Tanna
Im Dorf der Yakel auf der Vanuatu-Insel Tanna im südlichen Pazifik leben die Menschen in Symbiose mit der Natur und im Einklang mit Ritualen. Die benachbarten Imedin haben eben wieder einen Mann von ihnen angegriffen und schwer verletzt. Zu viel der Gewalt für die Ältesten! Sie wollen Frieden und versprechen dafür die schöne Wawa dem Sohn des Imedin-Chefs als Braut. Doch diese ist unsterblich in Dain, den Sohn des Yakel-Anführers, verliebt, und dieser auch in sie. Die beiden wollen sich um keinen Preis trennen und fliehen durch die Wälder in die Höhen des Funken speienden Vulkans Yahel, dem Sitz der Geistmutter. Solches lassen sich die Imedin aber nicht gefallen, sie jagen die Liebenden quer durch die Insel, bis die beiden nur noch einen einzigen Ausweg sehen ...
Die Yakels, die Einwohner der Insel Tanna
Kommentar der Regisseure
Der Stamm der Yakels auf Tanna jagt noch immer mit Pfeil und Bogen und fertigt seine Kleider und Häuser komplett aus Materialien, die aus dem umliegenden Urwald gewonnen werden können. Ihre Tage beginnen bei Sonnenaufgang und enden mit der Zeremonie bei Sonnenuntergang. Es ist eine Lebensweise, die in der modernen Zeit fast nirgends mehr existiert, deshalb sind die Menschen hier stolz auf ihre Kultur, ihren Kastom, d. h. dem Brauchtum und den Traditionen, und wollen diese mit dem Rest der Welt teilen.
Während sieben Monaten haben wir zusammengelebt, Essen und Geschichten ausgetauscht, Zeremonien und Abenteuer zusammen erlebt und Freud und Leid geteilt. Die Kinder von Bentley haben mit den Kindern der Yalels gespielt und ihre Sprache und Lebensweise gelernt.
An einem Tag sangen die Männer ein tief berührendes Lied über ein Liebespaar, das es vor etwa 20 Jahren gewagt hatte, sich über den alten Brauch der arrangierten Ehe hinwegzusetzen. Sie sagten, dass dieses junge Liebespaar das Gesetz der Erblinien, also einen Teil der Inseltradition, verändert habe. «Tanna» ist eine kinematografische Übersetzung dieses Liedes, das im Grunde eine Geschichte über die allgemeine transformative Kraft der Liebe ist. So eng mit dem Volk von Yakel zusammenarbeiten zu können, war eine der bereicherndsten Erfahrungen innerhalb unseres kreativen Schaffens. Zusammen haben wir ein seltenes Fenster geöffnet in eine schnell verschwindende Welt, die voller Hoffnung und Dynamik ist.
Dain am Rand des Vulkans
Fragen an Bentley Dean und Martin Butler
Wie kam dieser aussergewöhnliche Film zustande?
Als wir Mitte 2013 eine Serie über die Geschichte der Aborigines von Australien fertiggestellt hatten, sagte Bentley, dass er für eine Weile mit seiner Partnerin und den beiden kleinen Kindern in einer fremden Kultur leben möchte. Er schlug vor, einen Spielfilm auf Tanna zu drehen. Da wir beide noch nie einen Spielfilm realisiert hatten und auch über kein Geld verfügten, hielt ich dies für ein sehr ambitioniertes, um nicht zu sagen ein törichtes, Vorhaben. Gleichzeitig wussten wir, dass es auch ein paar Vorteile gab: Wir waren es gewohnt, nur zu zweit und mit unserem eigenen Material zu arbeiten. Wir gingen also nach Tanna, um das Vorhaben zu testen. Der Leiter des dortigen Kulturzentrums schlug uns vor, das Dorf der Yakels zu besuchen, um die Idee mit seinen Bewohnern zu besprechen. Wir wurden so herzlich von den Männern empfangen und eingeladen, mit ihnen Kava zu trinken, alle in Penis-Schürzen, den Nambas, gekleidet. Am nächsten Morgen haben wir ihnen auf einem Laptop einen Film gezeigt, um zu demonstrieren, was wir gerne machen würden: einen Film, basierend auf ihrer eigenen Geschichte, mit ihnen als Autoren und Schauspieler. Sie hatten vorher noch nie einen Spielfilm gesehen, aber fragten sofort: «Können wir morgen anfangen?»
Was halten die Stämme vom Film?
