Charlotte Rampling. The Look

Die 65-jährige Avantgardistin, Stilikone und Tabubrecherin erzählt.

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Charlotte Rampling, in diesem Film Subjekt und Objekt zugleich

Charlotte Rampling war das Chelsea Girl im London der 60er Jahre. Luchino Visconti holte sie für «La caduta degli dei » nach Italien. Ihre Rolle in Liliane Cavanis «Il portiere di notte» löste weltweit eine Tabudebatte aus. Helmut Newton inspirierte sie zu seiner ersten Aktfotografie. In New York verkörperte sie für Woody Allen die perfekte Frau, und in Hollywood stand sie mit Paul Newman vor der Kamera. Erklärtermassen gern arbeitet der Star mit den Filmemachern Nagisa Oshima und François Ozon.

Oft als «Objekt der Begierte» inszeniert, ist sie in «The Look» zugleich Objekt und Subjekt, der Blick ist der unsere und der ihre. Sie spricht und verführt mit den Augen, mit ihrem Look, und schenkt uns einen erhellenden Blick, unsern Look, auf sie, die andern und die Welt.

In neun Kapiteln ausgestaltet mit Begegnungen mit Weggefährten und Vertrauten wie Peter Lindbergh, Paul Auster oder Juergen Teller, lotet sie Themen aus wie das Alter, die Schönheit, Tabus und Begehren, Tod und Liebe. Die Gespräche, Filmausschnitte, Locations und Situationen verdichten sich jenseits aller anekdotischer Rückschau zum vielschichtigen, spannenden, selbstbewussten Porträt einer charismatischen Frau und Schauspielerin. Und über das Individuelle hinaus bietet der Dokumentarfilm einen abenteuerlichen Blick aufs Leben aller, aufs Leben an sich.

Eine Einleitung der Regisseurin Angelina Maccarone

«Es gibt viele starke Gründe, warum ich „The Look“ machen wollte, aber alle lassen sich in zwei Worten zusammenfassen: Charlotte Rampling. Wer ist diese Frau, die noch berühmter zu sein scheint mit ihrer persönlichen Aura als mit der Summe ihrer Filme und Fotos? Für ihre eigene Generation stets stilbildend, ist sie auch für uns Nachfolgende eine Ikone. Keine verkörpert sexuelle Selbstbestimmung lässiger als sie, vom Chelsea Girl bis zur reifen Frau von heute, deren intelligenter Sexappeal all die glattgesichtigen Models ins Kinderzimmer verweist.

Im Ausloten menschlicher Abgründe scheut sie keinen Skandal und erfindet sich immer neu. Sie küsst auf der Leinwand Robert Mitchum, ohne dass sie sich von Hollywood in die narzistische Falle locken lässt. Sie bleibt dem europäischen Kino treu, weil es ihr in ihren Rollen um psychologische Komplexität geht; darum, zu zerbrechen und vielleicht wieder aufzustehen.

Sie übernimmt die Rolle der Projektionsfläche für Männer und Frauen gleichermassen – begründet in ihrem atemberaubenden „Look“. Das Geheimnis liegt in der Zweideutigkeit dieses Wortes: ihrem Aussehen, das die Blicke auf sich zieht, und ihrem Blick, der, wie Visconti zu erkennen vermeinte, alles gesehen hat. So vieles ist über sie gesagt worden, dass es fast unmöglich scheint, nicht in Klischees zu verfallen in der Beschreibung des Phänomens „Charlotte Rampling“. Ich wollte, dass sie in diesem Film selbst zu Wort kommt.

Schon bei unserer ersten Begegnung im Oktober 2007 bekräftigte sich meine Vermutung, dass es lohnender sein würde, ihr selbst zuzuhören, als ihr in den üblichen Reflexionen und Reminiszenzen alter Weggefährten nachzuspüren. Meine Einladung an sie, im Film nicht Objekt, sondern Subjekt zu sein, hat ihr gefallen. Nur so ist es, wie sie selbst sagt, möglich, über die Projektion hinaus zu einer wahrhaftigen Innenansicht und einem Blick auf die kaleidoskopische Komplexität des Lebens selbst zu gelangen.»

