Wir waren Kumpel

Bergarbeiterschicksale: Ende 2018 endete die flächendeckende Steinkohleförderung in Deutschland, und im selben Jahr wurden die Stimmen der aufstrebenden Klimaprotestbewegung «Fridays for Future» lauter. Vor diesem Hintergrund begleiten Christian Johannes Koch und Jans Matauschek mit ihrem Dokumentarfilm «Wir waren Kumpel» fünf Bergleute auf ihrer tragisch-humorvollen und herzerwärmenden Suche nach neuen Rollen für ihr Leben. Ab 11. April im Kino
Wir waren Kumpel

Locke und Langer auf der Steinkohlehalde

Hinunter in den Schacht

Noch eine letzte Seilfahrt, ein letztes Mal setzen sich Locke und Langer die Grubenhelme auf. Einmal noch geht es im Förderkorb in die Tiefe. Und ein paar Stunden später reiben sie sich unter der Dusche gegenseitig den schwarzen Kohlenstaub von der Haut. Fast beiläufig rät einer seinem Freund beim Verlassen seiner Station: «Nicht umdrehen!» Und für den Junggesellen Thomas, der bei seiner Mutter lebt, war das Bergwerk das Zentrum seines sozialen Lebens. Mit «Du schaffst es auch ohne Zeche, Glück auf», machen die Kollegen ihm Mut.  

«Wir waren Kumpel» begleitet fünf Betroffene und zeigt, wie sie arbeiten und leben. Der Schweizer Christian Johannes Koch und der Deutsche Jonas Matauschek vermitteln uns in ihrem Erstling Einblicke in das Leben von Bergbauleuten. Entstanden ist ein authentisches Dokument über vier Männer und eine Frau - und der Film mit seinen bodenständigen Charakteren gefällt.

Wir waren Kumpel.11.jpg
Langer und Locke

Das Dunkel ausleuchten

Der erste Teil steht im Zeichen der langjährigen Arbeit in den Minenschächten, dunkeln, staubigen, engen Orten. Es ruckelt und die Lampen flackern, wenn sie mit dem Lift in die Schächte hinunterfahren. Die Kamera läuft, auch wenn es dunkel wird und man kaum was sieht. Im zweiten Teil, nach der Schliessung der Zeche, stellen sich allen Fragen, wie es weitergehen soll. Ohne voreingenommene Wertung zeigt der Film die Fünf jetzt in ihrem privaten Umfeld. Gelegentlich wechselt der Film vom Vorher zum Nachher, verlässt er eine Spur und findet eine andere.

Trotz der Schwere der Themen kommt der Film leicht daher und unterhält dank der Offenheit der Porträtierten, die beobachtet, aber nie blossgestellt werden. «Wir waren Kumpel» ist mal traurig, mal hoffnungsvoll, doch immer ganz nahe bei den Menschen, die unter und über der Erde und in ihren Häusern oder Wohnungen, dort auch mal mit ihren Angehörigen gezeigt werden.

«Wir waren Kumpel»

Im dritten Teil kommt der Film nach etwa Dreiviertelstunden, durch Schwarzbild und dem eingeblendeten Filmtitel abgetrennt, in die Zeit danach. Er protokolliert den Abschied von den Kollegen, die während den Jahren zum Teil Freunde geworden sind. So sehen sich Locke und Langer in den 12-Stunden-Schichten auf der Zeche länger als mit ihren Frauen und Kinder. Ab jetzt wird der neue Alltag der beiden Kumpel und ihrer Kollegen beschrieben.

Martina etwa fuhr einst als Bergmann unter Tage, ehe sie sich entschloss, so nicht weiterleben zu wollen.  Keine Ahnung, sagt sie, wie ihr Leben verlaufen wäre, wenn sie den Schritt, als Frau zu leben, schon früher gewagt hätte. Vielleicht besser, freier, bestimmt aber in einem anderen Beruf. Mittlerweile ist der Bergbau ein Teil von ihr geworden.

Wir waren Kumpel.1jpg
Martina vor neuen Fragen

Der Tamile Kiri floh als Jugendlicher wegen des Bürgerkriegs aus Sri Lanka und fand in Deutschland im Bergbau eine neue Heimat. In zwanzig Jahren habe er nur drei Mal nach Sri Lanka telefoniert, was wohl alles sagt. Mit der Schliessung der Zeche aber bricht das soziale Netzwerk des zweifachen Vaters zusammen. Als bei ihm zusätzlich ein früherer unbemerkter Herzinfarkt diagnostiziert wird, steht er erneut vor einem Scherbenhaufen.

