Satte Farben vor Schwarz
Anita und Fred, beide anfangs siebzig, haben zwei erwachsene Kinder, Patrick und Karoline, und ihre Enkelin Yvonne, die vor dem Abitur steht. Fred hat es als Kaufmann zu Wohlstand gebracht, Anita geniesst das Leben, beiden fehlt nichts, ausser der Zeit, die schwindet. Eines Morgens verabschiedet er sich und geht ins Büro. Sie macht in der Stadt Besorgungen und sieht ihn auf der Strasse. Neugierig geht sie ihm nach und findet ihn in einem leeren Apartment. Er ist überrascht und peinlich berührt. Er habe die Wohnung als Investition gekauft, sagt er. Vor den Kopf gestossen, lässt sie ihn wortlos stehen. Als Fred nach Hause kommt, stellt ihn Anita zur Rede. Er beteuert, dass er keine Geliebte habe, sondern einfach einen Ort zum Nachdenken brauche. Anita ist tief verletzt, dass ihr Mann sie zum ersten Mal in ihrer Ehe ausschliesst und plötzlich Raum für sich allein beansprucht.
Patrick kommt zur Hochzeit seiner Schwester angereist. Er merkt sogleich, dass es in ihrer Ehe Spannungen gibt. Eher unfreiwillig offenbart Anita in ihrer Wut dem Sohn das Geheimnis: Fred hat Prostatakrebs und verweigert eine Behandlung, möchte den Rest des Lebens nicht als Patient verbringen. Anita schimpft Fred deshalb einen Egoisten. Karoline soll nichts davon erfahren, die Eltern wollen ihr Fest nicht verderben. Es wird trotz allem eine ungetrübte Hochzeitsfeier. An Freds Stelle hält Yvonne die Rede auf das glückliche Paar.
Zu Hause holt der Konflikt die beiden wieder ein. Sie stellt ihrem Mann ein Ultimatum: entweder die Wohnung oder ich! Karoline hat inzwischen alles erfahren. Freundlich, aber bestimmt wehrt der Vater ihre Besorgnis ab. Am nächsten Morgen geht er ins Büro, wo die Sekretärin überrascht ist, ihren Ex-Chef anzutreffen. Gemeinsam bringen die Eltern ihren Sohn zum Flughafen. Nach einer aufwühlenden Gewitternacht trifft Anita einen verzweifelten Entschluss. Wenn Fred sein Leben nicht mehr mit ihr teilen will, verlässt sie ihn. Als er nach Hause kommt, findet er die Ansichtskarte einer Seniorenresidenz mit dem Text: «Meine neue Adresse. A.»
Als er sie dort besucht, weist sie ihm die Tür. Auch beim nächsten Besuch reagiert sie kühl und abweisend. Dann erinnert er sie an Yvonnes Abiturfeier. Sie gehen hin. Auf der Feier tanzen beide ausgelassen mit ihrer Enkelin und deren Mitschülerinnen, bevor sie sich diskret verabschieden. Die Nacht verbringen sie in einem Hotel, lieben sich und tauschen Erinnerungen an ihr bewegtes Leben und ihre Liebe aus. Jetzt steht ihre Entscheidung fest: Sie wollen für immer zusammenbleiben. Am nächsten Morgen machen sie sich elegant zurecht: er im dunklen Anzug, sie ganz in Schwarz. Ein Taxi holt sie ab. Auf dem Rücksitz halten sich Anita und Fred die Hände…
Zu den Mitwirkenden
Sophie Heldman studierte an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin, die sie mit dem Spielfilm «Satte Farben vor Schwarz» abschloss. Da das Drehbuch auf persönlichen Erfahrungen basiert, stand für den Produzenten ausser Frage, dass sie es selbst inszenieren sollte, und zwar nicht als Low-Budget-Produktion, sondern mit genügend Geld, einem hochkarätigen Team vor und hinter der Kamera und Senta Berger und Bruno Ganz als Traumbesetzung.
Schon aufgrund der Konzentration auf zwei Protagonisten und einen Drehort hat der Film Kammerspielcharakter, wirkt jedoch nicht dialoglastig. Die Kamera bleibt eng bei den Hauptfiguren, die sich intensiv mit ihrer Liebe, ihrer Ehe und ihrem Leben beschäftigen.
Sophie Heldman zum Film
«Anita und Fred handeln im Film wie die realen Personen im Leben: Sie wählen den Freitod nicht weil sie müssen, sondern weil sie wollen. Der Freitod ist für sie ein Mittel, um das Leben selbstbestimmt und ohne Leid zu beschliessen.»
