My Sunshine
Arakawa mit Sakura und Takuya
Auf einer Insel Japans lebt Takuya. Der verträumte und zurückhaltende Junge spielt im Sommer Baseball, im Winter Eishockey, beides nicht sonderlich gut, was ihm nichts ausmacht. Beim Eishockeytraining beobachtet er das Eiskunstlauftalent Sakura beim Trainieren und ist fasziniert von ihrer Eleganz. Fortan beginnt er selbst Pirouetten zu üben und wird von Arakawa, einem ehemaligen Eiskunstläuferstar, beobachtet. Dieser nimmt Takuya unter seine Fittiche übt mit ihm. Als dieser schnell Fortschritte macht, schlägt ihnen der Coach den Paarlauf vor. Die drei trainieren fortan viel gemeinsam und wachsen zu einem richtig guten Team zusammen – bis im Frühling das Eis zwischen den dreien zu schmelzen beginnt.
Tanzschritte studieren
Die Worte aus dem Schweigen ...
Die in leisen Tönen erzählte Geschichte von Aussenseitern, die eine gemeinsame Entwicklung durchlaufen, unterhält, ist mal lustig, mal traurig, doch immer zurückhaltend und still. Lange liest sich «My Sunshine» als Feelgood-Movie. In der Begegnung der zwei, resp. drei, resp. vier Menschen blühen echte Freundschaften auf, verbreitet sich Glück, entsteht Leben. Alles, was wir über die Personen erfahren, besteht aus feinen Äusserungen, indirekten Anspielungen: Blicken, Gesten, kurzen beiläufigen Bemerkungen, was dem Film seinen Charme verleiht.
... tauchen in die Unschärfe ...
Hiroshi Okuyama sagt in einem Gespräch, dass er alles in diesem Film, mit Ausnahme der Musik, selbst gemacht habe: Drehbuch, Casting, Schauspielführung, Kamera, Montage, Dekor, also die ganze Welt hinter den Menschen. Er schuf ein Universum, wie wir es im westlichen Kino kaum, im japanischen gelegentlich erleben – am schönsten beim 63-jährigen Grossmeister Hirokazu Koreeda, als dessen Nachfolger wir den 29-Jährigen bereits mit seinem zweiten Film erwarten dürfen.
Doch was ist es, was Okuyama mit dieser Beziehungswelt beschreibt? Vielleicht scheint es etwas weit hergeholt, wie ich sie beschreiben will: Es ist die Unschärfe-Theorie des Physikers Werner Heisenberg, nach welcher zwei komplementäre Eigenschaften eines Systems nicht gleichzeitig scharf definierte Werte ergeben. Und komplementär sind die Eigenschaften von Takuya und Sakura, von Arakawa und dessen Freund nun wahrlich.
... und steigen als Schönheit auf
Okuyama kreiert mit diesem Film eine Welt, indem er die Bilder verschwimmen lässt, in Licht auflöst, dass wir sie kaum wahrnehmen, bloss noch erahnen. Diese Ungenauigkeit jedoch beschreibt genau den emotionalen Tatbestand, nämlich ungenau genau, nicht so wie es der Alltag verlangt, genau und exakt. Auch die Vielfalt der Melodien bildet die Vielfalt des menschlichen Befindens ähnlich ab, sei es mit Debussy, der Originalmusik von Ryosei Sato oder Humbert Humbert mit deren Lied «My Sunshine». Nicht zufällig ist Takuya durch sein Stottern leicht eingeschränkt, auch nicht genau und exakt, wie es den allgemeinen Normen entspricht. An diesem Defizit litt auch der Filmemacher selbst in seiner Jugend.
Sakura und Takuya
Interview mit Hiroshi Okuyama
In einem Interviewe (in der Pressedokumentation von First Hand Films) gibt uns der Regisseur Hinweise, wie er zu diesem Stoff gekommen ist und was uns vielleicht helfen kann, den Film in unser Leben einzubauen.
Wie ist das Projekt «My Sunshine» entstanden?
Ich habe mir immer gesagt, dass ich eines Tages einen Film über den Eiskunstlauf machen werde, da ich diesen schon als Kind kennengelernt habe. Aber ich habe es nicht geschafft. Ich musste einsehen, dass das Hervorrufen von Erinnerungen allein nicht ausreicht, einen Film zu drehen. Dann entdeckte ich den Song «My Sunshine» von Humbert Humbert, und als ich ihn täglich hörte, nahm die Geschichte Gestalt an.
