More Than Honey

Nach den Bienen sterben die Menschen: «Wenn die Bienen aussterben, sterben vier Jahre später auch die Menschen.» Um diesen Einstein-Satz kreist der Film «More Than Honey» von Markus Imhoof.

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Fred Jaggi: heile Welt - oder doch nicht ganz?

Der Schweizer Dokumentar- und Spielfilmregisseur Markus Imhoof, 1941 geboren, mit dem Spielfilm «Das Boot ist voll» in die Endauswahlzur Oscar®-Verleihung als bester fremdsprachiger Film gekommen, untersucht in seinem künstlerisch und technisch perfekten und menschlich berührenden und herausfordernden Dokumentarfilm «More Than Honey» auf vier Kontinenten das seit Jahren bekannte Phänomen des Bienensterbens – und findet dabei Bewegendes, Schockierendes und Bedenkenswertes. Ein Film über Honig, Bienen und unsere Beziehung dazu, über Fleiss und Gier, Technologie und Ökonomie und im Kern den Kapitalismus.

Reinrassige Schweizer Bienen sterben an Inzuchtschwäche

Der Film beginnt in der «heilen» Welt der Schweizer Alpen, bei Fred Jaggi, einem Imker, der versucht, seine reinrassigen Ur-Bienen gegen fremde Einflüsse zu schützen, was ihm jedoch nur halb gelingt.Seine reinrassigen Tiere will er gegen alle fremden Einflüsse bewahren und ist darauf bedacht, seine Königinnen nicht zu fremden Drohnen fliegen zu lassen. Trotzdem sterben sie – an Inzuchtschwäche.

Amerikanische Bienen sterben am Kapitalismus

In den USA besucht der Filmemacher den Honiggrossisten John Miller, wo erdie gigantischen Ausmasse einer industriellen Massenhaltung von Bienen erlebt, eine rein auf Gewinn getrimmte Wirtschaft: Tausende Hektar Mandelbäume überziehen die Landschaft und müssen befruchtet werden. Wenn die Arbeit getan ist, werden die «Dancing Ladies» auf Trucks geladen und von einer pestizidverseuchten Plantage quer durch Amerika zu andern gekarrt: von einer Monokultur zur andern.Dann geht es zurück auf die Farm, wo die Bienen überwintern und der Honig gewonnen wird. Der Grossindustrielle ist sich bewusst, dass er seelenlos und nur mit dem Ziel, seinen Reichtum zu vergrössern arbeitet und dabei versucht, seine 15‘000 Völker mit Antibiotika am Leben zu erhalten.

Wenn Menschen die Blüten bestäuben

Weiter geht es nach Österreich zu Heidrun und Liane Singer. Sie züchten sanftmütige und fleissige Bienenrassen und verschicken die Königinnen per Post in die ganze Welt.Heute gilt, dass in Europa, Nordamerika und China ohne Medikamente keine Bienen mehr überleben würden. Ob die Natur mit den sogenannten Killerbienen, von denen 26 Schwärme aus einem Versuchslabor der Universität Sao Paolo entflohen sind, die mehr Honig produzieren, aggressiver und krankheitsresistenter sind, bereits einen Ausweg aus dem Dilemma gefunden hat?

In Berlin erforscht an der Freien Universität der renommierte Bienenhirnforscher und Nobelpreisträger Randolf Menzel das Verhalten einzelner Individuen und ganzer Völker. Was uns bleibt, ist ein fassungsloses Staunen über das hoch komplexe Verhalten der kleinen Tiere. Weiter im Osten, in China, trifft Imhoof auf Regionen, wo Einsteins Zukunft schon angebrochen zu sein scheint. Vor lauter Chemie gibt es hier keine Bienen mehr und die Menschen klettern selbst zum Bestäuben auf die Bäume. Angesichts der Tatsache, dass mehr als ein Drittel unserer Nahrungsmittel von der Bestäubung durch Bienen abhängt, eine Schreckensvision.

In Australien hofft man auf die Arche Noah

Zum Schluss kommt Imhoof nach Australien, wo das Bienensterben noch nicht angekommen ist, wo seine Tochter und ihr Mann forschen und hoffen, eines Tages eine Bienenart züchten zu können, die überlebensfähiger ist und sich einreiht in den Kreislauf des Lebens. Wird dort eventuell auf einer einsamen Insel im Pazifik die Arche Noah der Bienen sein? Imhoof nimmt uns mit aus seine Weltreise zu den Stätten des Lebens und Sterbens der Bienen, um an einem kleinen Tier aufzuzeigen, wie die Natur zyklisch verläuft – oder verlaufen sollte und sonst dem Untergang geweiht ist, wie Einstein warnte.

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Wie sähe wohl ein Zusammenleben von Menschen und Bienen aus?

Zum Grund des Übels und zu den leisen Hoffnungen

Nach den Gründen fragend, warum die Entwicklung schief läuft, führen schon die ersten zwei Sequenzen auf eine heisse Spur: Wir begegnen dem Imker in den Alpen, der mit seinen Bienen in einer Menschen, Tiere und Pflanzen umspannenden Harmonie lebt. Doch auch diese sterben, entgegen der Idylle, weil sie an Inzuchtschwäche leiden, weil sie sich absondern, isolieren, abkapseln. Eine Beziehung dieser Abkapselung der Bienen mit der Abkapselung von Menschen, einer Partei, ist wohl nicht zufällig. Im Kontrast dazu gebraucht die hoch technisierte und ökonomisierte Bienenzuchtmaschinerie in den USA die Bienen mit ihrem Honig als Vorstufe zu Dollarscheinen.

Der grossartig realisierte und von hohem Ethos getragene Film «More Than Honey» ist, auf naturwissenschaftlichen Erkenntnissen fussend, eine radikale Kritik an dem, was immer noch, ob im Norden oder Süden, im Osten und Westen, die Welt bewegt und sie wahrscheinlich in den Abgrund stürzen wird: der entfesselte, wild gewordene Kapitalismus.

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Der Regisseur

Markus Imhoof und die Bienen

Bei Markus Imhoof hat der Film neben seiner objektiven Relevanz einen persönlichen Hintergrund: «Das Bienenhaus meines Grossvaters war für uns Kinder ein magischer Ort. Faszinierend, aber auch unheimlich, wenn wir uns barfuss näher wagten zu dem aufgeregten Summen in der Sommerhitze. Und mittendrin der alte Mann mit Strohhut, ohne Schutz. Die Bienen taten ihm nichts, als ob sie ihn kannten.» Heute sind es seine Nachkommen in Australien, die ein Forschungsprojekt mit Bienen leiten, die ihn noch etwas hoffen lassen.

«Die Bienen haben unsere Familie ernährt», schreibt er. «Sie waren Teil der Konservenfabrik meines Grossvaters. Er hat mir erklärt, warum seine Bienenhäuser in den Obst- und Beerengärten stehen: Ein Drittel von allem, was wir essen, gäbe es nicht ohne Bienen. Aber jetzt sterben sie in der ganzen Welt. Die Nachrichten sprechen von einem Mysterium. Ich mache mich auf die Reise, um die Lösung des Rätsels zu suchen. Die Bienen und ihr geheimnisvoller Superorganismus werden dabei immer mehr zu Protagonisten. Und durch die Kamera werden sie plötzlich viel grösser als die Menschen.»

www.frenetic.ch

Zum Filmstart erscheint im Buchhandel «More Than Honey. Vom Leben und Überleben der Bienen» von Claus-Peer und Markus Imhoof.