Police, Adjective
Cristi bespitzelt ein armes Menschenopfer
Der frisch verheiratete junge Polizist Cristi fragt sich, ob es eine gute Idee ist, Schüler zu verhaften nur weil sie Gras rauchen. Wie beiläufig erzählt der rumänische Jungstar unter den Regisseuren eine unwiderstehlich absurde Story und diskutiert über den feinen Unterschied zwischen Gesetz, Gerechtigkeit und Gewissen, aber auch Arbeit, Gehorsam. Im Auftrag seiner Vorgesetzten beschattet er seit langem einen Schüler, der verdächtigt wird Haschisch zu rauchen und vielleicht sogar zu dealen. Sie drängen auf Verhaftung, obwohl die Überwachung bisher kaum konkrete Hinweise erbracht hat. Ausser, dass der Schüler tatsächlich ab und zu eine raucht. Und das reicht in diesem Land für ein paar Jahre Knast. Doch Cristi sieht nicht ein, weshalb er jungen Menschen die Zukunft verbauen soll, wenn im ganzen restlichen Europa jeder straffrei einen Joint rauchen darf. Aber seine Chefs bleiben stur. Gesetz ist Gesetz und Cristi ist ein Polizist.
Nachrichten aus dem Irrenhaus des Lebens
Porumboiu hat zusammen mit exzellenten Darstellern einen Film gedreht, der sich weltweit unzählige Preise geholt hat. Ein Werk, das für mich vergleichbar ist mit den Erzählungen von Kafka oder den Parabeln von Beckett. Wie seine Frau etwa einen sentimentalen Schlager trällert, erinnert an Winnies Summen zur Spieldosenmelodie am Schluss von «Glückliche Tage». Der ganze Film dekliniert und konjugiert in der Sprache des Absurden Theater Wörter durch, die im Alltag mit grösster Selbstverständlichkeit verwendet werden, obwohl sie eigentlich sinnlos sind oder Sinnloses beschreiben. Der Autor fragt leichthändig und schwermütig zugleich wie kaum ein anderer nach dem Sinn oder besser dem Unsinn von Vielem, nicht bloss einer konkreten banalen Handlung, eines aktuelles politisches System, sondern von Allem, dem Leben ganz grundsätzlich. Diese Nachrichten aus dem Irrenhaus des Seins schildert Corneliu Porumboiu in einer heiter-traurigen Lakonie, wie wir sie von Buster Keaton oder Jim Jarmusch kennen.
Aus einem Interview mit Corneliu Porumboiu, von Marcus Rothe
Gingen Sie bei der Entwicklung der Geschichte von der Figur des Polizisten aus oder ging es Ihnen eher um abstrakte Themen wie Machtmissbrauch, Wortspiele etc.?
Die Inspiration zu meinen Filmen erhalte ich, wenn ich das Leben um mich herum beobachte. Ein Freund von mir arbeitet für die lokale Polizei und er erzählte mir von seinen täglichen Erfahrungen. Etwas später las ich in der Zeitung die Nachricht von einem Mann, der seinen Bruder bei der Polizei fürs Dealen mit Haschisch angezeigt hatte. Ich fand das hochinteressant.
Was genau fanden Sie an der Geschichte interessant?
Nicht die Konsequenzen des Delikts oder was danach vor Gericht geschah. Es war die Vorstellung vom Verrat zwischen zwei Brüdern, die meine Fantasie ankurbelte. Ich begann mit der Arbeit an einem Drehbuch und recherchierte, wie die Polizei die Beschattung von Verdächtigen organisiert. Das fand ich faszinierend.
Würden Sie sagen, dass «Police, adjective» auch Themen Ihres ersten Films aufgreift?
Für mich ist es ein zeitgenössischer filmischer Ansatz, eine absurde Geschichte in fast dokumentarischer Weise zu erzählen. Am Ende ist es ein Film sowohl über die Bedeutung von Worten als auch über den Begriff «Gesetz». Ich beschäftige mich gerne mit dem Sinn, den wir Begriffen wie «Moral», «Gesetz» und «Gewissen» zuordnen.
Sie zeigen in Echtzeit, wie Cristi einen jungen Verdächtigen beschattet. War dies auch ein Ansatzpunkt zur Erforschung des täglichen Lebens in der heutigen rumänischen Gesellschaft?
Sicher. Wir sehen den Polizisten in einer Welt des Übergangs, in welcher alle Figuren sich auf dem Weg von einer alten zu einer neuen Gesellschaft befinden. Es ist das Portrait des heutigen Rumäniens, eines Landes, das vor Kurzem Mitglied der EU wurde, sich aber noch im Wandel befindet.
Sinnloses Arbeiten in der Verwaltung
Viele Szenen im Film kommen ohne grosse Handlung aus. Man sieht viel Verwahrlosung und viel komplizierte Bürokratie und Engstirnigkeit. Steht all das auch für den Unwillen der rumänischen Gesellschaft, sich zu verändern und nach vorne zu blicken?
Mir geht es nicht wirklich um die Stagnation unserer Gesellschaft oder ihre Unfähigkeit, sich zu verändern. Mich interessiert viel mehr, wie Cristi mit der Situation im heutigen Rumänien umgeht. Der ganze bürokratische Verkehr – Recherchieren von Namen, Akten anlegen, sich mit anderen Abteilungen absprechen – ist Teil der Ermittlungen. Alles braucht viel Zeit und viel Energie, weil Cristis Arbeit dazu dient, die Wahrheit herauszufinden. Er versucht, vorschriftsmässig vorzugehen und schreibt immer alles genau auf. Dann muss er weitere Berichte einholen über Leute, die in seinen Fall involviert sind. All das erscheint extrem bürokratisch, aber ich habe manchmal das Gefühl, dass wir alle als Akten für jemand anders dienen.
