Pepe Mujica - El Presidente

Heidi Specognas «Pepe Mujica – El Presidente» über den ehemaligen Revolutionär und späteren Präsidenten von Uruguay: einen grossen Menschen und Politiker, eindrücklich verfilmt.
Pepe Mujica - El Presidente

Ein früherer Guerillero, der zum Präsidenten Uruguays gewählt wird, der weiter in einer kleinen Finca statt im Regierungspalast wohnt und den grössten Teil seines Gehalts spendet, der mit Witz, Verstand und Leidenschaft seinen Ideen treu bleibt – gibt es das? Ja, Pepe Mujica ist als «ärmster Präsident der Welt» ein Begriff geworden. Der ehemalige Guerillero gilt als eine der charismatischsten politischen Persönlichkeiten Lateinamerikas. Sein bescheidener Lebensstil und sein unkonventionelles Auftreten im politischen Protokoll machen ihn glaubhaft für Jung und Alt, nicht nur, weil er fast 90 % seines Präsidentengehalts an soziale Projekte und NGOs spendet. Seine politischen Visionen wecken weltweit Aufsehen.

Pepe Mujicas abenteuerliche Biografie

Gründungsmitglied der Stadtguerilla Tupamaros, Verhaftung, 14 Jahre in den Gefängnissen der Militärdiktatur, bis er und seine spätere Frau Lucía Topolansky 1985, nach der Rückkehr der Demokratie in Uruguay, amnestiert werden. In der Nähe der Hauptstadt Montevideos bauen sie Blumen an, ihr politisches Engagement setzen sie als Parlamentsabgeordnete für die aus den Tupamaros hervorgegangene Partei Movimiento de Participación Popular fort. Von 2005 bis 2008 ist er Landwirtschaftsminister, 2009 wird er zum Präsidenten Uruguays gewählt.

In seiner Amtszeit von 2010 bis 2014 wird der Anteil der Menschen unterhalb der Armutsgrenze von 34 auf 11 % gesenkt, 98 % der Bevölkerung haben Zugang zu sauberem Trinkwasser, 70 % sind an die Abwasserversorgung angeschlossen. Die Arbeitslosenquote ist mit 6 % eine der niedrigsten in Lateinamerika. Ein Sonderprogramm, in das auch Teile des gespendeten Präsidentengehalts einfliessen, ist unter Einbezug der Privatwirtschaft und der Hilfe der Menschen vor Ort dem Wohnungsbau gewidmet. Die soziale Ungleichheit in Uruguay, das seit zehn Jahren ein beträchtliches Wirtschaftswachstum verzeichnet, besteht jedoch weiter, ca. 40 % der Arbeiter müssen mit dem Mindestlohn von knapp 500$ auskommen.

Gesellschaftspolitisch macht Uruguay unter seiner Präsidentschaft vor allem durch zwei Initiativen von sich reden. Nachdem bereits 2009 homosexuelle Lebensgemeinschaften legalen Status erhalten haben, wird die Gleichstellung mit dem Recht auf Adoption und der Zulassung der Eheschliessung zwischen gleichgeschlechtlichen Partnern fortgeführt. Im Mai 2014 tritt das weltweit erste Gesetz in Kraft, das als Massnahme im Kampf gegen die Drogenkartelle und die Kriminalität Anbau und Verkauf von Marihuana unter staatlicher Kontrolle legalisiert. Dies führte sogar zu seiner Nominierung für den Friedensnobelpreis. Nachdem er sich 2014/15 nicht mehr zur Wahl stellt, werden Pepe Mujica und Lucía Topolansky in den Senat gewählt.

