Leuten gefallen, die Grand-Guignol, Dada, Slapstik, Trashfilme oder englische Comedy lieben, weniger jenen, die einen klassisch eleganten französischen Spielfilm mit Gérard Depardieu und Isabelle Adjani erwarten.

Serge Pilardosse, die Titelfigur, ist gerade 60 geworden und wird pensioniert; Gérard Depardieu, der ihn, durchgedreht und dick wie noch nie verkörpert, ist heute 61. Serge arbeitete sein Leben lang als Metzger, hat nie gefehlt, war nie krank. Doch die Stunde der Wahrheit schlägt für ihn, als er seine Rente erwartet. Es fehlen die Belege der Einzahlungen in die  Pensionskasse. Auf Druck seiner resoluten Frau Catherine besteigt er sein altes Motorrad, ein «Mammuth», dem er seinen Spitznamen verdankt, und geht auf die Suche nach seinen alten Lohnabrechnungen. Mit der Zeit wird dies zu einer abenteuerlichen Reise zu sich selbst. Wie einst Herakles auszog, um seine zwölf Aufgaben zu lösen, fährt Serge durch die Lande, um Recht zu erhalten. Wie einst Parzifal «reitet» er auf seinem «Mammuth» in die weite Welt und erlebt seine «âventiuren» mit Frauen und Männern der absurdesten Art. Doch letztlich sucht er Heimat, weshalb er am Schluss auch reumütig zu seiner Frau zurückfindet. – Eine verrückte Geschichte über eine verrückte Welt. Eine Tragikomödie, in der die Verrücktheit Normalität, seine Realität ist.

Im Gegensatz zu den meisten Filmen, die sich mit dem Thema Pensionierung befassen – und darum geht es vordergründig auch hier – arbeiten die beiden französischen Autoren anders als üblich: Sie erzählen eine durchgeknallte, absurde Geschichte, die an ein Theater von Ionesco oder einen Film von Kaurismäki erinnert. Wenn, wie hier, Künstler sich des Stilmittels des Absurden bedienen, können sie Extreme ausloten, Grenzen sprengen, in Bereiche der Abwegigen, Abstossenden, der «Unreinheit» vorpreschen, kommen frech, unverfroren, brutal daher, nur ihrer subjektiven «Wahrheit» verpflichtet. Sie provozieren und schockieren.

Lassen wir uns provozieren! Beginnen wir für unser Leben weiter zu denken, als wo die Provokationen des Filmes enden! Dann gibt der Film immer wieder Denkanstösse zu dem, was Arbeit, was Ordnung, was das Leben nach der Pensionierung in unserer Gesellschaft oft bedeutet.

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Die Autoren Benoît Delépine und Gustave Kervern

Benoit Delépine und Gustave Kervern haben 15 Jahre lang für das Fernsehen Sketchs geschrieben und gespielt, was sie bekannt gemacht hat. Delépine war von Anfang an Mitarbeiter von «Les Guignols de l’Info», einer satirischen Fernsehsendung. Kervern startete bei «Le Plein de Super», einem Rock’n’roll-Programm. – Am ehesten ist ihr Stil vergleichbar mit der Comedy-Sendung «Edelmais & CO» im Schweizer Fernsehen. Sie sind sich vor neun Jahren bei «Groland» begegnet, einer Sendung, bei welcher sie neue Erzähltechniken ausprobieren konnten und die Freiheit hatten, kurze komplexe Geschichten zu produzieren. Dann schufen sie «Toc Toc Toc», eine Komödienserie, dank derer sie Maurice Pialat begegnet sind, der sie ermutigt hat, es mal im Kino zu versuchen.

Der mit wenigen Mitteln und viel schwarzem Humor gedrehte «Aaltra», ihr erster Film, wurde auf vielen internationalen Festivals gezeigt. Durch die Kombination von professionellen Schauspielern und alltäglichen Personen, 16 mm- und Schwarzweissfilm, geschriebenen Dialogen und Improvisationen wollten sie die realistische und instinktive Seite hervorheben, die häufig in aktuellen Produktionen fehlen. Ihre Begegnung mit Aki Kaurismäki bei ihren Dreharbeiten bleibt ein wichtiger Moment in ihrem Leben. Durch die positive Reaktion von Kritik und Publikum hat dieser Film es ihnen ermöglicht, ihre Zusammenarbeit mit «Avida», einer metaphysischen, poetischen und surrealistischen Komödie, fortzuführen, die auf dem Filmfestival in Cannes 2006 vorgestellt wurde. 2008 wurde ihr dritter Spielfilm «Hires a Contract Killer», eine satirische Sozialkomödie über betrügerische Firmenchefs, im offiziellen Wettbewerb des Filmfestivals von San Sebastian gezeigt, wo er den Preis der Jury für das beste Drehbuch bekam, ebenso den Spezialpreis der Jury auf dem Festival von Sundance. Er war in Frankreich und in zahlreichen Ländern sehr erfolgreich. «Mammuth» ist der vierte Film der beiden Drehbuchautoren und Regisseure Benoit Delépine (*1958) und Gustave Kervern (*1962).

