Accordion Tribe

Eine musikalische, eine zwischenmenschliche Sensation

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Fünf höchst eigenwillige Musiker aus verschiedenen Ländern formieren sich zum «Accordion Tribe» und vollbringen das Kunststück, ihr lange verschmähtes Instrument wieder in jenes Kraftwerk der Gefühle zu verwandeln, als das es einst in aller Welt Verbreitung fand. – Zwei Verdienste hat der Film für die Schule: Erstens erweitert er den Musikgeschmack der Jugendlichen um eine neue Dimension; zweitens kann er als Lehrstück dienen, wie Menschen miteinander umgehen sollten.

Stefan Schwietert, der Autor dieses Dokumentarfilms, ist 1996 aufgefallen mit «A Tickle in the Heart» über die Klezmermusik, 2000 mit «El Acordeon del diable» über die Musik an der kolumbianischen Karibikküste und 2003 mit «Das Alphorn» über dieses vergessene und wiederentdeckte Instrument. Musik war immer schon das favorisierte Thema des 1961 geborenen Schweizer Filmemachers. Doch er erweitert das Genre, indem er Musik in Film verwandelt, indem er visuelle Musik macht. In diesem Sinne stellt «Accordion Tribe» wohl den bisherigen Höhepunkt seines Schaffens dar. «Wenn Mick Jagger, Cecilia Bartoli, Norah Jones, Tom Waits und Tina Turner sich zu einem Quintett zusammenschlössen, ergäbe sich eine ähnlich explosive Mischung wie in der Handorgelformation «Accordion Tribe», meinte zu Recht ein Kritiker.

Eine musikalische Bewusstseinserweiterung

Der Musikunterricht auf der Oberstufe erweist sich, da sind sich wohl alle Betroffenen einig, als recht schwierig. Entweder behandelt die Lehrkraft gute Musik, kommt damit jedoch bei den Kindern nicht an, oder sie folgt ihren Präferenzen, kann dann aber selbst nicht mehr hinter der Musik stehen. «Accordion Tribe» stellt ein Instrument und einen Sound vor, die kaum bekannt sind, durch seine Gestaltung jedoch mitreisst und verzaubert.

Der Film begleitet die Musiker zu Hause, also in Wien, Slowenien, Finnland, Schweden und New York, und auf ihrer gemeinsamen Tournee im Jahre 2002. Er folgt ihren erregenden Klanglandschaften von trancehafter Intensität und deren charismatischen Schöpfern. Spurensuche und Neuschöpfung, Tradition und Zeitgenossenschaft, Fragment und Gesamtkunstwerk: verkörpert in einem spannenden und emotional mitreissenden musikalischen Projekt über die transformierende Kraft der Musik.

Ein Lehrstück für Zwischenmenschlichkeit

Euphorisch wurde ich, wie ich die fünf Musiker in ihrem Zusammenspiel, in ihrer Kommunikation beobachtete. Bis zu diesem Film war mein schönstes musikalisches Erlebnis eine Session in der Preservations-Hall von New Orleans. Unbeschreiblich schön, wie die Musiker aufeinander eingingen, sich über ein Solo eines andern freuten, ihm musikalisch antworteten, eben miteinander spielten, kommunizierten. Jetzt nimmt «Accordion Tribe» bei mir den Ehrenplatz des schönsten Musikerlebnisses ein. Schwietert hat genau diesen Akzent herausgearbeitet und überbietet bei mir alles bisher Gesehene und Gehörte. «Der Film über das Akkordeon sollte für mich von Anfang an ein Film werden über die Menschen, die es spielen», meint er.

Im Mittelpunkt und am Rand vermittelt der Film Bilder und Töne über das, was zwischen Menschen abgehen kann. Was Zuhören bedeutet. Wie man (musikalisch) miteinander spricht. Was Dialog bedeutet. Wie man Unsicherheit und Fehler zugibt. Warum es «funkt» und warum nicht. Wie man gemeinsam lernt. Dass Musik oder Sprache Heimat sein kann. Wie man sich in der Kommunikation begegnet und findet. Was die Musiker miteinander und übereinander reden, wie sie miteinander und über ihre Musik sprechen, übersteigt an Informationsgehalt und Erfahrungswert jede akademische Vorlesung und jeden noch so gescheiten wissenschaftlichen Aufsatz zum Thema der zwischenmenschlichen Kommunikation, der Teamentwicklung usw.

Ein Tipp für die Teamentwicklung

Wäre ich Schulleiter oder könnte mit der Lehrerschaft einer Schule das Thema «Zusammenarbeiten» oder «Kommunikation im Team» bearbeiten, ich würde den Film zeigen und die Lehrerinnen und Lehrer einladen, die fünf Menschen zu beobachten, zu beschreiben und dabei zu erfahren und zu lernen, wie Menschen miteinander umgehen können, wollen, sollen, müssen.