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Pepe und Lucía auf ihrer Finca

Heidi Specogna und Pepe Mujica

Die Schweizer Filmemacherin Heidi Specogna: «1995 haben wir einen langen Dokumentarfilm über Pepe Mujica gedreht. Uns interessierte, wie nach dem Ende der Diktatur und der Freilassung der politischen Gefangenen sich aus der ehemaligen Stadtguerilla ein politisches Parteienbündnis formierte. Und wir waren dabei, als dieses seinen ersten Abgeordneten ins Parlament schickte: Auf einem klapprigen Moped tuckerte der Bauer und Blumenzüchter Pepe Mujica zum Regierungspalast im Herzen Montevideos. Mit diesem Einstand begann seine märchenhaft anmutende politische Laufbahn, deren Anfänge wir damals in dem Filmportrait „Tupamaros" eingefangen haben. Wir sind über die Jahre mit Pepe und Lucía in Kontakt geblieben. Es gab Briefe, Telefonate, auch Besuche.

Mit „Pepe Mujica – El Presidente" will ich einen zweiten Blick auf unseren Protagonisten werfen. Diesen Film tragen weniger die Fragen nach dem Strom der Geschichte, die Pepe geprägt hat, als die Neugierde darauf, wie es ihm in seinem Amt gelingt, sich treu zu bleiben und trotz vieler Kompromisse das Menschliche nicht aus dem Blick zu verlieren. Der zweite Blick auf unseren Protagonisten scheint mir ruhiger und auf gewisse Weise offener geworden zu sein. Wir vertrauen der Beobachtung, dem filmischen Begleiten, beides möglich durch eine über viele Jahre gewachsene Beziehung. Und ich liess mich gerne überraschen von Pepes Findigkeit, aus dem strengen Protokoll auszuscheren, für ihn gleichsam ein neuer Kerker, und mit uns Zeit für ein paar Takte Tango zu finden. Die Werkzeuge, an die sich seine Hände im Laufe seines Lebens gewöhnten, haben sich verändert. Vom Bauern zum Präsidenten. Ebenso die Accessoires, die Rituale, gar die Sprache. Mich interessierten die kleinen Fluchten, die Pepe sich schafft, um dem jungen Träumer in sich nah zu bleiben.»

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Frei und glaubwürdig in all seinen Reden

Erfahrungen mit «Pepe Mujica – El Presidente»

Tief betroffen und begeistert, dass es einen solchen Präsidenten in einem wirklichen Land in der heutigen Zeit irgendwo auf der Erde gibt, habe ich das Kino verlassen. Neben einem solchen Menschen und Politiker müssen doch die meisten, die heute die Welt regieren, als machthungrig, geldgierig, verlogen, korrupt und vor allem unmenschlich bezeichnet werden. Dies zu belegen, fällt nicht schwer, fast täglich entlarven die Medien den einen oder andern von ihnen.

Gleich nach dem Kinobesuch begegnete ich einem befreundeten Paar, denen ich aus meiner Betroffenheit und Begeisterung heraus von diesem eindrücklichen Dokumentarfilm über Pepe Mujica erzählte. Die beiden folgerten aus meiner Beschreibung, dass dieser Film für sie ein Zeichen der Hoffnung sei, indem er zeige, dass positive Veränderungen möglich seien. Ich folgerte meinerseits, dass dieses Porträt mich eher traurig stimme, da dieser heute 80-jährige Mann sein Amt aufgegeben habe, heute als Abgeordneter wohl nur noch wenig bewirken könne und nach ihm die Situation sich wohl wieder ändern würde.

Diese widersprüchlichen Wahrnehmungen des sehr gut gemachten Films über einen grossartigen Menschen und Politiker machen deutlich, dass eine Filmemacherin oder ein Filmemacher nur die eine Hälfte eines Filmes, das Publikum die andere Hälfte macht. Wir Zuschauer und Zuschauerinnen mit unseren Erwartungen, Befindlichkeit, unserem Denken und Führen, unseren Welt- und Menschenbildern erleben die Filme je verschieden. Das macht es so wichtig, die verschiedenen Wahrnehmungen miteinander auszutauschen und die Gründe dafür zu hinterfragen. Denn die Wahrheit steckt nicht im Film, sondern entsteht erst im Dialog zwischen dem Film und den Menschen, die ihn sehen. Gespräch empfehlen sich besonders bei einem Werk mit den Qualitäten, wie sie «Pepe Mujica – El Presidente» aufweist.

Regie: Heidi Specogna, Produktion: 2014, Länge: 94 min, Verleih: Filmcoopi.ch