3 Tage in Quiberon

Romy Schneider, ungeschminkt: Mit «3 Tage in Quiberon« schuf Emily Atef einen einfühlsamen, schonungslosen Spielfilm über Romy Schneider und macht allgemeingültige Aussagen über die Beziehung zwischen Öffentlichkeit und Privatheit. - Der Film wurde mit 7 Lolas, den deutschen Filmpreisen, ausgezeichnet.
3 Tage in Quiberon

 

Romy Schneider, der Kamera gegenüber

1981 verbringt der Weltstar Romy Schneider (im Film Marie Bäumer) drei Tage mit ihrer besten Freundin Hilde Fritsch im kleinen bretonischen Kurort Quiberon, um sich vor ihrem nächsten Filmprojekt körperlich zu erholen und innere Ruhe zu finden. Trotz ihrer negativen Erfahrungen mit der deutschen Presse willigt sie für ein Interview mit dem «Stern»-Unterhaltungsressortleiter Michael Jürgs ein, zu dem der von ihr geschätzte Fotograf Robert Lebeck die Fotos liefern soll. Aus dem Treffen entwickelt sich ein drei Tage andauerndes Katz- und Mausspiel zwischen den Journalisten und der Schauspielerin, das alle an ihre Grenzen bringt.

Inspiriert von den beeindruckenden, persönlichen Schwarz-Weiss-Aufnahmen, die Robert Lebeck 1981 von Romy Schneider in Quiberon gelungen sind, erzählt die Regisseurin Emily Atef in «3 Tage in Quiberon» von einem entscheidenden Ereignis in der letzten Lebensphase einer der berühmtesten deutschen und europäischen Schauspielerinnen (1938 bis 1982). Das von Atef in Schwarz-Weiss gedrehte Leinwandepos ist nicht nur das Porträt einer hochbegabten, sensiblen Frau in all ihrer Widersprüchlichkeit, sondern stellt ganz allgemein die Frage nach dem Spannungsverhältnis zwischen dem Öffentlichen und Privaten einer Person im Rampenlicht. Mit einer herausragenden Marie Bäumer in der Hauptrolle gelingt es Atef, weniger den Star als vielmehr den Menschen Romy Schneider in den Vordergrund zu rücken. In den Nebenrollen Birgit Minichmayr als Romys Freundin Hilde Fritsch, Robert Gwisdek als Michael Jürgs und Charly Hübner als Robert Lebeck.

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Romy Schneider mit ihrer Freundin Hilde

Aus einem Interview mit Emily Atef

 

Wie haben Sie sich dem Thema und der Person Romy Schneider angenähert?

Meine Mutter ist Französin, und den Grossteil meiner Kindheit und Jugend habe ich in Frankreich verbracht. Dadurch bin ich nicht durch Romys frühe Filme geprägt, die habe ich erst vor einigen Jahren zum ersten Mal gesehen. Mitte der 1980er-Jahre war ich in Frankreich im Internat, und meine Mitbewohnerin war glühender Romy-Fan. Sie wünschte sich Romy regelrecht als eigene Mutter und hatte ihr Zimmer mit Postern und Artikeln über sie dekoriert. Im Film habe ich diese Erfahrung in Form der Teenager eingebaut, die Romy in der Dorfkneipe ansprechen. Aber natürlich waren auch ihre privaten Dramen in Frankreich immer sehr präsent in den Medien. Ich erinnere mich, als ihr Sohn starb. Für mich ist Romy also eher eine «französische» Romy, ich liebe das, was sie in dieser Zeit gedreht hat. Ich bin mit den Filmen von Claude Sautet gross geworden.

Haben Sie das Projekt mitinitiiert?

Nein, es kam über den französischen Produzenten Denis Poncet und Marie Bäumer, die miteinander befreundet waren, zu mir. Als man mir das Projekt anbot, hatte ich also schon eine emotionale Bindung zu Romy Schneider und habe dann erst einmal über sie recherchiert. Robert Lebecks Fotos von Quiberon haben mich sofort angesprochen. Diese intimen, uneitlen, wahrhaftigen Bilder berührten mich. Auf vielen Fotos ist Romy nicht einmal geschminkt. Lebeck ist es 1981 gelungen, den Menschen Romy, nicht den Weltstar und den Mythos, zu fotografieren. Anschliessend habe ich das Interview von Jürgs im «Stern» gelesen, und auch da ging es stark um die Persönlichkeit Romy Schneiders.

Warum bilden genau die «3 Tage in Quiberon« den zeitlichen Rahmen für Ihren Film?

Der französische Produzent und seine Frau haben sich intensiv mit Robert Lebecks Fotografien beschäftigt, dazu hat sie, wie später auch mich, Michael Jürgs' «Stern»-Interview von 1981 beeindruckt. Lebecks Schwarz-Weiss-Bilder bei den Felsen, in der Bar und während des Interviews haben mich in ihren Bann gezogen. Romy wirkt auf ihnen so offen und verletzlich und die ganze, heute undenkbare Situation zwischen ihr, ihrer Freundin und den Journalisten glich fast einer intimen Gesprächssituation unter Freunden. Ich konnte auch Michael Jürgs, der das Interview führte, ausführlich zu seinen Erfahrungen befragen. Auch den über 80-jährigen Robert Lebeck konnte ich kurz vor seinem Tod ein paar Mal besuchen. Er war zu dieser Zeit schon sehr krank, aber seine Erinnerung an die Zeit war sehr klar. Übrigens, der Filmtitel stammt von ihm.

