The Last Word
Anne Sherman, Harriet Lauler und das Girl aus dem Kinderheim
Auch ihren Nachruf will die kratzbürstige 81-jährige Geschäftsfrau Harriet Lauler nicht dem Zufall überlassen. Noch zu ihrer Lebzeit soll die junge Journalistin Anne Sherman ihr ein Denkmal setzen. Dabei gibt es allerdings ein Problem: Niemand, aber auch wirklich niemand hat ein gutes Wort für Harriet übrig. Mit ihrer Kontrollsucht hat sie so ziemlich jeden vergrätzt, mit dem sie es zu tun hatte. Wie soll da ein liebenswertes Porträt entstehen? Darum will Harriet, dass ihre Biografie umgeschrieben wird. Dazu muss sie aber auch ihr Leben von Grund auf ändern. Dafür unternehmen Harriet und Anne gemeinsam einen speziellen Trip.
Wenn ich im Recht bin, will ich auch stets das letzte Wort haben – so oder so ähnlich lautet wohl die Devise des penetranten Alphaweibchens, das seine Umwelt mit spitzen Bemerkungen, unverschämten Anweisungen und nervigen Tiraden auf Trab hält. Hollywood-Legende Shirley MacLaine spielt diese Frau mit der ihr eigenen Mischung aus gnädiger Herablassung und lakonischem Humor. Ihre alterslose Eleganz und ihr bewundernswerter schauspielerischer Mut machen die turbulente und emotionale Tragikomödie «The Last Word» zu einem Ereignis. Ihre jugendliche Partnerin Amanda Seyfried, die sie zum Schreiben ausgewählt hat, versteht es, der alten Dame einigermassen Paroli zu bieten.
Harriet Lauler, perfekt auch im neuen Beruf
Das Leben, vom Nachruf aus gedacht
Mark Pellington, der Regisseur und Produzent von «The Last Word», verdankt es seinem alten Freund Stuart Ross Fink, dass er sich filmisch endlich mit Themen beschäftigen konnte, die er schon lange anpacken wollte. «Stuart schlug mir eine Idee vor, die vier Themen ansprach, die mich zunehmend interessieren: Sterblichkeit, Familie, Vermächtnis, Identität. Sechs Monate später bekam ich die erste Fassung des Drehbuchs, das eine Mischung aus Drama und Komödie war. Er, die Produzentin und ich überarbeiteten alles zu dem, was jetzt auf der Leinwand zu sehen ist.»
Harriets Streben nach Perfektionismus endet in der Einsamkeit. «Von aussen betrachtet scheint ihr Leben tadellos zu sein. Doch beim genauen Hinsehen offenbart sich, wie leer es eigentlich ist. Sie muss sich darüber klar werden, was für sie bis jetzt von Bedeutung war, und wie sie diese Welt einmal verlassen möchte», fasst Pellington ihre Situation zusammen. Diese Frage ist zweifellos universeller Natur. «Eigentlich wird einem die Bedeutung eines Menschen erst so richtig bewusst, wenn er nicht mehr da ist. Und dann ist bei der Rückschau entscheidend, wie er die Menschen in seinem Umfeld beeinflusst und geprägt hat.» Immer das letzte Wort haben, ist in Harriets Fall tatsächlich wörtlich gemeint und kann nerven.
Harriet Lauler als DJ und Moderatorin
Zwischen Klamauk und Tiefsinn
Aus dieser Konstellation macht Mark Pellington ein vergnügliches, in einigen Szenen eindrückliches Porträt zweier Frauen, die sich, jede auf ihre Weise, selbst im Wege stehen, sich aber auch helfen, ihrem Leben eine neue Richtung zu geben. Dabei geht es um Fragen, die Jung und Alt gleichermassen betreffen: Wie viel Egoismus ist erlaubt oder notwendig, um die eigenen Träume durchzusetzen? Was ist wichtig im Umgang mit Freunden, Familie, Bekannten? Und welche Dinge machen ein Leben lebenswert, egal, ob man noch am Anfang steht oder vom Ende her zurückblickt?
Mit solchen Fragen garniert der Regisseur seine Geschichte, die viel von einem leichtfüssigen Entwicklungsroman hat, ohne sie zu überfrachten. Einen besonderen Reiz bezieht der Film aus den Konfrontationen, in die sich die unablässig auf Krawall gebürstete Harriet lustvoll stürzt. Die unnachahmliche Shirley MacLaine macht aus jeder ein mitreissendes Kabinettstück, und wenn sie sich dann in den Clinch mit ihrer widerwilligen Amanda Seyfried begibt, wird daraus bald eine faszinierende doppelte Charakterstudie. Diese bringt nach und nach neue Facetten der Persönlichkeiten ans Licht, hält viele Überraschungen bereit und fächert mit einem Augenzwinkern Probleme alter Menschen auf. Schön dabei, dass beide Frauen gleichermassen voneinander profitieren: die eine, weil sie sukzessive vom hohen Ross herunterkommt, die andere, weil sie sich allmählich aus der Deckung wagt. Und so spielt es am Ende gar keine Rolle mehr, wer das letzte Wort behält.
«The Last Word» ist ein Film, bei dem man sich gut unterhalten kann und zudem etwas auf den Heimweg mitbekommt, ein Feelgood-Movie mit besinnlichen und melancholischen Zwischentönen, ein modernes Märchen, das immer wieder mal die Grenzen des Kitsches schrammt.