Ihr letzter Film war eine ironische Auseinandersetzung mit geschichtlicher Heldenverehrung. Nun ist die Hauptfigur kein Held, der eine schwierige Herausforderung meistert, sondern ein einfacher Polizist, der mit seinem Gewissen hadert.
Als Regisseur interessieren mich einfache Menschen. Ich will keine Filme über grosse Helden machen. Für mich soll Kino ein Abbild der Zeit sein, in der wir leben. «Police, Adjective» konzentriert sich darauf, wie wir Begriffe benutzen und missbrauchen. Am Ende von «12:08 East of Bucharest» standen plötzlich ganz viele verschiedene Definitionen der Revolution im Raum. Jetzt versuche ich herauszufinden, was genau hinter Worten steckt, wie Begriffe interpretiert werden und wie verschieden die Bedeutungen dahinter sind. «Police, Adjective» kulminiert in einer Szene, in welcher ein rumänisches Wörterbuch Begriffe wie «Gewissen» und «Gesetz» erklären soll – nur tut es das dann doch nicht.
Cristi ist nicht eine unmittelbar sympathische Figur und es braucht Zeit, um ihn zu mögen und zu verstehen. Wie sind Sie vorgegangen, um Empathie für seine Figur zu entwickeln und das Interesse des Publikums an seiner Figur zu wecken?
Meine wichtigste Quelle war mein Freund, der bei der Polizei arbeitet. Dadurch, dass man Cristi so detailliert bei der Arbeit zuschauen kann, erscheint er irgendwie liebevoll. Schon beim Schreiben des Drehbuchs waren mir die ganz kleinen Schritte in seiner Arbeit wichtig. Sein Charakter drückt sich in kleinen Details aus. Ich wollte die Leute nicht zwingen, sich mit ihm identifizieren zu müssen oder seine Motive offensichtlich machen. Es war besser, die Geschichte ihren Gang nehmen zu lassen, ohne zusätzliche Elemente, die ihn schnell attraktiv würden erscheinen lassen. Am Ende überrascht er uns, als er nach Vorschrift handelt. Und trotzdem behält er seine Identität. Cristi ist ein durch und durch professioneller Mensch, seiner Arbeit verpflichtet, selbst wenn es um einen sinnlosen Fall geht. Das macht ihn speziell.
Er befindet sich also in einem Konflikt zwischen Gesetz und Gerechtigkeit?
Genau. Wir sollten grundsätzlich ein besseres Verständnis dafür haben, was die beiden Begriffe genau bedeuten. Am Anfang des Films hält es Cristi für falsch, zwei Freunde gegeneinander auszuspielen, sie zu Kain und Abel werden zu lassen. In der letzten Auseinandersetzung mit seinem Chef muss er seinem Gewissen folgen, das ihn davon abhält, etwas zu tun, das er später bereuen wird. Sein Chef besteht darauf, das Gesetz zu befolgen. Aber was geschieht mit seinem Gewissen, wenn er tut was man ihm sagt?
Vom Sinn und Unsinn der Wörter
Wer ausser die Hercule Poirot-Serien hat Ihren Film sonst noch beeinflusst?
Ich schaue viele Krimis weil ich immer gerne spekuliere, was als nächstes passiert. Vom Stil her hinterliess sicher «Pickpocket» seine Spuren und generell Robert Bressons Art und Weise, seinen Figuren zu folgen. Bei ihm öffnen sich immer Türen oder man geht einen Korridor entlang. Ich glaube, die Körpersprache von Bressons Figuren ist ein grosser Einfluss im Film. Gleichzeitig dachte ich oft an Antonionis «Blow Up», als ich die langen Szenen ohne Dialog drehte.
Es gibt in diesem Film viel weniger Dialog als in Ihrem letzten, aber die wenigen Passagen scheinen sehr sorgfältig ausgewählt und sagen viel aus über die Figuren und den Zustand der Gesellschaft.
Alles im Film, und speziell die Szenen mit wenig Action, unterstreicht die Absurdität des letzten Dialogs zwischen dem rebellierenden Polizisten und seinem Vorgesetzten. Davor, wenn Cristi auf dem Posten mit Kollegen spricht, geht es fast immer nur um den Begriff Zeit: Wann hast du diesen Fall übernommen? Wann kann ich mit den Infos zu den Verdächtigen rechnen? Die Situation ist absurd, denn alle sind mit etwas anderem beschäftig und keiner hält Cristis Arbeit für sehr relevant. Zeit zu finden für etwas wird zu einem grossen Problem für die Figuren und so wird der Film allmählich zu einem Film über die Zeit.
Cristi ist ein idealistischer Polizist, der gegen ein zynisches System kämpft, welches die Menschen bricht und sie zu Zahnrädern in einer Maschine degradiert. Sehen Sie ihn auch als tragischen Charakter?
Überhaupt nicht. Am Ende erteilt ihm sein Boss eine Lektion zur Bedeutung von «Gesetz» und «Gewissen» und Cristi akzeptiert das. Ich wollte keine tragische Figur schaffen, sondern nur einfach jemanden zeigen, der ein guter Polizist sein will.