Wir haben dem Volk der Yakels versprochen, dass sie die Ersten sein würden, die «Tanna» zu sehen bekommen. Die Stimmung war ausgelassen, als sie die Leinwand, die wir mitgebracht hatten, an einem massiven Banyanbaum befestigten, zwei weissen Laken, die in der Mitte zusammengenäht waren. Stämme kamen von überall her, um sich den Film anzuschauen. Es war ein unvergessliches Erlebnis. Niemand war je in einem Kino gewesen. Es war ihr erster Film und sie spielten darin die Hauptrolle, erzählten ihre eigene Geschichte und dies in ihrer eigenen Sprache. Es gab Freudengeschrei und Gelächter, Buh-Rufe, wenn das Liebespaar etwas Falsches machte, Buben, die während der Liebesszenen kicherten, während die Mädchen in der ersten Reihe ihnen zuriefen, ruhig zu sein. Nach langen internen Diskussionen gaben uns die Häuptlinge am nächsten Tag ihre Kritik: «Wir wissen, ihr seid mit eurer Ausrüstung und der Idee, einen Film zu machen, hierher gekommen, aber wir wollen euch sagen, dass wir diesen als unseren Film betrachten.» Sie sagten, der Film gebe die Wahrheit wieder und würde helfen, den Kastom aufrechtzuerhalten. Sie übergaben uns ein Huhn und eine heilige Kava-Wurzel.
Romeo und Julia in der Südsee
Würdigung und drei Reden ans Volk
«Tanna», das Werk der australischen Filmemacher Bentley Dean und Martin Butler, überzeugt, ist ein Seh- und Hörvergnügen sondergleichen, mit wunderbaren Bildern und harmonischen Rhythmen, der speziellen Musikalität der indigenen Sprache und Grossaufnehmen berührender Gesichter: eine meisterhafte, zauberhafte Inszenierung – und darüber hinaus ein Werk mit tiefen Aussagen über das Leben, die weit über den Tag andauern. Das zwischen Dokumentarfilm und Spielfilm schwebende Wunderwerk entführt sein Publikum in eine andere Welt, wo es um nicht weniger als die grosse Aufgabe geht, zwischen Völkern, die sich bekriegen, dauerhaft Frieden zu stiften.
Am Schluss steigert sich der Film zu einem inhaltlichen und choreografischen Crescendo: einem grossartigen Gleichnis des Menschen, des Lebens, der Gesellschaft. Der Schamane des Dorfes singt vor den vereinten Stämmen ein Lied, das er von der Geistmutter erhalten habe: «Seit Anbeginn der Zeit haben die Ältesten Ehen arrangiert, gemäss den traditionellen Erblinien. Doch zwei Liebende beschlossen, einen anderen Weg einzuschlagen. Hört nun ihre Worte: Ihr saht, wie stark unsere Liebe ist. Wir zeigten euch, wie wir fühlen. Ihr habt uns ein gemeinsames Leben verwehrt. Uns blieb keine andere Wahl, als euch für immer Lebewohl zu sagen.» Darauf folgt ein langes Schweigen in der Runde, bis der Häuptling der Yakels mit folgenden Worten weiterfährt: «Mein Herz ist schwer. Unsere kostbaren Setzlinge sind niedergemäht worden. Wir haben immer dafür gekämpft, dass die Tradition ihre Kraft behält. Die Kolonialmächte: Wir hielten dagegen. Die Christen: Wir hielten dagegen. Geld: Wir hielten dagegen. Wir sind die letzten Hüter der Ur-Erblinie, und wir sind nicht mehr viele. Die jungen Leute hier sind die Zukunft. Wir müssen auf sie hören, wenn die Tradition stark bleiben soll. Wir müssen einen Weg finden, Liebesheiraten in unser Brauchtum aufzunehmen. Keine Toten mehr.» Ihm antwortet der Häuptling der Imedin: «Unsere Kultur brennt wie dieses Feuer. Mit jedem Tod wird das Feuer schwächer. Ich stimme Charlie wegen diesen Ehen zu. Wir müssen jede Idee ergreifen, die das Stammesfeuer am Brennen hält. Legen wir dieses Scheit ins Feuer, vereinigen wir uns im Frieden.» Und dann beginnen die versammelten Männer und Frauen, die alten und jungen, sich langsam und immer schneller im Kreis zu bewegen und zu tanzen, bis im Schlussbild die kleine Selin und andere Jugendliche uns anschauen.
Hintergrund zum Film «Tanna» / Aus einem Interview mit Bentley Dean und Martin Butler PDF