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Fotografierend und fotografiert, filmend und gefilmt

Ein grosser Film über eine grosse Persönlichkeit

Was sich auf der Leinwand in aussagekräftigen Bildern (Kamera Bernd Meiners und Judith Kaufmann) und einer Reflexionen auslösenden Montage (Bettina Böhler) abspielt, ist eine Begegnung, wie man sie nur selten erlebt. Mit einem reichen, grossartigen, ehrlichen, spontanen, kritischen, witzigen, erfahrenen Menschen, einer Frau, die uns entgegenkommt und sich von uns löst, die sich öffnet und wieder verschliesst. Diese Frau hat sowohl im Privaten wie in der Kunst viel erlebt. Sie hat in ihrer Arbeit die Geschichten und Schicksale ihrer etwa fünf Dutzend Filme durchlebt und durchlitten, jede einzelne während Wochen: deren Leiden und Leidenschaften, Hoffen und Verzweifeln, Suchen und Finden. Mit Fug und Recht kann Charlotte Rampling von sich sagen: «Hundert Leben habe ich gelebt», was dann auch begründet, warum sie so viel Lebenserfahrung und Lebensweisheit ausstrahlt. Und da sie heute 65 Jahre alt ist, hat sie auch alten Menschen etwas, ich meine viel, zu sagen.

Mit «Charlotte Rampling. The Look» hat die Spielfilmregisseurin Angelina Maccarone einen Dokumentarfilm gedreht, der Massstäbe setzt für ähnliche Künstlerporträts.

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Charlotte als Teil dieser Welt erfahren, als Teil des Raumes gezeigt

Die Kapitel, die Begegnungen, ihre Filme

Einblicke gewährt die Regisseurin Angelina Maccarone mit ihren Bildern des Umfeldes, der Lebenswelten von Charlotte und ihren Gesprächen mit ihren Regisseuren, Freunden, dem Ex-Mann, einem ihrer Söhne und andern Künstlern. All dies hat sie ist in neun Kapitel gegliedert. Sie heissen:

«Exposure» mit Peter Lindbergh und einem Ausschnitt aus «Stardust Memories» von Woody Allen,

«Age» mit Paul Auster und einem Filmausschnitt aus «La caduta degli die» von Luchino Visconti,

«Beauty» mit einem Ausschnitt aus «Swimming Pool» von François Ozon,

«Resonance» mit ihrem Sohn Barnaby Southcombe und einer Sequenz aus «Georgy Girl» von Silvio Narizzano,

«Taboo» mit Juergen Teller und dem Ausschnitt aus «Il portiere di notte» von Liliana Cavani,

«Demons» mit Frederick Seidel und einer Sequenzen aus «The Verdict» von Sidney Lumet,

«Desire» mit Franckie Diago und einem Ausschnitt aus «Vers le sud» von Laurent Cantet,

«Death» mit Anthony Palliser samt einer Sequenz aus «Sous le sable» von François Ozon,

«Love» mit Cynthia und Joy Fleury und Filmausschnitten aus «Tristesse et beauté» von Cynthia Fleury und «Max, mon amour» mit und von Nagisa Oshima.

 

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Charlotte Rampling, in der Masse integriert und dennoch autonom

Aus einem Interview mit der Regisseurin

Wie haben Sie Charlotte Rampling kennengelernt?

Das war ein ziemlich langer Anlauf. Der Produzent hatte den Kontakt zu ihr aufgebaut. Sie wollte dann zuerst meine Filme sehen, bevor sie bereit war, mich zu treffen, das war im Oktober 2007. Bei diesem ersten Treffen wollte sie von mir sehr genau wissen, warum ich einen Film über sie machen wolle, und wie ich mir diesen vorstelle. Ich sagte ihr, dass ich nicht möchte, dass über sie gesprochen werde, sondern dass sie im Film ihre Stimme und ihren Blick behalte. Dass sie also dem Blick nicht nur ausgesetzt sei, sondern auch jene sei, die schaut, zurückschaut und etwas von sich zeigt.

War dieses Treffen Voraussetzung für ihre Zustimmung?

Ja, sie hätte nicht zugesagt, wenn ihr das nicht gefallen hätte. Sie war anfangs sehr zurückhaltend, und im Grunde ist ihr Zweifel, ob ein Film über sie tragen würde, während der ganzen drei Jahre, in denen wir drehten, geblieben. Sie hatte bis zum Schluss das Vetorecht.

Wie sahen Ihre Recherche und Vorbereitung aus?

Ich habe erst einmal alle Filme von ihr gesehen und mich intensiv damit beschäftigt, auch gesammelt, welche Themen darin vorkommen und was sich davon in unseren Film verknüpfen lasse. Ich musste auch wissen, welche Teile und Szenen dieser Filme sich eignen würden, um unsern Dreh darauf abzustimmen. Darauf habe ich viel Zeit verwendet. Und dann habe ich mir angesehen, was es so über die Jahre an Interviews und Beiträgen mit ihr gab. Eigentlich habe ich mich mit allem befasst, was ich von ihr finden konnte.