Ihr erster Spielfilm ist von Ihrer Kindheit inspiriert. Ist das auch bei «My Sunshine» der Fall?
Der Kontext von «My Sunshine» wurde stark von realen Erfahrungen in meiner Kindheit beeinflusst, so das Eiskunstlaufen, das ich in der Grundschule praktizierte. Ich folgte meiner älteren Schwester, die versuchte, Sportlerin zu werden, doch das fühlte sich nie belastend an. Ich erinnere mich, dass ich Mädchen sah, die wie Sakura brillant eisliefen, und dachte, ich würde gerne so tanzen wie sie. Ein Erlebnis brachte mich auch dazu, mir vorzustellen, dass der Protagonist stottert. In diesem Sinne spiegelt der Film auch meine eigenen Lebenserfahrungen wider. Nachdem ich ihn gedreht hatte, dachte ich, dass ich mich von jeder glücklichen oder unglücklichen Erfahrung inspirieren lassen könnte, und lebe jetzt tief in mir mit dieser Idee.
Die Figur des Trainers Arakawa ist nie eine strenge Autoritätsperson. Was bringt diese Figur in diese Kindheitsgeschichte ein?
Ganz einfach, weil der Trainer, bei dem ich als Kind Schlittschuhlaufen lernte, sehr nett war. Es war einfacher für mich, dem Bild des Trainers, den ich kannte, treu zu bleiben. Gleichzeitig ist Arakawa eine Figur, die auch eine Form von Resignation über das Leben in sich trägt, gepaart mit dem Gefühl, von der Gesellschaft abgelehnt zu werden.
Die drei Personen sind einander fremd und stehen aus verschiedenen Gründen am Rande der gesellschaftlichen Erwartungen. Aber gemeinsam erleben sie eine Entdeckung. Wie haben Sie sich dieses Trio, ihr Gleichgewicht und ihre Komplementarität vorgestellt?
Sie sind einander fremd, aber aus unterschiedlichen Gründen fühlt jeder von ihnen ein Gefühl der Einsamkeit. Die Anziehungskraft, die sie zusammenbringt, entsteht, weil sie unbewusst die Einsamkeit des anderen spüren. Die Gründe, warum sie sich zueinander hingezogen fühlen, sind ebenfalls unterschiedlich: romantische Gefühle, Bewunderung, das Bild des anderen, das man über die Person legt, die man einmal war. Ich habe versucht, diese Gefühle nicht zu explizit darzustellen und überzeugend zu schildern, dass sich die drei Menschen, die nichts miteinander zu tun hatten, begegnen und sich näherkommen.
Andererseits wird das Thema der Entwicklung durch starke Symbole veranschaulicht: die Einführung in das Eislaufen, aber auch die Konstruktion der Zeitlichkeit im Laufe einer Saison. Warum haben Sie diese Chronologie gewählt, insbesondere den Winter?
Auf der ersten Seite der Mappe, die ich anlegte, als ich beschloss, diesen Film zu machen, schrieb ich: «Tagebuch eines Jungen, der vom ersten Schnee bis zur Schneeschmelze wächst.» Ich wollte unbedingt den Schnee filmen, weil er meiner Meinung nach das wichtigste filmische Element ist. Es gibt nichts anderes, das das Aussehen der Welt in so kurzer Zeit so dramatisch verändern kann. Zu Beginn des Films fallen die ersten Schneeflocken spärlich, dann ist die Landschaft im Handumdrehen mit einer dicken Schneeschicht bedeckt, ich fand es filmisch, den Lauf der Zeit auf diese Weise auf der Leinwand darzustellen. Ich hoffe, dass jeder Zuschauer, der sich in die Gefühle von Takuya und Sakura einfühlt, auch vergessene Erinnerungen und erlebte Gefühle zurückrufen kann. Ich wünsche mir sehr, dass diese schönen Kindheitserinnerungen sie begleiten und Frische in ihr heutiges Leben bringen.
PS
Der Film lädt ein, tief durchzuatmen, jede Jahreszeit und jede Lebenszeit zu geniessen, in der man sich befindet und die Schönheit im Alltag zu sehen. Okuyama: «Ich habe gelernt, dass alle Erfahrungen eines Filmes würdig sind.»