Brasileirinho

Nachdem der Super-Hype der Fifa-WM abgeflaut und man wieder nüchtern fragen darf, ob Sport denn wirklich Menschen und Völker verbinde, wie es Sport-Business und -Politiker versprechen, soll hier auf etwas verwiesen werden, was sicherlich Menschen bildet, also pädagogisch wirkt, auch wenn es weniger offensichtlich daherkommt. Es ist die Musik. Hier sei es am Beispiel des Films «Brasileirinho» aufgezeigt werden.

Kein Land kann mit seiner Musik derart begeistern wie Brasilien. Doch gleichzeitig ist deren Image dermassen klischiert, dass es schwer fällt, es literarisch und filmisch zu unterlaufen. Dies aber versucht Mika Kaurismäki, nach «Moro no Brasil», zum zweiten Mal mit dem Dokumentarfilm «Brasileirinho». Die Magie und Leidenschaft, die faszinierenden Melodien und pulsierenden Rhythmen des darin vorgestellten Choros ziehen die Zuhörenden und Zuschauenden in ihren Bann.

Miteinander ein Gemeinschaftswerk erschaffen

Wenn man selbst Musik macht oder singt, erfährt man es am eigenen Leib. Doch auch wenn man nur zusieht und zuhört, wird es erlebbar, dass Musik zu einer Funkgrube pädagogischen Tuns wird. Als erstes ist es das Zusammenarbeiten, das gemeinsame Spiel der Musiker und Sänger, das sich durch Rücksichtnahme, ständiges Aufeinander-Eingehen auszeichnet und in einem existentiellen Miteinander – Sein ist Mit-Sein! – gipfelt. In der Musik leben kreative Menschen Kommunikation in einer Art, wie wir sie im Alltag nur erträumen oder bloss in Ansätzen realisieren. Diese Haltung dürfte auch als ein Einstieg für das pädagogische Hören, Sehen und schliesslich Handeln verstanden werden. – Da steigen einem beim Massen-Sport, der sich auf Kampf und Sieg konzentriert, doch ab und zu leise, oft auch laute Bedenken hoch.

Sich mit dem fremden Andern auseinandersetzen

«Brasileirinho» ist ein Dokumentarfilm über den Choro, die erste urbane original brasilianische Musik, die sich im Laufe der vergangenen 130 Jahre zu einer faszinierenden Form moderner tropischer Klänge entwickelt hat. Der Film des Finnen Mika Kaurismäki – des Bruders des berühmten Aki Kaurismäki – gewährt uns während 90 Minuten Einblick in eine Art von Musik, die den meisten von uns unbekannt ist. Hier gilt es, sich dem Fremden zu nähern, das Andere an uns heran kommen zu lassen, uns mit ihm auseinander zu setzen. Das Fremde im Eigenen, das Eigene im Fremden wahrzunehmen! Dies ernst zu nehmen verlangt Offenheit für das Unbekannte. Und auch dies gehört wesentlich zur Erziehung, konstituiert Bildung – aus dem Dialog des Ich mit einem Es mit Hilfe eines Du. Eine solche Auseinandersetzung erst macht uns frei im Umfeld der Musik, die heute ja wesentlich gesteuert wird von milliardenschweren US-Musik-Majors.

Sich in ein Werk hineinversenken

Der Film zeigt Musiker, Sänger, Tänzer und lässt sie sprechen. Nicht in Form eines spontanen Filmens à la cinéma direct arbeitete das Team, sondern indem es aussagekräftige, typische Szenen nachgespielten liess. Und der Film zeigt Zuhörende und deren Reaktionen auf die Musik. – Da es für Lehrpersonen der Volksschule oft schwer fällt, angesichts des weltweiten Musik-Mainstreams, den Kindern und Jugendlichen andere Musik-Stile zu vermitteln, bietet sich dieser Film mit dem brasilianischen Choros als ein Beispiel an, anderer ist ebenso möglich. Neues kennen zu lernen, verlangt Zeitaufwand, Hinwendung, Anteilnahme, Versenkung, letztlich Empathie: Eigenschaften, die in einer ganzheitlichen Bildung und Erziehung anhand von Inhalten – Fächern, Stoffen, Disziplinen – ebenfalls gelehrt, gelernt, geübt, angeeignet und angewandt werden.