Ai Weiwei: Never Sorry

«Ai Weiwei: Never Sorry» ist das Filmporträt eines der wichtigsten Persönlichkeiten des beginnenden 21. Jahrhunderts, eines Künstlers, der glaubt, dass Kunst und menschliche Freiheit untrennbar miteinander verbunden sind.

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Mit den modernen Kommunikationsmitteln stets im Kontakt mit der Welt

Im Streben für diese Freiheit hört Ai Weiwei nie auf, seine Gegner zu provozieren. Er fragt nach, wo andere schweigen, ungeachtet der Konsequenzen. 1957 wurde er als Sohn des Dichters Ai Qing, eines bedeutenden Lyriker des modernen Chinas, geboren. Dieser wurde 1958 antikommunistischer Umtriebe beschuldigt, mit einem Schreibverbot belegt und in die Provinz verbannt, wo Ai Weiwei auch seine Kindheit und Jugend verbrachte. Ende der 70er Jahre schloss er sich einer Gruppe junger Künstler in Peking an. In den 80er Jahren lebte er in New York City, wo er sich nicht nur mit dem Beatpropheten Allen Ginsberg anfreundete, sondern auch das Kunstverständnis von Marcel Duchamp für sich entdeckte: Alltagsgegenstände in neue, unerwartete Zusammenhänge bringen und so den Betrachter zum Nachdenken anregen. Nach seiner Rückkehr nach Peking 1993 publizierte er Interviews mit zeitgenössischen chinesischen Künstlern. In den folgenden Jahren entwickelte er sich als Konzeptkünstler, Blogger, Architekt, Verleger und Kritiker des chinesischen Regimes zu einer der bekanntesten Persönlichkeiten Chinas.

Der Film «Ai Weiwei: Never Sorry» der jungen Amerikanerin Alison Klayman beginnt 2008 mit den Nachforschungen des Künstlers über die durch ein grosses Erdbeben getöteten Kinder in der Provinz Sichuan, bei dem mit Billigmaterial gebaute Gebäude wie Pappkartons ineinander fielen. Schon damals stand er unter Beobachtung der Regierung, was eines Nachts im August 2009 zu einem Übergriff durch Sicherheitsbeamte führte. Er wurde am Kopf schwer verletzt. Einen Monat später, während der Vorbereitungen seiner grössten Einzelausstellung im Haus der Kunst München, musste er sich einer Notoperation unterziehen. Die Ausstellung «So Sorry» erinnert mit der Installation «Remembering», bei der 9000 bunte Rucksäcke an der Fassade mit dem Schriftzug «Sie lebte sieben Jahre glücklich auf dieser Welt» an die in Sichuan getöteten Schulkinder und die Gleichgültigkeit und Brutalität der chinesischen Behörden verweisen.

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Auf dem Tian’anmen-Platz des himmlischen Friedens

Ein starker Fim von Alison Klayman

Neben dem Künstler, Dissidenten und Freiheitskämpfer zeigt der Film auch den ganz privaten Ai Weiwei: In Gesprächen mit seiner Mutter und seinem Bruder wird seine Kindheit und Jugend in der Provinz Xinjiang lebendig. Freunde des Künstlers berichten von seiner Zeit in New York und seinem Bemühen, die aufkeimende Avantgarde-Szene in Peking nach seiner Rückkehr in den 90er Jahren zu unterstützen. In der Situation des heutigen Chinas muss seine Familie stets um seine Sicherheit fürchten. Seine Mutter hofft, dass er sich mehr auf die Kunst und weniger auf die Politik konzentriere und auch weiterhin um seinen kleinen Sohn kümmere.

Kurz darauf greift China hart gegen den Künstler durch. Er muss den Abriss seines gerade errichteten Studios in Shanghai miterleben, kurz danach verschwindet er und wird unrechtmässig und ohne Anklage 81 Tage in Gefangenschaft gehalten. «Ihr löscht andauernd meine Beiträge, also stelle ich sie einfach erneut ins Netz. Worte kann man löschen, aber die Fakten bleiben bestehen.»

«So Sorry», das ist die Ausrede der Mächtigen überall auf der Welt, sagt Ai Weiwei. Mit «Never Sorry» betitelt Alison Klayman, die Filmemacherin, Regisseurin und Kamerafrau, keinen neutralen und ausgewogenen, sondern einen persönlichen, ehrlichen und engagierten Film. Er setzt der Gleichgültigkeit seine Fantasie entgegen. Der Trailer zum Film ist eine adäquate Einführung: http://www.youtube.com/watch?v=ivNbqZ8cPIM

Ai Weiweis Interventionen und Events haben stets einen Symbolcharakter für Chinas Freiheit. Immer wieder steht er unter Hausarrest und ist einer andauernden Überwachung ausgesetzt. «Dieses Land verschwendet die Hälfte seiner Energie darauf, die Menschen daran zu hindern, an Informationen zu kommen oder miteinander zu kommunizieren. Die andere Hälfte der Energie verschwendet es darauf, diejenigen von uns ins Gefängnis zu stecken, die Zugang zu Informationen haben und versuchen, diese weiterzugeben.»

Der Film von Alison Klayman ist ein eindrückliches Dokument, das uns «Westler» über die Situation in einem Land orientiert, aus welchem nur spärlich Informationen zu hören und zu sehen sind, es klärt auf – und treibt uns Scham ins Gesicht über das, was Ai Weiwei – und viele andere Dissidenten in China und andern Orten der Erde – erleiden für das hohe Gut der Freiheit, das bei uns oft zu einem billigen Spielzeug degeneriert.

