Un monde plus grand

Aufbruch in eine andere Welt: Fabienne Berthaud entführt uns im Spielfilm «Un monde plus grand» in die Mongolei, in die Welt der Schamanen und zur Erfahrung, dass es noch eine andere, grössere Welt gibt als unsere: eindrücklich und zum Hinterfragen. – Ab 25. Juni im Kino
Un monde plus grand

Corinne auf dem Weg durch die Trauer um ihren toten Partner und zu sich

Eine grössere Welt – das ist es, was Corinne entdeckt, als sie in der Mongolei während eines schamanischen Rituals in Trance fällt. Dabei war die Französin nur in die abgelegene Steppenregion gekommen, um im Rahmen ihrer Arbeit Tonaufnahmen zu machen. Die Schamanin Oyun, die sie kennenlernt, offenbart ihr, dass sie eine seltene Gabe besitze, die ausgebildet werden müsse. Zurück in Frankreich lassen sie die Erlebnisse in der Mongolei nicht mehr los. Trotz des Widerstandes ihrer Schwester kehrt sie in die Steppe zurück und begibt sich auf eine spirituelle Reise auf alten und vergessenen Wegen: eine Reise, die ihr Leben und ihre westeuropäische Sichtweise veränderrn.

Fabienne Berthaud, Autorin, Schauspielerin und Regisseurin, realisierte mit «Un monde plus grand» – zusammen mit der grossartigen Cécile de France in der Hauptrolle, mit Nathalie Durand und ihrer exzellenten Kameraarbeit und einer stimmigen Musik von Valentin Hadjadj – den Film der wahren Geschichte von Corine Sombrun, die diese im Buch «Mein Leben mit den Schamanen» festgehalten hat.

Nach ihrer Ausbildung in der Mongolei arbeitet Sombrun heute mit Neurologen und Gehirnforschern zusammen, um die mentalen Mechanismen hinter den Trancezuständen zu verstehen und unter anderem für therapeutische Zwecke zu nutzen.

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Die Schamanin Oyun opfert den Göttern

«Es gibt mehr Dinge zwischen Himmel und Erde, als eure Schulweisheit sich träumen lässt.»

(Shakespeare, Horatio in «Hamlet», 1. Akt, 5. Szene)

Mit überbelichteten Bildern einer leidenschaftlichen Liebesszene, abgeschlossen mit einem harten Schnitt auf eine Frau, die allein im Bett liegt, und gefolgt von einer Fahrt durch ihre Wohnung mit herumstehenden Musikinstrumenten, führt uns die Regisseurin Fabienne Berthaud ins Leben von Corinne ein. – Der Film erzählt ihre langsame Bewegung heraus aus unserer Welt, hinein in eine fremde, weg vom Wissen, hinein ins Nicht-Wissen und schliesslich in eine andere, grössere Welt.

Corinne trauert um den Tod ihres Mannes Paul, eines Musikers, mit dem sie sehr eng zusammengelebt hatte. Um Abstand zu gewinnen, reist sie, berufsbedingt, in die Mongolei, um ethnologische Tonaufnahmen zu machen, und wird Schritt für Schritt mit der Welt der Schamanen konfrontiert. Anfänglich neugierig, schliesslich angezogen, lässt sie sich hineinfallen und verliert den sicheren Boden unter den Füssen. Während eine Frau, die kein Kind bekommen kann, von der Schamanin Oyun mit Ritualen behandelt wird, wirken diese auch bei Corinne: Ihre Hände beginnen zu zittern, sie fällt in Ekstase, in der sie ihrem verstorbenen Mann begegnet. Sie sei eine Schamanin und wäre fast gestorben, meint die alte Schamanin und rät ihr, die Lehre, die sie begonnen hat, fortzusetzen. Doch Corinne hat Angst, reist ab.