Wir waren Kumpel.13.jpg
Kiri, der Tamile

Thomas scheint nach dem Ende des Bergbaus kaum noch aus der Wohnung zu kommen. Unter den liebevoll prüfenden Blicken seiner Mutter putzt er die Wohnung und bereitet das Essen zu, das sie nebeneinander in ihren Sesseln genüsslich verzehren. Wenn es ihm zu eng wird, ruft er einen Kumpel an, doch meist vergeblich.

Wir waren Kumpel.10.jpg
Thomas mit seiner Mutter

An den Atlantik

Langer scheint der Übergang leichter zu fallen; im Gegensatz zu Locke, der sich zum Leidwesen seiner pubertierenden Tochter keine Arbeit sucht, hat er als Schulbusfahrer eine neue, erfüllende Tätigkeit gefunden. Die Vorstellung, dass Kinder ihn brauchen, gibt ihm Halt. Eher widerwillig lässt er sich von Locke zu einem Ferientrip mit dem Wohnmobil an die französische Atlantikküste überreden. Als die Strasse zwischen einem Kohlenmeiler und Windrädern hindurchführt, scherzt er über den symbolischen Anblick: rechts die Vergangenheit, links die Zukunft!

Die Filmemacher scheinen hinter der Kamera zu verschwinden. Kommentarlos lassen sie ihre Figuren für sich sprechen, begleiten und beobachten sie bloss. Ihre Auswahl gibt nicht vor, repräsentativ für Steinkohlebergleute zu sein. Die Lebensgeschichten der Fünf macht den Reiz des Filmes aus. Dabei entstehen Nähe und eine Intimität, die in einzelnen Momenten den Rahmen des Films sprengt. Wie die Crew das Verhalten der Mitwirkenden vor der Kamera beeinflusst, wird nicht thematisiert. Doch «durch den fortlaufenden Austausch über den unscharfen Begriff des ‚Dokumentarischen‘ mussten wir unsere Arbeitsweise und Haltung gegenüber Termini wie ‚Wahrheit‘ und ‚Wirklichkeit‘ immer wieder abgleichen», erklären sie ihre Arbeit.

Wir waren Kumpel.12.jpg
Den schwarzen Kohlenstaub von der Haut gerieben

«Die Zeiten ändern sich – und wir mit ihnen.»

Die tiefgreifende Umstellung in den Lebensentwürfen der vorgestellten Menschen beschreiben zwei Drittel des Films. Wie manche von ihnen mit der neuen Situation gut zurechtkommen, andere weniger, ist in ausführlichen Szenen und zufälligen Seitenblicken zu erfahren. Der Schlussteil verweist mich auf ein bekanntes Zitat, das auf Ovid zurückgehen soll: «Tempora mutantur, nos et mutamur in illis.»

Martina kann als einzige des Quintetts im Metier bleiben: Sie wechselt zur Leitstelle in einem Salzbergwerk. Doch aktuell beschäftigen sie andere Fragen: Wie finde ich eine passende Lebensgefährtin? Wie kann ich meine Stimme ändern, dass ich mich damit wohl fühle? Mit ihrem Porträt problematisiert der Film überkommenes männliches Selbstverständnis in der Arbeitswelt und wirft Fragen nach der Geschlechtsidentität auf.

Bei ihr, wie auch bei den andern, drängen sich beim Suchen einer neuen Arbeit neue und unerwartete Fragen auf. In solchen Momenten zeigt es sich, dass «Wir waren Kumpel» mehr ist als eine Reportage über ein gesellschaftliches Ereignis. Bei den Fragen nach einer neuen Identität wird der Film allgemeinmenschlich, allgemeingültig – und unser Einstieg in den Bergbauuntergrund hat sich gelohnt.

Regie Statement von Christian Johannes Koch und Jonas Matauschek zum Film «Wir waren Kumpel»


Regie: Christian Johannes Koch, Jonas Matauschek, Produktion: 2024, Länge: 103 min, Verleih: Sister