Burning Days

Kampf eines Idealisten: Wie der türkische Regisseur Amin Alper im spannenden und sinnstiftenden Thriller «Burning Days» im tiefen Anatolien mit einem engagierten Staatsanwalt einen politischen Wasser-Skandal aufzudecken versucht, ist allgemeingültig und verbindlich. Ab 16. Oktober im Kino
Burning Days

Der Staatsanwalt ist gefordert

Emre, ein junger und engagierter Staatsanwalt, wird in die anatolische Kleinstadt Yaniklar entsandt, wo er dem politischen Skandal in einer männerdominierten Gesellschaft rund um eine Wasserkrise auf den Grund gehen soll. Von den lokalen Verantwortlichen zunächst herzlich begrüsst, gerät er schnell in ihren Clinch, wird in intrigante Spiele hineingezogen und findet sich bald selbst im Zentrum hitziger Auseinandersetzungen, nichts ahnend, was ihn noch erwartet. – Einige der folgenden Zitate stammen aus einem Interview mit dem Regisseur, das im Anhang ganz wiedergegeben ist.

«Die ursprüngliche Idee war es, einen einsamen, idealistischen Menschen ins Zentrum zu stellen, der gegen die korrupte Elite einer Kleinstadt ankämpft. Natürlich wurde die Idee inspiriert von den neusten politischen Entwicklungen in meinem Land. Du kannst immer den Mut und die Energie aufbringen, gegen korrupte und autoritäre Politiker Widerstand zu leisten, aber wenn du dann siehst, wie populär solche Menschen sind, und dass sie wieder und wieder gewählt werden, fühlst du dich niedergeschlagen, alleine und isoliert. Wir sind seit einigen Jahren gefangen in einem solchen Teufelskreis. Nicht nur in der Türkei, zahlreiche andere Länder machen ähnliche Erfahrungen. Ich beschloss daher, eine Geschichte zu schreiben, die diese beinahe universelle Entwicklung aufnimmt und die Einsamkeit von Menschen zeigt, die über den Aufschwung autoritärer Populisten empört sind.»

Irgendwann und irgendwo wird Wasser immer wieder Zankapfel gesellschaftlicher Auseinandersetzungen, politischer Ränkespiele und schliesslich menschlicher Tragödien. Denn Wasser ist, wie Luft und Erde, ein Leben stiftendes und erhaltendes Gut. Davon handelt der grossartige Spielfilm «Burning Days», der mit klugem Drehbuch und differenzierten Dialogen von Emin Alper, starken Bildern von Christos Karamanis, zielführender Montage von Özcan Vardar und Eytan Ipeker sowie dem exzellenten Spiel des Hauptdarstellers Selahattin Pasali und der übrigen Crew. – Erst kürzlich hat der Wissenschaftsjournalist Mathias Plüss mit dem Buch «Das Wasserbuch. Überschwemmungen, Dürren, Gletscherschwund» vier Expeditionen im Herzen Europas aufgearbeitet. Der Film wie das Buch machen sichtbar und verstehbar, wie Korruption weltweit der Motor zahlloser Tragödien ist, ganz im Sinne Heraklits: «Der Krieg ist Vater von allen, König von allen. Die einen macht er zu Göttern, die anderen zu Menschen, die einen zu Sklaven, die anderen zu Freien.»

Burning Days 04
Essen mit den Söhnen des Gemeindepräsidenten

Thriller um Löcher im Boden und im Gedächtnis


An verschiedenen Stellen klaffen Löcher in Yaniklar, der fiktiven Kleinstadt in den trockenen Ebenen Anatoliens, und gewaltigen Dolinen verschlingen ganze Häuser, während ein Teil der Bevölkerung zu Hause kein Wasser hat. An diesen etwas verlorenen Ort entsandt, soll Emre, jung, engagiert und eben erst als Staatsanwalt vereidigt, den Behörden auf die Finger schauen. Begrüsst wird er von einer blutigen Wildschweinjagd durch die Strassen der Stadt und bald schon von einem etwas zweideutigen Auftritt der Richterin Zeynep in seinem Büro, das nichts Gutes ahnen lässt.

«Burning Days», ein Film, der mit seinem Thrill Spannung erzeugt, nicht nur für kurze Passagen, sondern während der ganzen Länge, in einem mitreissenden Spiel zwischen Spannung und Entspannung. Was im kommerziellen Kino- und Fernsehfilm meist selbstzweckhaft wird, bringt hier tiefmenschliche Themen wie Gerechtigkeit und Verrat, Wahrheit und Lüge zur Darstellung. Und wenn wir mit der Handlung mitgehen, wird es für uns zu einem Probehandeln: Wir durchleben mit dem Staatsanwalt sein Leben und fallen für zwei Stunden in einen emotionalen Rausch. Wieder ein Film, der auf Fragen des Lebens Antworten sucht oder Sinn stiftet, Fremdes ausleuchtet oder Grenzen sprengt und so vielleicht eine Aufgabe der Kunst erfüllt.