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Aus dem «Kleinen Lexikon zu Delépine und Kervern» von Jérôme Mallien

Mythologie: Mammuth, ist die Geschichte eines Typen, der versucht, nach Hause zu kommen. Es ist eine Odyssee.

Traum: Unsere Filme sind poetisch realistisch. Sie sind realistisch, da sie von der realen Welt erzählen. Und sie sind poetisch, denn sie versuchen, ihr zu entkommen. Aber Vorsicht: die Typen, die den Müll einsammeln, sind für uns poetisch.

Verwaltung: Sobald ich das Imaginäre von Groland verlasse, bin ich mit der Verwaltungshölle konfrontiert. Das ist so bekloppt, dass man sich glatt abknallen könnte. Der einzige Ausweg ist der Wahnsinn.

Märchen: Es ist kein Märchenhaus, nur ein rosa gestrichenes Haus in einer gammeligen Wohngegend. Es ist wie ein besetztes Haus in Berlin, wenn du so willst, nur dass es nicht gemeinschaftlich ist. Wenn du das in deinem Einfamilienhaus in der Vorstadt machst, machst du es alleine, du wendest dich nicht an Leute, die von vornherein ihre festgesetzte Meinung haben. Man wird behaupten, das sei verrückt, der Wahnsinn. Das gefällt uns.

Motorrad: Als ich klein war, auf dem Land, stellte das Motorrad für mich wirklich eine Form der Freiheit dar.

Arbeit: Natürlich ist es ein Film über die Arbeit. Über die Brutalität der Arbeit. Denn in dem Moment, in dem du zusammenklappst, ist es doch nicht das, was du zurückbehältst. Mammuth, das ist ein Typ, der in der Gegenwart lebt.

Depardieu: Zu Beginn der Dreharbeiten war er nicht einfach, denn er ist es gewohnt, in Filmen mit Schauspielern zu spielen. Bei uns gibt es keine Schauspieler, es gibt Passanten. Später ging es besser. Und ganz allgemein ist er ein Typ, der alles gibt. Wir hatten den Eindruck, er sei die ganze Zeit nackt gewesen. Er hat einen Haufen Dinge erfunden: als Mammuth im Fluss badet, wie ein grosses Kind, das ist er. Das ist Talent: Wir haben ihn in unmögliche Situationen gesteckt und er hat es gemacht.

Adjani: Sie ist die weiße Frau, die am Strassenrand nach einem Unfall erscheint. Ein Gespenst, das aber Mammuth beschimpft, das ihn an den Haaren zieht. Es ist ein Phantom, das den Leuten in den Hintern tritt, und ohnehin treten die Frauen den Kerlen immer in den Hintern. Adjani war genial. Wir hatten sie drei Tage und wenn sie nicht spielte, drehte sie mit einer Super-8-Kamera um Gérard herum. Die Bilder sind im Film.

Ton: Seit jeher unser Fimmel. Der Ton, das ist das Gegenteil der Literatur, das ist das Gegenteil des Drehbuchs. Das ist Kino.

Schauspieler: Wir verwenden häufig Laienschauspieler, Leute, die wir kennen oder denen wir bei den Dreharbeiten begegnen. Wir haben kein Skript, was bewirkt, dass wir meistens kontinuierlich drehen; wenn man da jemandem begegnet, denkt man: ach, der da wäre gut. Also nimmt man ihn. Wir bitten ihn darum, aufrichtig zu sein, nicht so zu tun als ob. Unsere Filme sind voller Leute, die uns ähnlich sind. Also sind wir nicht die Direktoren von Darstellern oder Nicht-Darstellern.

Perfektion: «Völliger Schwachsinn. Wenn ein Film unvollkommen ist, dann gefällt er uns.»

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