Wieder in Frankreich, rät ihre Schwester, sich medizinisch untersuchen zu lassen. Dabei bekommt sie Medikamente, die sie wegwirft. Sie reist nochmals in die Mongolei, zu den gleichen Menschen, bringt ihnen Geschenke und erhält von ihnen ein Kleid. Beim neuen Ritual mit der Schamanin taucht sie noch tiefer ein in die fremde Welt. Als Schamanin erhält Corinne Zugang in jene andere Welt, erfährt Erläuterung und erlebt Glück. Sie akzeptiert, was Oyun sagt: Ein Teil ihrer Seele sei mit Paul gegangen, und jede Trauer habe ein Ende. Verändert und bereichert reist sie ab, nach Hause. – Am Schluss kippt der Spielfilm kurz ins Dokumentarische: Corinne, im realen Leben Corine Sombrun, publizierte die im Film erzählten Trans-Erfahrungen und stellt sie der noch jungen Kognitions- und Neurowissenschaft zur Verfügung.

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Die Regisseurin Fabienne Berthaud

Aus einem Interview mit der Regisseurin Fabienne Berthaud

(Das integrale Interview findet sich im Anhang als PDF)

Wie sind Sie auf das Thema zum Film gestossen? Durch das Buch «Mein Leben mit den Schamanen» von Corine Sombrun, das mir mein Produzent gab. Zum ersten Mal war nicht ich es, die das Thema wählte, sondern das Thema mich.

Das ist das erste Mal, dass Sie ein Buch verfilmt haben. Hat das Ihre Arbeitsweise beeinflusst? Es war ein Balanceakt zwischen einer gewissen Interpretationsfreiheit, die es mir erlaubte, einen fiktionalen Film zu drehen und meinem Respekt vor Corine Sombruns Leben. Ich wollte Corine nicht übergehen, sie war stark in die Dreharbeiten involviert. Ich sprach mich oft mit ihr ab, um sicherzustellen, dass ich die richtige Herangehensweise verfolge. Ich wollte, dass sie mit der Art, wie ich ihre Geschichte erzähle, einverstanden ist. Es war ein durchaus persönlicher Prozess. Aber trotz der wahren Begebenheiten, auf denen der Film beruht, konnte ich meiner Arbeitsweise treu bleiben und fiktive Elemente mit dokumentarischem Realismus mischen.

Wer sind die Tsaatan? Wie haben Sie sie getroffen? Auf den Spuren von Corine Sombrun wollte ich in Richtung Norden bis zur sibirischen Grenze vorstossen, um ein Volk zu treffen, das in einer der abgeschiedensten Regionen der Mongolei lebt. Die Tsaatan, ein Volk aus Rentierhirten, hatten Corine in den Schamanismus eingeweiht. Sie leben als Nomaden in Jurten. Im Jahr vor dem Dreh ging ich mit Corine, und Naraa, die die Übersetzerin spielt, auf Erkundungstour. Zu dieser Jahreszeit hielten sich die Tsaatan in den Bergen auf, zwei Tage zu Pferd vom letzten mit dem Auto erreichbaren Dorf entfernt. Ähnlich einer Ethnologin teilte ich ihren Alltag, ihre Sitten und Bräuche und machte viele Fotos. Bei jedem meiner Filme ist die Fotografie untrennbar mit meinem kreativen Findungsprozess verbunden. Meine Herangehensweise fusst auf diesem dokumentarischen Material. Es hilft mir, die Charaktere und Drehorte auszuwählen, die Farben aufeinander abzustimmen usw.

Glauben Sie an Geister? An die dunkle Welt? Ich weiss noch immer so gut wie nichts darüber, habe mich aber dazu entschieden, daran zu glauben. In der Mongolei ist es schwierig, nicht daran zu glauben. Jeder glaubt an Geister; die Mongolen sind sehr erdverbundene, spirituelle Menschen und holen sich für jede wichtige Entscheidung zunächst die Zustimmung der Geister und der Natur. In der Mongolei konsultiert man einen Schamanen wie bei uns einen Arzt. Während meines ersten Erkundungstrips schlug jemand vor, an einer Zeremonie teilzunehmen, um herauszufinden, ob die Geister mit dem Filmprojekt einverstanden sind. Ein alter Schamane brachte uns in den Wald, und die Antwort der Geister war zum Glück positiv!

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In der Weite und Einsamkeit werden neuen Erfahrungen erst möglich

Interview mit der Regisseurin Fabienne Berthaud PDF
Zum wissenschaftlichen Hintergrund von Trance-Erfahrungen PDF

Regie: Fabienne Berthaud, Produktion: 2019, Länge: 100 min, Verleih: JMH