Portrait de la jeune fille en feu
Die brennende Héloïse
In einer kurzen Einleitung lernen wir eine Malerin kennen, von der ein frühes Gemälde mit einem brennenden Mädchen am Schluss des Films real wird. Die Künstlerin, Marianne, hat von einer vornehmen Gräfin den Auftrag erhalten, ein Porträtbild ihrer Tochter Héloïse anzufertigen, das als Verkaufsargument für die Ehe mit einem unbekannten Adligen in Mailand dienen soll. Dafür wurde sie aus dem Kloster geholt, denn ihre zuerst für diese Ehe vorgesehene Schwester ist auf mysteriöse Weise ums Leben gekommen. Aufgewühlt und rebellierend weigert sie sich zu heiraten und folglich als Modell zu sitzen. Marianne soll nun nach Anweisung der Auftraggeberin zunächst als Gesellschaftsdame der jungen Frau nachts mit den tagsüber angefertigten Skizzen das Porträt malen. Doch je mehr Zeit Marianne und Héloïse miteinander verbringen, desto stärker fühlen sich die jungen Frauen zueinander hingezogen.
Héloïse bei den mysteriösen Klippen
Eine Annäherung mit Blicken, Gesten und Worten
Im ersten Teil des Filmes gibt es eine wunderbare Sequenz, die beide Frauen, die Malerin und das Modell, nebeneinander am Meer zeigt. Die Kamera ist so positioniert, dass Mariannes Gesicht jenes von Héloïse verdeckt, wenn beide in die Brandung schauen. Immer dann, wenn Marianne den Kopf in Richtung Héloïse dreht, gerät diese ins Bild. Nach einer Weile bemerkt Héloïse, dass Marianne sie betrachtet, blickt zurück, und sogleich wendet Marianne sich ab, blickt aufs Meer und Héloïse verschwindet hinter deren Profil.
Diese faszinierend komponierte und dennoch glaubhaft wirkende Szene führt hinein in den vor allem mit Bildern choreografierten Film, unterstützt von wenigen Sätzen, sorgfältigen Bewegungen und wenigen Gesprächen. Die Neugier, die hinter der sich entwickelnden Annäherung steckt, mit der die Malerin ihr Modell heimlich beobachtet, verweist auf ein unterdrücktes, tabuisiertes lesbisches Begehren. Zugleich entfaltet sich ein äusserlich keusches, doch innerlich erotisches Wechselspiel von Verbergen und Enthüllen, Hinschauen und Wegschauen, Zuneigung und Abneigung. Dass Héloïse die Blicke Mariannes erwidert und die beiden sich näherkommen und anfreunden, geht von Marianne aus, die in der Liebe Erfahrung hat. Ihr Liebesspiel umfasst die Erregung ihrer Körper und ihre Seelen. Zusätzlich zu diesem Pas-de-deux der Liebenden spielt der Film Varianten eines damaligen Frauenlebens durch: Abtreibung und Geburt, gemeinsames Essen und Trinken sowie Kartenspielen.
Marianne und Héloïse (v. l.) kommen sich näher
Vom Subjekt zum Objekt und vom Objekt zum Subjekt
Die Blickrichtung der Kamera führt vom Subjekt des Begehrens, der Malerin, zum Objekt des Begehrens, dem Modell. Wie Céline Sciamma dies inszeniert, kann als weiblich gelesen werden, umfasst es doch vor allem Köpfe und Schultern. Erst wenn Héloïse ihre Hände im Schoss so aufeinanderlegt, dass die Finger der einen Hand das Gelenk der anderen umschliessen, weicht die Regisseurin davon ab, fährt die Kamera nach unten, eher in männlicher Art. Es ist aber nicht Héloïses Körper, für den sich Marianne interessiert, sondern ihre Bewegungen, ihre eigentümlich neugierige Art, die zu ihrem persönlichen Ausdruck gehören. Die beiden Frauen kommen sich also in der gegenseitigen Beschreibung ihres Verhaltens näher. Mit Worten tasten sie sich ab, nehmen voneinander Besitz, lösen sich vom Objekt-Sein und werden beide Subjekte.