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Die Richterin Zeynep beim Staatsanwalt

Der Lauf der Dinge im Film ...


Auf die Frage, was das Publikum am Ende des Films glauben soll, ob Emre unschuldig ist und in eine Falle gelockt wurde, antwortet der Regisseur: «Nicht unbedingt. Dies ist keine Geschichte über Gut und Böse, sondern über "weniger Gut und weniger Böse". Das rein Gute gibt es nur im Märchen. Denn Emre ist nie ganz sicher, was in jener Nacht wirklich passiert ist. Als Mann voller unterdrückter Begierden schliesst er nicht aus, dass auch er ein potenzieller Vergewaltiger sein könnte. Was Emre am Ende so tugendhaft erscheinen lässt, ist die Tatsache, dass er aller Widerstände zum Trotz weiterkämpft, wie auch immer es ausgehen möge. Der Weg des geringsten Widerstands wäre für ihn, den Fall aufzugeben, was er aber nie ins Auge fasst. Am Ende ist er nicht ganz unschuldig, versucht aber wenigstens, etwas Gutes in sich zu bewahren. Das lässt ihn in eine Falle tappen, die kein lange geplanter Komplott ist, er überschätzt ganz einfach seine eigene Macht in Bezug auf die korrupten Lokalpolitiker, die die Stadt fest im Griff haben.»

Ein Satz aus einem andern Film ist mir hier spontan eingefallen: «Zwischen dem, woran du dich erinnerst, und dem, was dir gesagt wird, liegt die Wahrheit.» Denn in der unendlichen Leere des Seins, in welcher die Wahrheit vielleicht zufällig einmal aufblitzt, spielt auch «Burning Days». Denn im Haus des Bürgermeisters fliesst der Raki reichlich, die Gastfreundschaft wird zunehmend belastender und die Situation gerät für den bald stark alkoholisierten Emre ausser Kontrolle. Er wird sich später nur dunkel an die Ereignisse jener dramatischen Nacht erinnern. Zudem lernt er im Laufe seiner Ermittlungen beiläufig Murat kennen, der die Bevölkerung als Journalist bei der lokalen Oppositionszeitung oft über die Machenschaften der Elite, der herrschenden Familien und auch Sahins, Anwalt und Sohn des Bürgermeisters, ins Bild setzt. Als wenig später der Vater von Pekmez, einem Roma-Mädchen im Teenageralter, die Vergewaltigung seiner Tochter zur Anzeige bringt, wird Emre mit seinem ersten Kriminalfall konfrontiert, der tief in die gesellschaftlichen Strukturen der Gesellschaft verweist und den jungen Staatsanwalt an die Grenzen seiner Menschlichkeit und seiner noch jungen Professionalität bringt.

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Emre mit Murat, dem Journalisten (v. l.)

... und in der Welt


Auf die Frage, ob «Burning Days» ein Konflikt zwischen Tradition und Moderne sei, antwortet Emin Alper: «Nicht zwingend oder nur teilweise. Sicher, Emre ist ein Stadtjunge und ziemlich modern. Die ersten Spannungen tauchen auf, als er mit der traditionellen Lebensweise kollidiert; gleichzeitig ist das Problem komplexer. Der Bürgermeister und seine Söhne sind nur in dem Masse traditionell, wie es Le Pen, Orban oder Putin sind. Populistischen Führern gefällt es, sich traditionell und volksnah zu geben. Sie neigen dazu, sich auf traditionelle, konservative Werte zu beziehen. Allerdings sind dies für sie in der Regel manipulative Instrumente. Wir sollten uns vor Augen halten, dass der autoritäre Populismus ein modernes Phänomen ist.» – Dass wir hier den Kampf gegen Korruption in einem fremden Land erleben, kann unsern Blick schärfen, um die bei uns diskret versteckte Korruption und verhängnisvolle Verquickung mit den Traditionen zu erkennen.

Dass Emin Alper in seinem filmischen Oeuvre auch ganz andere Töne erklingen lassen kann, zeigt er in «A Tale of Three Sisters», in welchem er am Beispiel von drei Schwestern, ebenfalls in Anatolien, mit poetischen Bildern ihre Lebensgeschichten erzählt und, wie in «Burning Days», gleichzeitig die Befindlichkeit der Menschen seiner Heimat schildert.

Interview mit Emin Alper

Regie: Emin Alper, Produktion: 2022, Länge: 129 min, Verleih: trigon-film