The Wife
Joan und Jonathan Castleman
Joan (Glenn Close) und Joe (Jonathan Pryce) Castleman, beide im Film und im Leben siebzigjährig, sind seit fast vierzig Jahren verheiratet. Joe gefällt sich in der Rolle als einer der bedeutendsten amerikanischen Schriftsteller der Gegenwart. Er geniesst die Aufmerksamkeit, die ihm geschenkt wird, diverse Affären inklusive, in vollen Zügen. Seine Frau Joan ist mit Charme, Humor und Diplomatie die perfekte Unterstützerin im Hintergrund. Als Joe für sein literarisches Oeuvre mit dem Nobelpreis ausgezeichnet werden soll, reisen die beiden, zusammen mit ihrem Sohn David, nach Schweden.
Joan zwischen einem Journalisten und Joe
Mit der Concorde nach Stockholm
Den ersten Gratulationen im engsten Kreis folgen Erwähnungen in den lokalen Medien und Ehrbezeugungen der lokalen Obrigkeit. Wenige Tage später fliegen sie in einer Concorde von Connecticut nach Stockholm. David hat eigene literarische Ambitionen, die der Vater leider nicht ernst nimmt. Am Ziel gelandet, wird Joe von allen Seiten hofiert. Wichtige Leute reissen sich um ihn, er muss endlos Hände schütteln und bekommt, damit das Ereignis auch gebührend dokumentiert wird, eine junge Fotografin zur Seite gestellt. In der Öffentlichkeit ertragen die Castlemans all das gelassen. Im Fond der Limousine oder hinter geschlossenen Zimmertüren aber fallen die Masken, beginnt es im Gebälk ihrer Ehe zu knirschen. Nicht nur, weil Joe sich keine Zeit nimmt für Davids Short Storys, dieser sich deshalb diskreditiert fühlt, sondern auch, weil Joan das ganze Theater mit dem obligaten Damen-Programm satt hat. Auch trägt es nicht zur Lockerung der Atmosphäre bei, dass Joe mehr Zeit als nötig mit der Fotografin verbringt und ihr sogar eine Walnuss mit Widmung schenkt, wie einst vor dreissig Jahren, frisch verliebt, Joan.
Joan und Joe vor dreissig Jahren
Zurück in ihre Studentenzeit
In den 1960er Jahren hat Joan als blutjunge, literarisch begabte Studentin für ihren damaligen Dozenten Joe geschwärmt. Auch während der nächsten Jahre will sie ernsthaft Schriftstellerin werden und spricht mit Elaine Mozell, die schon publiziert hat, ihr jedoch die Illusionen brutal zerstört: Niemand nimmt eine schreibende Frau ernst, geschweige denn liest ihre Bücher. Bald erlebt Joan die Frauenfeindlichkeit und den Sexismus jener Jahre am eigenen Leib. Dann arbeitet sie in einem Verlag, in dem selbstgefällige Männer entscheiden, welcher Autor gedruckt wird und welcher nicht; für Autorinnen gibt es dort nur Häme.
Der Jubilar und die Fotografin
In Stockholm, bei der Feier und nebenan
Ein gewisser Nathaniel, Journalist von Beruf, geistert ebenfalls durch das Drama, das zunehmend Züge eines Krimis annimmt. Er ist brennend interessiert, Joes Biografie zu schreiben, selbst nachts lässt er die Castlemans nicht in Ruhe. In der Folge trifft er sowohl Joe als auch Joan in der Hotellobby, überzeugt mal ihn, mal sie für einen Drink an der Bar, bis allmählich mehr und mehr ein streng gehüteten Geheimnis an den Tag kommt. Dann erreicht sie ein Anruf von ihrer Tochter Susannah, die ein Baby bekommen hat. Joan und Joe fallen sich vor Glück über den Enkel in die Arme. Doch bald herrscht wieder die alte schlechte Stimmung. Joan wäre gern ein bisschen allein mit sich und der fremden Stadt, doch Joe möchte sie lieber bei sich haben.
Der Jubilar bei seiner Dankesrede
Eine Ehe: von aussen und von innen
Der Film «The Wife» von Björn Runge, nach dem gleichnamigen Roman von Meg Wolitzer und dem Drehbuch von Jane Anderson, entwickelt sich immer offensichtlicher zu einem bittersüssen Drama über die verschütteten Abgründe eines glücklichen Paares, bei dem nicht nur die gesellschaftlichen Bedingungen des zwanzigsten Jahrhunderts, sondern auch das Verschweigen in ihrer langjährigen Beziehung eine besondere Dynamik entstehen lassen. Der Regisseur erzählt packend und präzise, wobei sein Fokus auf den kleinen Gesten und winzigen Gesichtsregungen, weniger den offensichtlichen Ereignissen liegt.
Glenn Close bringt Joans Gemütszustand hervorragend zum Ausdruck und kann mit Jonathan Pryce auf einen grossartigen Spielpartner bauen. Gänzlich wettmachen können die beiden die konventionelle audiovisuelle Gestaltung des Films nicht. Sie sorgen jedoch dafür, dass der Film sehenswert ist, weil er sich einer wichtigen Thematik eindringlich und nachhaltig widmet. Seine Stärke liegt in den Dialogen und im Schauspiel. Auf diese Weise lässt er das Publikum Anteil nehmen am Entwicklungsprozess eines Mannes und vor allem seiner Frau. Indem wir in die beiden hineinsehen und hineinhorchen, können wir teilhaben an einem unterhaltsamen, bereichernden und weiterwirkenden Kammerspiel. Denn was zwischen den Alten abläuft, ist interessant, weil es nicht gradlinig und einfach, sondern verschlungen und doppelbödig ist. Insgesamt geht der Film von alltäglichen Verhaltensweisen aus und vertieft diese zu einer Parabel, die an den Spruch erinnert, der gelegentlich als scherzhafter Einwurf gebraucht wird, dass hinter jedem grossen Mann eine noch grössere Frau stehe.