Zum Wendepunkt kommt es, als Marianne, für die Héloïse Objekt gewesen ist, das Gemälde von ihr als vollendet bezeichnet und ihr gleichzeitig ihre Zuneigung gesteht. Héloïse äussert sich verächtlich über das konventionell gemalte Bild. In einem verzweifelten Ausbruch zerstört darauf die sonst disziplinierte Marianne das Bild. Als die Gräfin sie dann entlassen will, erklärt sich Héloïse überraschend bereit, sich jetzt von Marianne porträtieren zu lassen, akzeptiert also deren Annäherung über die Leinwand. Und damit wird auch Héloïse zur Handelnden, zum Subjekt. Vollends bricht dann die bisher verheimlichte Liebe in erotischen Bildern offen aus, als die Contessa, symbolisch die Vertreterin der Tradition und Konvention, für einige Tage weg ist.
Marianne erweckt Héloïses Liebe beim Porträtieren
Der Bruch mit der Gesellschaft
Mariannes Annäherung von hinter ihrer Staffelei erlaubt ihr eine überlegene Position. Unerbittlich und zärtlich zugleich zählt sie die Eigenschaften von Héloïse auf: Wie sie sich mit der Hand über den Mund fährt, wenn sie aufgebracht ist, auf die Lippen beisst, wenn ihr etwas peinlich ist, aufhört zu blinzeln, wenn sie sich ärgert. «Ich würde es hassen, in deiner Position zu sein», bringt Marianne die vorläufige Rollenverteilung auf den Punkt. Héloïse aber ist nicht bereit, diese hinzunehmen, energisch bittet sie Marianne zu sich und verlangt von ihr, ihre Position einzunehmen. «Wenn du mich ansiehst, wen sehe ich dann?», fragt sie, ohne eine Antwort abzuwarten und beschreibt nun ihrerseits Marianne, wie sie sich mit der Hand über die Stirn streicht, wenn sie nicht weiss, was sie sagen soll, wie sie die Augenbrauen hochzieht, wenn sie die Kontrolle verliert, durch den Mund atmet, wenn sie aufgewühlt ist. Jetzt wird das Objekt der Begierde zum Subjekt der Begierde. Héloïse lässt sich zwar äusserlich auf die Rollenverteilung ein, indem sie für Marianne Modell sitzt, weist diese aber innerlich zurück. Mit dieser Haltung machen sie die zwei Frauen, zwei autonome Menschen, die emanzipiert denken und fühlen, im vorrevolutionären 18. Jahrhundert, einen radikalen Bruch mit der patriarchalen Gesellschaft.
Héloise erlebt ihre erste Liebe
Eine Mise en Scène der Gesichter und Hände, des Feuers und der Gesänge
Eine Inszenierung auf solch hohem Niveau, die weniger vom Aussen als vom Innen handelt, der historischen Wahrheit ebenso verpflichtet wie der heutigen Aktualität, gelingt nur mit grossartigen Mitwirkenden. Und das hat «Portrait de la jeune fille en feu». Adèle Haenel und Noémie Merlant als Protagonistinnen, ergänzt durch Luana Bajrami als Sophie und Valeria Golino als Gräfin in den Nebenrollen, verleihen dem Film die im Drehbuch formulierte Tiefe. Es ist die Nähe zwischen Marianne und Héloïse und die Intensität der Kamera von Claire Mathon, die Céline Sciammas Film sehenswert und genussvoll machen. Dafür hat sie in Cannes die Goldene Palme für das beste Drehbuch erhalten.
Vor der Kamera als auch hinter der Kamera liegt der Film in Frauenhänden. Die Männer, die am Anfang die Malerin mit dem Schiff auf die Insel bringen, haben einen kurzen, beiläufigen Auftritt und verschwinden gleich danach. Einer von ihnen kehrt am Schluss des Filmes dann aber, Unheil verheissend, zurück. Eines Morgens sitzt er mit dem Dienstmädchen am Küchentisch und signalisiert das jähe Ende des Zusammenseins der beiden Frauen, dieses weiblichen Refugiums, wo die beiden nach ihren Bedürfnissen leben und lieben konnten. Das alles geschieht in den paar Tagen, während die Gräfin abwesend ist, und innerhalb des gesetzten Termins zur Fertigstellung des Porträts. Die Gnadenfrist, in welcher das Patriarchat, nachdem es kurze Zeit ausgesetzt war, mit voller Wucht wieder die Herrschaft übernimmt, ist wieder zu Ende.