My Favourite Cake
Mahin und Faramarz
Seit ihre Tochter nach Europa emigriert ist, lebt die 70-jährige Witwe Mahin allein in Teheran. Nach einem geselligen Nachmittag mit Freundinnen beschliesst sie, der Liebe nochmals eine Chance zu geben. Unverhofft trifft sie bei der Suche auf den gleichaltrigen Taxifahrer Faramarz. Aus dieser zufälligen Begegnung wird eine überraschende und unvergessliche Nacht.
«My Favourite Cake» ist die dritte gemeinsame Arbeit des Regie-Duos Maryam Moghaddam und Behtash Sanaeeha. Der Film, der seine Weltpremiere an der Berlinale feierte, erzählt mit zartem Humor eine gefühlvolle Liebesgeschichte. Dabei gewährt er einen authentischen Einblick ins alltägliche Leben im Iran und in die subtilen Möglichkeiten, sich vom Regime mit seiner pathologischen Sexualmoral und seinen patriarchalen Autoritätsvorstellungen zu emanzipieren. Was als romantische Begegnung zweier einsamer Menschen beginnt, entwickelt sich mit viel Fantasie und Empathie zu einer Ode an das Leben, die Frauen und die Freiheit.
Im Frauentreff
Gedanken des Regie-Duos
«In den Ländern des Nahen Ostens, die von religiösen Ideologien regiert werden, gelten Frauen als Bürgerinnen zweiter Klasse. Sie werden vieler Rechte beraubt und müssen sich ihre Identität von den Männern erbitten. Das gilt auch im Iran. Seit Jahren kämpfen die Frauen gegen ungerechte Gesetze wie die Hijab-Pflicht und für Gleichberechtigung. Vor allem ihre Beziehung zum anderen Geschlecht wird unter die Lupe genommen. Noch komplizierter wird es, wenn sich eine Frau entschliesst, allein zu leben wie unsere Protagonistin.
In «My Favourite Cake» geht es um Frauen, Einsamkeit, Alter und die Absurdität des Lebens. Der Film handelt von einer Frau, die versucht, unabhängig zu leben. Sie hat keine andere Wahl, als sich mit den Ansichten und Bedrohungen ihrer religiösen, frauenfeindlichen Umgebung auseinanderzusetzen. Ihre Freiheit wird durch misogyne Gesetze eingeschränkt. Das iranische Volk versinkt seit vielen Jahren in Kummer und Trostlosigkeit und weiss es zu schätzen, wenigstens einen Moment lang Glück zu erleben wie Mahin in dieser Geschichte.
Der Film spielt zur Zeit, in der die iranischen Frauen für den sozialen Wandel kämpfen und versuchen, die Mauern dieser veralteten Überzeugungen einzureissen. Es sind die Überzeugungen, die es verbieten, das wahre Leben iranischer Frauen hinter verschlossenen Türen darzustellen. Die Vorproduktion unseres Films startete im Sommer, drei Monate vor Beginn der Bewegung «Frau, Leben, Freiheit». Wir waren gerade am Anfang der Dreharbeiten, als Jina Mahsa Amini 2022 getötet wurde. Unser Team stand unter Schock. In dieser Verfassung war es schwierig, weiterzuarbeiten. Es waren schreckliche Tage. Die Dreharbeiten mussten im Verborgenen erfolgen. Wir konnten weder aufhören noch die Ereignisse auf den Strassen ignorieren. Wir einigten uns, den Film fertigzustellen. Zum Lob der Frauen, des Lebens und der Freiheit. Seit Jahren drehen iranische Regisseur:innen ihre Filme unter der Last restriktiver Regeln. Ein Verstoss dagegen kann zu jahrelanger Sperre oder einem Verbot führen. Wir glauben, dass es nicht länger möglich ist, die Geschichte einer iranischen Frau zu erzählen und gleichzeitig Unterdrückung, beispielsweise mit dem obligaten Hijab, zu reproduzieren. Noch nie durften Frauen ihr wirkliches Leben auf der Leinwand zeigen, wie es in ihren Häusern stattfindet. Wir haben beschlossen, die roten Linien zu überschreiten und akzeptieren die Konsequenzen. Auch Schauspieler:innen, die in solchen Filmen mitwirken, drohen Konsequenzen. Unsere wundervolle weibliche Hauptdarstellerin ist ein grosses Risiko eingegangen.
Man hat das Gefühl, im Iran werden auch unpolitische Geschichten immer politischer, weil dort alles mit der politischen Lage verbunden ist, selbst was man isst oder trägt. Unsere Geschichte basiert auf der Realität des Alltags von Frauen aus der Mittelschicht im Iran und beobachtet die Einsamkeit einer Frau in den letzten Jahren. Über die Lebenswirklichkeit von iranischen Frauen wurde bisher kaum berichtet. Unser Film ist eine spielerische Geschichte über Hoffnung und Freude, aber auch über die Absurdität des Todes.»
Die Schauspieler:innen
Lily Farhadpour als Mahin
In unserer Gesellschaft gilt ein ungeschriebenes Gesetz, dass sich eine ältere Frau nicht mehr verliebt. Diese Regel haben wir mit unserem Film auf den Kopf gestellt. Für mich war entscheidend, dass er die Realität widerspiegelt. Ich bin Schriftstellerin, und wenn ich eine Figur erfinde, möchte ich, dass sie der Wirklichkeit nahekommt. Beispielsweise tragen Frauen keinen Hijab, wenn sie schlafen. Das iranische Publikum lacht oft, wenn eine Figur im Kino mit Hijab ins Bett geht. Ein Film sollte die Welt zeigen, wie sie ist! In diesem Film gibt es viele Dinge, die im iranischen Kino noch nie gezeigt wurden. Dazu gehört der Dialog zwischen den Generationen, denn es ist wichtig, dass Junge sehen, wie Alte leben, und umgekehrt.
Esmail Mehrabi als Faramarz
Die beiden Charaktere im Film sind Menschen, die auf sich allein gestellt sind. Diese Einsamkeit ist für alternde Menschen schwer zu bewältigen. Liebe kann jedoch beitragen, Einsamkeit zu überwinden. Vielleicht ist es anders für ältere Menschen als für jüngere. Aber Gefühle kennen keine Grenzen und kein Alter. Es gibt immer wieder Momente, die einen glücklich machen, auch körperliche Erregung kann es noch geben. Denn Liebe ist zeitlos und kann immer aufleben, wenn sie echt ist. Die Hauptfiguren in diesem Film haben nie gedacht, dass sie Gefühle füreinander entwickeln. Und doch ist es Liebe, die sie wieder zu neuem Leben erweckt, die sie ihre Lebensfreude zurückgewinnen lässt.
Protagonistenpaar mit Foto des Regiepaares
Statement des (abwesenden) Regie-Duos
Obwohl sie mit «My Favourite Cake» an die Berlinale eingeladen waren, konnten Maryam Moghaddam und Behtash Sanaeeha nicht nach Berlin fahren. Die Regierung hatte ihre Pässe konfisziert und ein Reiseverbot verhängt. Doch eine Kopie der iranisch-europäischen Produktion war bereit im Ausland sichergestellt. Bei der Pressekonferenz in Berlin waren ihre Plätze leer – was wohl auch am ZFF, wohin sie ebenfalls geladen sind – so sein wird. Ihre Stimmen liessen sie sich nicht verbieten. Im vollbesetzten Saal verlas Lily Farhadpour das Statement der Regisseur:innen (https://www.berlinale.de/de/2024/themen/statement-moghaddam-sanaeeha.html).