Zwischen Himmel und Erde – Anthroposophie heute

Ist Anthroposophie eine andere Pädagogik, Medizin, Landwirtschaft oder Kunst? Ein esoterischer Schulungsweg, eine fundamentalistische Weltanschauung? Auf solche und ähnliche Fragen gibt der Film von Christian Labhart Antworten.

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Die Ambivalenz zwischen Bewunderung und Ablehnung des Universums der Anthroposophie war für den Schweizer Filmemacher Christian Labhart («Zum Abschied Mozart», «Dimitri Clown») die Triebkraft, den Dokumentarfilm «Zwischen Himmel und Erde – Anthroposophie heute» zu drehen. Er soll kritisch, aber fair mit einer Bewegung umgehen, die immer wieder Anlass zu heftigen Kontroversen gibt. Er kann und will keine definitive Antwort geben, sondern soll eine Annäherung an das Thema ermöglichen. Dafür nehmen sieben Persönlichkeiten Stellung. Die Antworten ergänzen, präzisieren oder widersprechen sich, was dem Publikum Freiheit gibt, sich dafür oder dagegen zu entscheiden.

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Sieben Antworten

Christoph Graf, Eurythmist in Ägypten: Ich sehe in der Welt eine bestimmte Form, und schaue, was als innerer Bewegungsimpuls da ist. Wenn ich das mit einem Musikstück mache, dann muss ich mich mit der inneren Beweglichkeit dieser Komposition beschäftigen, ich nehme eigentlich das wahr, was den Komponisten veranlasst hat, überhaupt dieses Stück zu schreiben. Er hat ja eine innere Bewegung erlebt und ich muss in die inneren Gefühlswelt des Komponisten eintauchen können, dann wird es eine eurythmische Schöpfung.

Claudine Nierth, Politaktivistin in Sylt: Ich habe das Glück, auf die Speckseite dieser Erde geboren zu sein. Ich lebe wie die Made im Speck. Und zu erleben, dass andere Kulturen, andere Völker auf Grund meines Lebens hier darben, leiden, sterben müssen, ist verdammt schwer auszuhalten. Das führt mich nicht in die Resignation, sondern genau in die umgekehrte Richtung. Es hat ja einen Sinn, warum ich hier rein geboren bin. Gibt es etwas, was ich nur von dieser Speckseite der Erde aus tun kann?

Bodo von Plato, Vorstand am Goetheanum: Ich glaube, dieses Sektengefühl hängt mit einer Art Hautbildung zusammen. Man liefert sich nicht mehr der Welt ganz aus, sondern bildet seine eigene Welt. Und die Gefahr des Sektiererischen haftet dem Anthroposophischen genau so an wie die Gefahr des Dogmatischen. Dass man bestimmte Auffassungen als die Wahrheit erklärt und diese dem Diskurs nicht mehr zur Verfügung stehen.

Sebastian Gronbach, Journalist in Köln: Wenn mich jemand fragen würde, ob ich ein Missionar bin, dann würde ich sagen: Ja. Ich denke nicht nur, jeder Mensch hat eine Mission, ich denke, im tiefsten Sinne ist jeder Mensche eine Mission. Man kommt auf die Erde als eine Mission. Und wenn man das denken und fühlen kann, das ist einem jederzeit völlig klar, dass nichts, was man tut, albern ist. Wenn ich so durch die Welt gehe, dann gehe ich plötzlich völlig anders, weil ich eine Mission bin. Es kann eigentlich nichts mehr schief gehen.

Susanne Wende, Lehrerin in Kreuzlingen: Das ist etwas Besonderes an der Waldorfschule, finde ich, zu schauen, dass man die Kinder nicht überhäuft mit Faktenwissen, sondern schaut, was in das jeweilige Alter passt. Und da gibt Steiner gute Anregungen. Danach ist der Lehrplan auch aufgestellt. Ich glaube, dieses immer alles heil und schön darstellen zu wollen, ist eine Gefahr der Waldorfszene.

Martin Ott, biodynamischer Bauer in Rheinau: Es war auf einer Wanderung mit meinem Esel, meinem Hund und meiner Gitarre, als ich unterwegs war und im Wald geschlafen habe und nicht mehr gewusst habe, wohin ich gehen soll. Meinen alten Beruf hatte ich aufgegeben, meine Frau ist mir mit den Kindern weggelaufen, was mich sehr gequält und emotional unheimlich aufgewühlt hat. Ich war im Tessin an einem Ort, von dem ich gelesen habe, es sei ein heiliger Ort. Dort hatte ich die Vision, was ich machen muss: Landwirtschaft mit Pädagogik verbinden.

Christoph Homberger, Sänger in Sils Maria: Ich habe nichts gegen Anthroposophen, ich habe viel Positives mitgenommen. Aber ich kriege nicht die Antworten, die ich einfordere. Ich kriege entweder zu hören: Du bist noch nicht so weit, du kannst dies nicht verstehen. Oder sie ignorieren es und schneiden ein anderes Thema an. Zwölf Jahre Steinerschule und zwanzig Jahre ein anthroposophisches Zuhause, das prägt enorm. Und als ich begonnen habe, selber künstlerisch tätig zu sein, musste ich mich unglaublich wegbrechen.

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Der Wahrheit über die Anthroposophie auf der Spur

Obwohl vieles, was hier gesagt wird, bekannt oder sogar selbstverständlich ist, gefällt mir der Film aus zwei Gründen dennoch. Erstens weil er Meinungen, Gegenmeinungen und Drittmeinungen neben einander stehen lässt, ohne sie zu werten. So wird es mir möglich, eine eigene Meinung zu bilden. Er lässt uns unsere Freiheit. Weiter gefällt mir, dass der Geist, der hinter den verschiedenen Aktivitäten und Praktiken der Anthroposophen steht, sichtbar gemacht wird in der Schönheit, der Transparenz und Durchsichtigkeit der Bilder (Kamera Otmar Schmid). Auch sie lassen offen, schliessen nichts ab. Damit kommt der Film der Wahrheit ein klein wenig näher, ganz im Sinne von Dschaelal ed-din Rumi, einem Sufimeister aus dem 13. Jahrhunderts: «Die Wahrheit ist ein Spiegel, der vom Himmel gefallen ist, er ist in tausend Stücke zersplittert, jeder besitzt einen kleinen Splitter und glaubt, die ganze Wahrheit zu besitzen.»