Statement von Alison Klayman zum Film über Ai Weiwei

Ich wollte diesen Film über Ai Weiwei machen, weil ich einen Film über einen charakterstarken Künstler drehen wollte, der dazu bereit ist, ein Risiko einzugehen, um die Gesellschaft auf ihre eigenen Missstände aufmerksam zu machen. Ai Weiwei ist eine charismatische Persönlichkeit, die mit ihrer Dynamik die Vielfalt der Erfahrungen und Realitäten in China verkörpert, Zeichen dafür, wie China sich verändert hat und dass es noch sehr viele weitere Veränderungen geben wird. Das ist der Grund, warum mir so vieles im Kopf herumging, als Weiwei letzten April, nach mehr als zwei Jahren Dreharbeiten und mehreren Monaten Postproduktion, in Polizeigewahrsam genommen wurde, ohne formelle Anklage oder einen Hinweis darauf, wann er wieder freikommen würde. Wochenlang bin ich in New York bis spät in die Nacht aufgeblieben, damit ich zum Sonnenaufgang in Beijing wach war. Immer wieder kamen Anfragen von Journalisten. Ich habe jede Entwicklung beobachtet, war über Skype fast immer erreichbar und habe keine Twitter-Meldung verpasst. Weiweis 81-tägige Haft hat ihn nicht nur noch mehr zum Symbol werden lassen, sondern auch das Interesse der Presse verstärkt. Über seine Freilassung wurde in aller Welt berichtet, und plötzlich konnten auch diejenigen, die vorher nichts über ihn wussten, mit seinem Namen ein Gesicht und eine Geschichte verbinden. Der Mann und seine Geschichte dahinter bilden den Fokus von «Ai Weiwei: Never Sorry».

Die Dreharbeiten zum Film begannen im Jahr 2008, kurz nachdem er durch seine Arbeit am Olympiastadion «Bird’s Nest» und seine Abwesenheit bei den Olympischen Spielen, die er als Propagandaaktion der Regierung bezeichnete, internationale Bekanntheit erlangt hatte. Seitdem hatte sich einiges verändert. Weiwei hatte noch nie einen Computer benutzt, 2005 begann er dann mit seinem Blog, der sich durch seine offenen und politisch aneckenden Meinungen auszeichnet. 2009 wurde der Blog von der Regierung gesperrt, aber da hatte Weiwei sich schon zum Symbol der Webgemeinschaft entwickelt, eine Rolle, die er trotz allem dank Twitter weiterführen konnte. Im selben Jahr eröffnete Weiwei in München seine grösste Solo-Ausstellung «So Sorry» und wurde, obwohl er niemals Kinder wollte, Vater eines Sohnes. Und dann gab es die Verhaftung im Jahr 2011. Diese Jahre waren sehr prägend für einen Mann, der schon verschiedenste einschneidende Epochen in seinem Leben durchlaufen hatte.

Nach Weiweis Freilassung habe ich ihn in Beijing besucht, auch um ihm den fertigen Film zu präsentieren. Er fand, dass der Film sehr eindringlich und treffend zeigt, worum er sich in den letzten Jahren bemüht hat. Ich traf auf einen Mann, der nach seiner Haft sagt, er müsse einen neuen Weg finden, um das Spiel zu spielen und zu gewinnen. Seitdem hat er gezeigt, dass er weiterhin an seiner Überzeugung festhält und sich nicht unterkriegen lässt. Im November 2011 erhielt er durch eine spontane Spendenaktion seiner Fans mehrere Millionen Dollar, die es ihm ermöglichten, Teile der ihm zu unrecht vorgeworfenen Steuerschulden zu begleichen. Ein Jahr nach seiner Haftentlassung installierte er im April 2012 vier Kameras in seinem Haus und liess dadurch die ganze Welt online an seinem Leben teilhaben. Obwohl die Regierung die Weiwei-Cam innerhalb von 46 Stunden abschalten liess, war es ein erfolgreiches Zeichen gegen die Überwachung der Regierung und gleichzeitig auch eine Unterstützung seiner Kampagne für mehr Transparenz in der chinesischen Gesellschaft und Regierung. Immer mehr Menschen auf der ganzen Welt hören von Ai Weiwei durch das grosse mediale Interesse, durch das Internet oder durch Kunstausstellungen.

«Ai Weiwei: Never Sorry» bietet zusätzlich die Möglichkeit, hinter die Schlagzeilen zu sehen und wirklich Zeit mit Weiwei zu verbringen, seine Stimme und seine Meinungen zu hören, seine Stärken und Schwächen zu sehen und verschiedenste Bereiche seines Lebens kennenzulernen. Der Film gibt den Zuschauern ausserdem die Chance, sich eine Meinung über Weiweis Entscheidungen zu bilden und, das hoffe ich zumindest, sich von seinem Mut und seiner Menschlichkeit inspirieren zu lassen.

Aber in «Ai Weiwei: Never Sorry» geht es nicht nur um Weiwei oder um China. Ich wünsche mir, dass der Film die Zuschauer dazu bringen wird, sich selbst zu fragen: Wie stelle ich mir eine bessere Zukunft vor? Wie viel würde ich riskieren, um meine Meinung zu vertreten? Die grösste Wirkung, die dieser Film erzielen kann, wäre eine neue Gruppe Künstler, Aktivisten und Bürger entstehen zu lassen, die kein Blatt vor den Mund nehmen und die Zukunft ihrer Gesellschaft mit einer starken Vision verbessern wollen.

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Immer wieder inhaftiert und stets überwacht