Una noche sin luna
César und Lucia auf dem Weg zum Karussell
Silvester in Uruguay. Drei Männer sind auf dem Weg in eine Kleinstadt: Der Folkloresänger Miguel bekommt im Gefängnis zum Jahreswechsel einen Freigang, um wieder einmal vor Publikum auftreten zu können. Der geschiedene Taxifahrer César besucht die neue Familie seiner Ex-Frau und versucht die Liebe seiner 5-jährigen Tochter Lucia zurückzugewinnen. Der Zauberkünstler Antonio bleibt auf dem Weg zu einem Silvester-Auftritt wegen einer Panne stecken und verbringt die Nacht mit der Mautkontrolleurin Laura und seinem weissen Hasen im Nirgendwo.
Über die drei lose verbundenen, glaubwürdigen und berührenden «historias minimas», eine literarische und filmische Kurzform, die in Südamerika vorbildlich verwendet wird, schrieb ein Kritiker: «Die Chemie stimmt, aber die Geschichte hinkt hinterher.» Gerne nehme ich dieses Urteil auf und schaue mal auf die «Chemie», also die Stimmung, und nicht die «Geschichte» dieser Antihelden, die keine Geschichte mehr machen, weil das Leben sie gezeichnet hat. Der Film erhält damit eine eigene Schönheit, die am schönsten aufscheint, wenn man sich die Zeit nimmt, um zu verweilen.
Antonio wartet eine Nacht lang auf die Pannenhilfe.
Eine stimmige Stimmung
Der Regieerstling des 32-jährigen Germàn Tejeira «Una noche sin luna» ist eine charmante Reflexion über die Einsamkeit und über die Liebe, die erhofft wird oder überrascht, die im Hintergrund schwelt oder einschläft, und über verpasste Gelegenheiten und das leise Vergehen der Zeit, melancholisch und mit einem Schuss herrlich absurden Humors. Der Film spielt in einer eher armen Gegend, und auch die Menschen sind ärmlich, doch gelingt es ihnen stets, sich durchs Leben zu schlagen. Sie jammern nicht, sind mehr oder weniger zufrieden mit dem, was sie haben und was sie sind. Sie sind stets auf dem Weg zu jemandem oder von jemandem. Und sie erleben Momente der Nähe und Zärtlichkeit, der Anerkennung und Vertrautheit, aber auch des Gefühls, verlassen und einsam zu sein.
Ruhig und beruhigend fliesst der Film dahin. Nichts Besonderes, Spektakuläres passiert. Nur der Alltag von fünf Menschen. Während der Handlungen auf der Leinwand spürt man, was bei den Menschen und zwischen den Menschen abläuft. Wahrnehmbar in leisen Andeutungen, einem Blick, einer Geste, einem Warten oder Weggehen, einer Anspielung oder einem Verweis auf eine andere Szene. Der Film ist sinnvoll montiert und nur mit wenigen Dialogen versehen. Unterlegt wurde ihm der Song «Lullaby» von Tom Waits, der bestens zur Stimmung passt.
Laura, allein oder zu zweit auf der Mautstation
Mit kleinen Anspielungen
In diesen Film-Novellen gibt es Momente, die berühren, ein Lächeln entlocken oder zum Sinnieren einladen. Dann nämlich, wenn sich zwei Menschen zufällig aus zwei Einsamkeiten in einer Einsamkeit zu zweit treffen, sich berühren und es zur flüchtigen, zufälligen, zukunftslosen Begegnung kommt. Es sind Momente, in denen wir so etwas wie den Puls des Lebens spüren. Da lohnt es sich, hinzuschauen und hinzuhören, mit offenen Sinnen die Personen und die Landschaften zu beobachten. Das ist Leben! Kein künstliches, aufgemotztes, stilisiertes oder konfektioniertes. Alles vor einem Hintergrund, den oft eine Wolke von Aberglauben und Bigotterie umhüllt, denen die Menschen hier frönen.
Auffällig und vielleicht bedeutungsvoll scheint mir auch, dass viele Abgänge von Figuren und Schlüsse von Sequenzen in der Bildmitte beginnen und nach hinten, in den Horizont hinein und darüber hinaus führen. Sie erinnern an das wunderbare Ende von «Modern Times», in welchem Paulette Goddard mit Charles Chaplin auf dem Mittelstreifen der Strasse nach hinten, in ein offenes Happy End, sozusagen in die Ewigkeit, wandert.
Miguel, der ungehörte, vom Geplauder übertönte Sänger
Ein banales, persönliches Lied
Typisch für diesen Film scheint mir das Lied, das ihm den Titel leiht, welches Miguel, auch wenn ihm bis auf den Schluss nur wenige zuhören, singt: «Eine mondlose Nacht. In deinen Armen fühl ich den Trost. Der Moment war ewig. Eine mondlose Nacht. Eine Brise öffnet dein Fenster. Wie ein Kind gebe ich dir meine Liebe. Die aufrichtige Liebe, die du mir gabst. Wie ein klarer Atemzug lebte ich wieder. Ich lebte wieder. Eine mondlose Nacht.» Das ist kein Jacques Brel und kein Charles Aznavour, keine französische Hochkultur, sondern südamerikanische Volkskultur. Der Sänger, dargestellt vom argentinischen Tangomusiker Daniel Melingo, hatte in seiner Karriere wohl nie grosse Erfolge gefeiert, umso mehr kündigt ihn der Direktor des Klubs mit warmen Worten als gross und berühmt an, obwohl dieser nach dem Konzert gleich wieder zurück muss, um nochmals vierzehn Monate im Gefängnis abzusitzen.
«Una noche sin luna» war der Hauptgewinner des Zürich Film Festival 2015: eine berührende, beglückende Geschichte aus einer nur scheinbar dunklen, doch immer wieder sich erhellenden Silvesternacht. Wie im Film nicht alles schön ausgeleuchtet ist und es immer wieder mal einen Stromausfall gibt, so ist auch diese Nacht ohne Mond – und so ist es doch auch manchmal bei uns.