Welche Idee verfolgen Sie mit den Themen und Kapiteln?

Ich wusste vieles über Charlotte Rampling, einfach dadurch, dass sie eine öffentliche Person ist, doch ich kannte sie nicht persönlich. Und ich habe mich gefragt: Wie lernt man einen Menschen kennen? Nicht dadurch, dass ich ihn frage, wie sein Leben chronologisch von A bis Z war. Das geht nur über Themen. Man spricht über etwas, und wenn man tiefer reingeht, offenbart sich vieles. Ich habe mir überlegt, welche Themen das sein könnten, grundlegende Lebensthemen, aber auch solche, die besonders mit ihrem Leben verknüpft sind.

Hat Charlotte Rampling ihre Gesprächspartner für den Film selbst vorgeschlagen?

Das war interessant. Sie fand das zwar toll, dass nach meinem Konzept nicht jemand über sie spricht. Doch gleichzeitig konnte sie es sich nicht vorstellen, im Film mit Leuten über diese Themen zu sprechen. Ich meinte dann, irgendwer müsse darüber sprechen. Mein Vorschlag war, dass sie mit Leuten spricht, die ihr nahe sind und die ihr etwas zu den Themen zu sagen haben. Das fand sie zwar schwierig, doch allmählich kamen die ersten Ideen. Wir sind immer so vorgegangen, dass wir uns auf eine Stadt und einen Termin geeinigt haben, und ich habe dann nachgebohrt, wen wir da treffen könnten. Aber das kam immer sehr spät. Die Sequenz mit ihrem Sohn habe ich einen Tag vor Abflug nach London bekommen. Ich habe ihn dann in der Stadt angerufen, ihn abends getroffen und zwei Tage später mit ihm gedreht.

Auch die Aufnahmesituation als solche ist im Film zu sehen.

Es war für mich wichtig zu zeigen, dass das alles ein Film ist und mit Inszenierung zu tun hat, und immer wieder die Frage zu stellen: Wo ist die Schauspielerin, wo ist die Person Charlotte? Die Entscheidung, die Drehsituation in den Film hinein zu nehmen, hat für mich damit zu tun, dass die Grenzen fliessend sind zwischen der Darstellerin und der Person.

Wie sind Sie bei der Montage vorgegangen?

Vor dem letzten Dreh im Oktober 2010 hatten wir schon eine relativ lange Schnittphase, da sahen wir, welche Kapitel vom Material her schon waren, und dann hatten wir uns kapitelweise vorgearbeitet. Es gab ein paar Reihenfolgen, die sich aus der Chronologie dessen, was fertig war und wir schon verknüpft hatten, ergaben und auch bis zum Ende blieben. Das war ein Prozess, man spielt assoziativ, mit verschiedenen Analogien, inhaltlichen und thematischen Überlegungen und der Frage, was einen dramaturgischen Bogen fürs Ganze ergibt. Man kann das ja in allen möglichen Varianten miteinander verbinden, doch irgendwann hat sich diese Reihenfolge dann aufgedrängt.

«Charlotte Rampling. The Look» ist Ihr erster Dokumentarfilm: Was ist anders, was ähnlich zum Spielfilm?

Beim Spielfilm geht es darum, einen Freiraum zu schaffen, in dem ein Vertrauen entsteht, in dem die Schauspieler und Schauspielerinnen sich fallen lassen können. Das ist beim Dokumentarfilm genauso, nur dass der Raum, der da entsteht, weniger eingegrenzt ist. Es gibt keinen geschriebenen Text, sondern nur eine grobe Richtung, wohin das gehen könnte. Wenn etwas anderes passiert, muss ich nicht abbrechen, sondern darf diesem Weg folgen. Das war für mich eine Herausforderung, weil ich jemand bin, der gerne plant und den Rahmen absteckt. Und hier machte ich die Erfahrung, dass es, wenn etwas gut vorbereitet ist, auch toll ist, das loszulassen, und etwas ganz Lebendiges entsteht. Das war für mich die spannendste Erfahrung, die sich auch auf meine Spielfilmarbeit auswirken wird. Dass ich als Regisseurin nicht nur einen Vertrauensraum schaffe, sondern dass ich selber darauf vertraue, dass auch von der anderen Seite etwas kommt und im Film lebendig wird. Wobei ich bei diesem Film ein wirklich grossartiges Gegenüber hatte.

Trailer

www.xenixfilm.ch