Digitalkarma

Behinderte Frauenemanzipation: Mark Olexa und Francesca Scalisi beobachten in «Digitalkarma», wie in Bangladesch junge Frauen hoffnungsfroh auf eine gute Zukunft hinarbeiten. Entstanden ist ein Film, der Anteil nimmt und zum Nachdenken anregt; denn die Situation ist exemplarisch. - Kinostart voraussichtlich am 26. Juni
Digitalkarma

Rupa braucht ein Fahrrad

Der Dokumentarfilm des Schweizers Mark Olexa (*1984) und der Italienerin Francesca Scalisi (*1982) lässt uns Anteil nehmen am Leben von Rupa, einer jungen Frau in Bangladesch, und anderer Bengalinnen, die versuchen, ihrem von Traditionen bestimmten Schicksal zu entkommen. Teeplantagen in den nebligen Hügeln und bunte Dorfszenen im Nordosten des Landes bilden den Hintergrund. Mit einem Fahrrad, einer Videokamera und ihren Fachkenntnissen nimmt sie ihr Leben in die Hand und versucht, das fragile Gleichgewicht zwischen Aufbruch und Tradition einigermassen aufrecht zu erhalten, bis der Entscheid des Vaters und der Brüder ihr Leben verändert.

Olexa und Scalisi leben und arbeiten zusammen, beflügelt von einer gemeinsamen Leidenschaft: dem Dokumentarfilm. 2012 haben sie in Freiburg die Produktionsfirma Dok Mobile gegründet, wo sie ihre eigenen Dokumentarfilme realisieren und Filme anderer Regisseure, meist aus der Region Freiburg, produzieren. «Es ist schön, mit Talenten aus der Region zu arbeiten», sagt Mark. «So ist es einfach, sich auszutauschen und Beziehungen zu pflegen.» An talentierten Leuten fehle es nicht, in Freiburg gebe es gute Filmemacher. «Digitalkarma» ist ihre aktuell letzte Produktion.

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Tochter und Mutter

Von Freiburg ...

«Digitalkarma» liege ihnen am Herzen, sagt Francesca. Dafür haben die Freiburger Filmemacher Rupa und ihre Familie während vier Jahren regelmässig besucht. Denn diese junge Frau nimmt am Projekt «E-She-Bees» teil, das auch die Cineasten interessiert. «E» steht dabei für Unternehmerin, Elektronik, Enpowerment, «She» für Frau und «Bees» für Bienen. Ausgerüstet mit Fahrrädern und dem nötigen Know-how, können die fleissigen Bienen der Bevölkerung in den ländlichen Gebieten ihre Dienste anbieten und damit Geld verdienen. Der Film zeigt, wie Rupa, unterstützt von ihrer Familie, mehr und mehr Freiheit und Selbstständigkeit gewinnt und für ihre Rechte und Anerkennung zu kämpfen beginnt. Doch als ihr Vater schwer erkrankt, ändert sich alles – und der Film nimmt eine unerwartete Wendung.

Solche Geschichten zu erzählen, das ist es, was die beiden Filmemacher am Dokumentarfilm lieben. «Diese Arbeit ist realer und spontaner als bei einem Spielfilm», meint Mark. Seine Ausbildung hat der 34-Jährige an der Filmschule Prag begonnen. «Dort drehte sich jedoch alles um den Spielfilm. Ich mochte es nicht, wenn dreissig Leute auf dem Set herumstehen und nichts tun.» Ein Dokumentarfilmkurs bei einem alten tschechischen Professor habe ihm schliesslich den Weg gezeigt: «Das war es, was ich machen wollte.» Er schrieb sich an der Dokumentarfilmschule Bozen ein, wo er auch Francesca kennenlernte. Auch sie brennt für den Dokumentarfilm. «Dieser erlaubt es, Geschichten wie jene von Rupa zu erzählen», sagt die 36-Jährige.

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Rupa /l) mit anderen Bengalinnen

... nach Bangladesch

Sechs Jahre, inklusive Postproduktion, haben die beiden an «Digitalkarma» gearbeitet. Es brauchte viele Recherchen und viel Geduld. Doch mit der jungen Hindu Rupa hätten sie schliesslich die ideale Protagonistin gefunden. «Sie und ihre ganze Familie waren sehr offen und liessen uns nahe an sich heran. Wir wurden fast zu Familienmitgliedern.» Bangladesch und seine Menschen hätten sie berührt: «Es gibt dort viel Armut, aber auch eine grosse Lebenslust. Die Menschen bewältigen ihren oft schwierigen Alltag mit Würde.»

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Blicke in die Zukunft

Bemerkungen der Regisseurin und des Regisseurs

Bangladesch ist ein seltsames, faszinierendes Land, eines der ärmsten der Welt, und doch gemäss einer Studie der London School of Economics das glücklichste. Es ist ein Land, das mit Problemen wie den tropischen Wirbelstürmen, Überschwemmungen, Überbevölkerung und mit Arsen verseuchtem Trinkwasser kämpft, und doch ist es zukunftsgerichtet und voll Energie. Die Idee zu «Digitalkarma» entstand, als wir auf einen Artikel über die «E-She-Bees» stiessen, einer Gruppe von jungen Frauen, die eine Ausbildung in neuen Technologien und im Gesundheitsbereich erhalten. Mit ihren Fahrrädern erreichen sie die ländlichen Gebiete des Landes und bieten der Bevölkerung ihre Dienste an. So werden sie zu Unternehmerinnen und machen erste Schritte in die finanzielle Selbstständigkeit.

Das Thema sprach uns sofort an, umfasst es doch nicht nur das Ringen um Emanzipation, sondern auch den Zusammenprall eines in Traditionen verhafteten Landes und der modernen Technologie. Wir sind Rupa vier Jahre lang in ihrem neuen Leben als erwerbstätige Frau gefolgt. Doch in einem Land, in dem die Frauen jung heiraten, musste sie sich dem Druck der Familie und der Gemeinschaft widersetzen. Wir wollten ihren inneren Kampf zeigen: wie sie versucht, ihre Selbstständigkeit zu bewahren, obwohl zahlreiche Hindernisse ihren Traum bedrohen. Wir wollten einen Film über Hoffnung und Befreiung machen, doch die Realität war komplexer und dramatischer.

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Im Video-Tagebuch reflektiert Rupa ihr Leben

Eine Stimme unter anderen

Der erste Teil des Films erinnert mich an einen der grossen Filme zum Thema Bildung und Erziehung: «Padre Padrone» von Paolo und Vittorio Taviani aus dem Jahre 1977. Etwas von jenem Wissensdurst und Willen, mit Lernen vorwärts und aufwärts zu kommen, ist auch in «Digitalkarma» schön und nachhaltig zu spüren.

Der Schluss des Films erinnert mich an verschiedene neue Filme, die von den Schwierigkeiten respektive der Unmöglichkeit der Frauenemanzipation in Entwicklungsländern handeln, verursacht durch Traditionen und Religionen: «A Tale of Three Sisters», «The Perfect Candidate» oder «The Invisible Life of Eurídice Gusmão». Verdichtet wird das Problem in all diesen Filmen in den Heiratsritualen, letztlich der Institution der Ehe. «Digitalkarma» kommt ebenfalls zu diesem Schluss, wenn auch nicht durch Analyse, sondern die schlichte und doch eindrückliche Form, welche die Geschichte zu diesem Punkt führt – dann uns zum Weiterdenken einlädt.

Regie: Mark Olexa und Francesca Scalisi, Produktion: 2019, Länge: 78 min, Verleih: Dok Mobile