We feed the world

Essen und Trinken – auch eine Frage der Moral

Die Weltwirtschaft wäre heute in der Lage, zwölf Milliarden Menschen zu ernähren. Dass trotzdem täglich 100 000 am Hunger sterben, ist keine Frage der Ressourcen, sondern eine Folge der kapitalistischen Weltordnung, die sich in erster Linie an der Profitmaximierung orientiert. Das wissen wir (unter anderem) aus dem Film «We feed the world» des Österreichers Erwin Wagenhofer.

Der Filmemacher geht darin der simplen, doch wesentlichen Frage nach, woher wir eigentlich unsere Nahrung haben, und beschreibt die Mechanismen des internationalen Agro- und Tierbusiness. Er versteht es, komplexe Zusammenhänge und mörderische Fehlentwicklungen kenntnisreich und anschaulich darzustellen, selbst wenn er dabei auch mal etwas vereinfacht. Die Folgen dieser «Ordnung» sind denn Hunger, Durst, Krankheit, Armut und Elend, wie es uns die Medien täglich vor Augen führen.

Szenen, die Betroffenheit auslösen und zum Nachdenken anregen.

Ein österreichischer Landwirt erzählt, wie der Bauernhof seines Vaters die ganze Familie einst problemlos ernähren konnte. Er selbst musste den Betrieb um das Sechsfache vergrössern. Doch sein Weizen endet dennoch auf einem Abfallberg von Brot, so gross, dass er ganz Graz ernähren könnte, durchaus noch geniessbar, doch da es bereits zwei Tage alt ist, wird das Brot von der Stadt Wien entsorgt.

In Südspanien liegt die grösste Gewächshausanlage der Welt, die Europa mit Tomaten versorgt. Die Transportkosten mit Lastwagen machen nicht mehr als ein Prozent des Ladenpreises aus. Die Tomaten wachsen auf Steinwolle und unter einer Plastikhülle. Die Arbeiter kommen aus Afrika, ebenso entwurzelt in Beton- und Plastikunterschlüpfen, ihr klägliches Dasein fristend.

In Brasilien wird der Urwald grossflächig gerodet, um Soja anzupflangen. Dabei eignet sich der Boden dafür gar nicht. Nährstoffe und Pestizide sind für den Unterhalt dieser Plantagen notwendig. Brasilien ist der grösste Sojaproduzent der Welt und verkauft Soja als Masttierfutter nach Europa, während im Nordosten des Landes die Menschen keine Arbeit, kein Einkommen und kein sauberes Trinkwasser haben.

In einer mittelgrossen österreichischen Stallung leben 35 000 Hühner auf engstem Raum. Vom Brüten bis zum Schlachten werden sie nicht wie Tiere, sondern wie Waren behandelt. Der Geflügelzüchter: «Der Einkäufer und der Konsument hat keine Ahnung, wie was funktioniert und wie was gemacht wird. Weltfremder werden die Leute, brutaler und härter. Den Handel interessiert nur der Preis, der Geschmack ist kein Kriterium.»

Peter Brabeck, der Konzernchef von Nestlé, meint, dass wir noch nie so gut gelebt haben wie heute, er verstehe nicht, warum Trinkwasser nicht auch seinen Preis haben soll wie all die anderen Produktionen, die der weltgrösste Nahrungsmittelkonzern vertreibe. Zu einem japanischen Betrieb: «Toll, wie die das hingekriegt haben, dieser perfekte Produktionsablauf und diese Maschinen. Die brauchen fast keine Menschen mehr!»

Wissen verlangt Gewissen und dieses Handeln.

Wie einen roten Faden führen uns durch den Film die Statements von Jean Ziegler, dem UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung. Er bringt die Bilder in ihren Zusammenhang, sucht Ursachen und versucht Erklärungen. Diese helfen uns, von den Vorurteilen zu Urteilen zu kommen, noch häufiger Sachverhalte überhaupt erstmals zu sehen, die wir bisher noch nie wahrgenommen haben.

Ähnliche Aussagen wie dieser Dokumentarfilm – provokativer der erste, unterkühlter der zweite – behandeln zwei andere: «Darwin»s Nightmare» des Österreichers Hubert Sauper, der vor Kurzem in den Kinos lief, und «Unser täglich Brot» des Schweizers Nikolaus Geyrhalte, der soeben am Filmfestival in Nyon den Preis der Ökumenischen Jury erhalten hat.

Was nur wenige Dokumentarfilmern gelingt, leistet Wagenhofer mit «We feed the world». Er macht erlebbar, dass Wissen immer etwas mit Gewissen zu tun hat und Gewissen sich nicht mit leerem Wissen begnügt, sondern immer ein Handeln verlangt.