«Zu einem glücklichen Leben gehört meiner Meinung nach der Wunsch nach einem würdevollen Ende. Die Freiheit, über den Tod selbst zu entscheiden und die Unendlichkeit einer gelebten Liebe sind die Themen des Films. Anita und Fred sind seit ihrer Jugend ein Paar. Am Ende ihres Lebens nehmen sie sich die Freiheit und das Recht, ihr Sterben selbst zu gestalten und wählen gemeinsam den Freitod.»
«Die beiden verkörpern ein klassisches bürgerliches Beziehungsmodell des 20. Jahrhunderts, das in dieser Form nur als romantisierendes Ideal existiert. Ich habe versucht, jedes Detail im Film so anzulegen, dass es den Zuschauer auffordert, eine persönliche Haltung gegenüber dem Ende zu beziehen.»
Und zum Schluss eine persönliche Meinung
«Satte Farben vor Schwarz» sah ich einen Tag nach «Another Year» von Mike Leigh, wodurch sich ein Vergleich der beiden Filme mit alten Menschen anbietet. Im englischen wird einer Gruppe Menschen im Umfeld eines älteren Ehepaares der Spiegel vorgehalten, sind deren Sorgen und Freuden, inklusive eines Todesfalles, die Themen. Im deutschen Film wird ein reiches älteres Ehepaar bis zu seinem gemeinsamen Suizid sensibel und akribisch genau beobachtet und porträtiert.
In feinsten Anspielungen von Mimik und Gestik, aber auch des Dekors und der Landschaften werden in Heldmans Film äussere und innere Aktionen und Reaktionen gezeigt, die kaum in Worten auszudrücken sind. Alles geht dabei zwingend auseinander hervor. Und dennoch gelingt es der Regisseurin immer wieder, uns zu überraschen. Das will wohl heissen, dass wir einen Menschen nie ganz verstehen. Die letzte, alles entscheidende Sequenz des Films jedoch hat mich in ihrer Abruptheit überrascht, geschockt. Sie scheint mir, im Gegensatz zum übrigen Verlauf, nicht zwingend, unerwartet und nicht vorbereitet, in gewissem Sinn störend.
Wenn ich an die vielen kranken, behinderten und leidenden Menschen denke, die einen Teil ihres Lebens bis zu ihrem natürlichen Ende verbringen und dabei viel, oft sehr viel zu geben vermögen, erscheint mir der Suizid von Fred und Anita geradezu leichtfertig, ja fragwürdig. Schmerzen scheint Fred noch keine zu haben, er hätte wohl auch noch einige Jahre unbeschwert leben können, der Film macht keinen Hinweis auf seelisches Leid oder Verzweiflung. Und Anita hätte auch nach einem natürlichen Ableben ihres Partners ein neues Leben aufbauen können, ihre Familie bot sich dafür geradezu an.
«Hätte» und «könnte» sage ich und denke, dass diesen beiden Menschen der Mut gefehlt hat, ihrem Leben nochmals einen neuen Sinn zu geben, zu was uns das Leben doch immer wieder verpflichtet. Wird hier die Autonomie, so frage ich, sein Leben in dieser heillos aufgeklärten Welt nach seinen Wünschen frei beschliessen zu können, nicht etwas sehr pathetisch verherrlicht? Die Begründung, den andern nicht als Patient zur Last fallen zu wollen, scheint mir, angesichts unzähliger solcher glücklicher Helferbeziehungen übertrieben, elitär und weltfremd. Oder ist der Grund für den Suizid die Fata Morgana einer romantischen und idealisierten Liebe, deretwegen die beiden sich nicht trennen wollen? Dies jedoch nehme ich dem modernen, emanzipierten Paar nicht ab. Der Schluss wirkt für mich einfach angehängt, forciert und künstlich provokativ – auch wenn der Film sich auf eine wahre Begebenheit bezieht. Dadurch erhält der grossartig gespielte und im Übrigen gut gemachte Film für mich letztlich einen faden Nachgeschmack.
Einen solchen Doppelsuizid kann es im Umfeld der Regisseurin durchaus gegeben haben. Doch Kunst bildet nicht einfach einen «Fall» ab, sondern soll Sinn-Bild für etwas Allgemeinmensches sein. Und als solches ist mir die Schlussführung des Films zufällig. Auch dann, wenn in der Filmdokumentation ein anderer Doppelselbstmord angeführt wird, nämlich jener des von mir hoch geschätzten französischen Philosophen und Freidenkers André Gorz und seiner Frau. 2007 hat er sich und seiner krebskranken Frau Dorine das Leben genommen, nachdem er kurz zuvor unter dem Titel «Brief an D.» eine bewegende Liebeserklärung an sie veröffentlicht hat: «Du bist gerade 82 geworden. Du bist immer noch schön und begehrenswert. Wir leben seit 58 Jahren zusammen und ich liebe dich mehr als je zuvor. Erst kürzlich habe ich mich erneut in dich verliebt.»