Parcours d'amour
Gino mag alle Frauen
Eugène, Christiane, Gino und Michelle haben die Blüte ihres Lebens hinter sich. Dies hält sie jedoch nicht davon ab, ihre Nächte tanzend und feiernd zu verbringen. Im «Memphis» treffen sie auf Gleichgesinnte und leben ihre Sehnsucht nach Zweisamkeit voll aus. Der professionelle Tänzer Michel macht daraus ein Geschäft, als Begleiter führt er die Damen aufs Parkett. Bei flotten Rhythmen suchen die einen den flüchtigen Flirt, andere wollen einfach den Alltag vergessen, wieder andere träumen weiter von der grossen Liebe. Die deutsche Regisseurin Bettina Blümner begleitete eine Handvoll charmanter Pariser Tanzpalast-Besucherinnen und -besucher ein Jahr lang. Entstanden ist ein zärtlicher und humorvoller Film über sympathische, vielleicht etwas verrückte Menschen, deren Schalk und Lebenslust ansteckend wirken.
Gino mit seiner langjährigen Freundin
Suchend und abwartend
Christiane und ihre beste Freundin Michelle gehen regelmässig ins Tanzcafé. Tanzen bedeutet ihnen alles. Christiane ist Anfang 70 und lebt seit vielen Jahren in der Pariser Banlieue, sie hat sich früh von ihrem Mann getrennt und drei Kinder allein aufgezogen. Michelle ist Mitte 60 und lebt von ihrem Mann getrennt. Sie machte Christiane immer wieder Mut, so bei deren Brustkrebsoperation und anderen schwierigen Lebenslagen. Sowohl Christiane als auch Michelle sind auf der Suche nach einem Partner. Beim Tanzen lernen sie neue Männer kennen. Doch viele sind verheiratet oder nur auf ein schnelles Abenteuer aus. Der Film begleitet die beiden bei ihrer Suche nach dem Richtigen in diversen Pariser Tanzcafés.
Gino und Eugène sind beste Freunde und verbringen ihre Nachmittage tagtäglich gemeinsam im Tanzcafé, Gino anfangs 70, Eugène anfangs 80. Gino ist Italiener und in jungen Jahren mit einem Koffer und ein paar Oliven aus Kalabrien nach Paris gekommen. Er hat als Lastwagenfahrer gearbeitet und einen Teil seiner Einkünfte den Eltern nach Hause geschickt. Eugène ist Halbitaliener und in Algerien aufgewachsen. Seine Mutter war Italienerin, sein Vater Franzose. Er hat früher an der Côte d´Azur als Chauffeur gearbeitet. Auch den Männern schaut Blümner über die Schultern und entdeckt Überraschendes und Lustiges. Die beiden lieben alle Frauen und hören auch nicht auf, dies zu betonen. Darin sind sie sich einig und flirten ohne Ende mit den Besucherinnen der Tanzcafés. Gino hat zwar seit 16 Jahren eine feste Freundin, die im Süden Frankreichs wohnt. Ab und zu fahren sie gemeinsam in den Urlaub nach Italien. Doch die Männer haben mit den Folgen des Alters zu kämpfen, vor zwei Jahren hatten beide Prostataoperationen und seither leidet ihr aktives Sexualleben. Tanzen ist und bleibt ihre Leidenschaft, die sie am Leben hält. Sie kennen alle Besucherinnen und Besucher der Tanzcafés, sind aber trotzdem manchmal einsam, auch wenn sie das niemals zugeben würden.
Michel, Mitte 60, ist von Beruf Taxiboy, tanzt mit gut betuchten Damen gegen Bezahlung. Er ist verheiratet, was er offenlegt, ist männlich und elegant und jeden Tag in einem der Pariser «Thé dansants» anzutreffen, von Damen gebucht, die ihre Einsamkeit beim Tanzen vergessen und nicht in die Falle von Flirt und Anmache geraten wollen.
Christiane und Michelle beim freundschaftlichen Gespräch
Die Regisseurin Bettina Blümner
Die 1975 in Düsseldorf geborene Drehbuchautorin und Regisseurin Bettina Blümner ist bei uns noch wenig bekannt. Sie studierte Medienkultur und Gestaltung an der Bauhaus-Universität in Weimar, machte anschliessend ein Regie-Studium an der Filmakademie Ludwigsburg und war in einem Austauschprogramm in Kuba. In dieser Zeit drehte sie erste Kurzfilme, so «La Vida Dulce», der das Prädikat «Besonders wertvoll» erhielt und auf dem Filmfestival Münster mit dem Förderpreis ausgezeichnet wurde. Dann drehte sie den Kurzfilm «Naked City» über die Künstlerin Pia Dehne. 2007 hatte sie mit «Prinzessinnenbad» ihr Langfilmdebüt. Er handelt von drei 15-jährigen Mädchen im Berliner Stadtteil Kreuzberg, für den sie den Preis «Dialogue en Perspective» bei der Berlinale und den Deutschen Filmpreis 2008 erhalten hat.
Michel, der Taxiboy mit Partnerin
Einsam oder zweisam, das ist die Frage
In «Parcours d’amour» sind die Herren weisshaarig und etwas gebrechlich, beim Tanzen drücken sie die Frauen am liebsten eng an sich und knutschen mit ihnen ein bisschen, viel mehr liegt nicht mehr drin, vier blaue Pillen für weitergehende Aktivitäten kosten 45 Euro. Die Damen wiederum wünschen sich eher gepflegte Zweisamkeit, eine kleine Flucht aus dem Alltag des Alleinseins, und wenn sie sich auf jemanden einlassen würden, dann nicht für einen One-Night-Stand. Blümner hat in den Tanztees von Paris alte Menschen gefunden, die bereit waren, offen über ihre Sehnsüchte und Begierden zu reden, ihre Fotoalben aufzuschlagen und sich mit ihren Geschichten mit dem anderen Geschlecht zu offenbaren. Einzelne Herren prahlten gern mit den Frauen, die sie hatten, den Geliebten, die sie sich jahrelang leisteten, der Ungebundenheit, die sie angeblich im Umgang mit Beziehungen und Sex anstrebten. Die Frauen wiederum erzählten offen, aber dennoch dezent aus ihren Familiengeschichten, waren jedoch konsequent, wenn es darum ging, den falschen Mann zu verlassen.
«Parcours d’amour» kommt leicht und gleichzeitig melancholisch wie ein Musette-Walzer daher. Mit den Statements der Tänzerinnen und Tänzer erklärt der Film einige über das Verhalten der alten Menschen auf der Suche nach Ablenkung, nach Zweisamkeit, die meist geschlechtstypisch sind, eher prahlerisch auf der einen, verschämt verschwiegen auf der anderen Seite. Doch immer auf Trab und unternehmungslustig sind sie, umso mehr, als in ihrer nicht mehr allzu langen Lebenserwartung Eile auch wirklich geboten ist. Denn das Glück ist bekanntlich flüchtig; und vielleicht ist heute schon nicht mehr erreichbar. Doch schon allein die Jagen nach Vertrautheit und Nähe, nach Glück und Liebe macht Sinn. In den Tanzsälen von Paris – und den Hunderten von anderen Orten auf der übrigen Welt.