Wie sehen Sie insgesamt das Verhältnis von Wahrhaftigkeit und Fiktion in Ihrem Film?

Die Fotos von Lebeck und das Interview von Jürgs sowie die Gespräche mit beiden waren meine Inspiration. Darüber hinaus habe ich recherchiert und viel gelesen, Dokumentationen und Filme gesehen. Was mir aber wichtig ist: Es geht nicht darum, die Erlebnisse der Beteiligten an diesen drei Tagen in Quiberon realitätsgetreu nachzuerzählen, sondern ich will einen Zustand erlebbar machen. Die Realität diente mir als Inspiration, um eine eigene Geschichte daraus zu entwickeln. Dafür war neben der Recherche Fiktion notwendig. Auch das Interview von Michael Jürgs ist nicht eins zu eins das Interview aus dem «Stern», sondern meine eigene Interpretation. Die Figur der Freundin Hilde ist frei erfunden, auch wenn es ein reales Vorbild für sie gibt. Ich wollte nicht nur «Romy und die Männer» zeigen, sondern auch eine andere Form von Intimität zwischen Freundinnen.

Im Film wirkt es, als hätte Romy anfänglich auch Jürgs benutzt, um ihr eigenes Bild in den Medien zu korrigieren. Ein Wechselspiel der Interessen?

Das ist richtig, war aber sicherlich keine Strategie, denn Romys Handlungen waren wahrscheinlich nicht kalkuliert. Romy war einerseits ganz frei und gleichzeitig abhängig von Öffentlichkeit und Anerkennung. Sie hatte einen Hang zur Selbstzerstörung und hat sich in dieser Zeit verzweifelt den Fragen ihres Lebens gestellt: Bin ich eine gute Mutter? Wie schaffe ich es, alles unter einen Hut zu bringen? Wie kann ich funktionieren? Wenn sie sagte, sie sei unglücklich, nichts wert und dass ihr Leben hätte besser laufen können, führte das zu einer neuen Schlagzeile, doch Romy sagte so etwas ohne Kalkül dahinter. Mich hat in Bezug auf meinen Film ihre instinktive Intelligenz interessiert, mit der sie es schafft, einen ehrgeizigen, aufstrebenden Reporter so zu bewegen, dass er ihr am Ende sogar sozusagen den «Final cut» überlässt.

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Romy, auf den Strandfelsen

Emily Atef: «Einen Zustand erlebbar machen»

Für ältere Semester ist Romy Schneider wohl immer noch «Sissi». Von den andern mehr als zwanzig Filmen mit Orson Welles, Henri-Georges Clouzot, Terence Young, Jaques Deray, Joseph Losey, Luchino Visconti, Claude Chabrol und ihrem Lieblingsregisseur Claude Sautet weiss man bei uns und in Deutschland wenig. Ein bisschen wie späte Versöhnung erscheint mir «3 Tage Quiberon». Was uns die 1973 in Berlin geborene und heute noch dort lebende deutsch-französisch-iranische Regisseurin und Autorin Emily Atef vorlegt, überbietet die Erwartungen, die man an ein Künstlerporträt stellt. Der Film erzählt von einer als dreitägiger Erholungsurlaub geplanten, dann aber durch den Besuch von einem «Stern»-Journalisten und einem befreundeten Fotografen umfunktionierte Auszeit, die sie aufwühlt. Während welcher sie sich mal folgendermassen umschreibt: «Ich bin eine unglückliche Frau von 42 Jahren und heisse Romy Schneider.»

Der von Thomas Kiennast in grossartigen schwarz-weissen Aufnahmen fotografierte Film beschreibt eine andere als die bekannte Romy Schneider. Eine fröhliche, exzessive, selbstbezogene, haltlose, spontane, lebenslustige, zweifelnde, süchtige, liebenswürdige, grosszügige, charmante, zugängliche Romy. Und dies alles in der Konfrontation mit einem knallharten, sie zur Selbstentblössung zwingenden Boulevardjournalisten, mit einem auf eine Versöhnung hinwirkenden befreundeten Fotografen und einer Freundin, die sie zu schützen versucht.

Emily Atef drehte kein Biopic und erzählte keine Künstler-Biografie, sondern versucht, sich der Schauspielerin und Frau Romy Schneider künstlerisch zu nähern. Der Satz von Pablo Picasso, «Kunst ist eine Lüge, die der Wahrheit am nächsten liegt», beschreibt dies bestens, in dessen unzähligen Frauenporträts auch mehr Wahrheit steckt als in manchen Fotos. Atef gelingt es, dass wir in Romy Schneider uns entdecken. Der Film ist eine Annäherung an einen Menschen und die Grundwerte des Lebens durch Kunst.

Regie: Emily Atef, Produktion: 2018, Länge: 115 min, Verleih: Looknow