The Perfect Candidate

Riskante Kämpfe einer saudischen Ärztin: Haifaa Al Mansour hat nach ihrem ersten, einem optimistischen Film über Frauenemanzipation in Saudi-Arabien, mit «The Perfect Candidate» eine eher pessimistische Fortsetzung geschaffen. – Ab 12. März im Kino
The Perfect Candidate


Die Ärztin Maryam

Schon das erste Bild in Haifaa Al Mansours Film «The Perfect Candidate» ist bemerkenswert: Maryam sitzt am Steuer ihres Autos und fährt zur Arbeit, ein alltägliches Bild, wäre da nicht das Wissen, dass Frauen in Saudi-Arabien erst seit Kurzem selbst fahren dürfen. Ihr zweiter Film erzählt von weiteren Veränderungen im Land, meist kleinen, für die Frauen dennoch wichtigen, wenn auch letztlich wenig Erfolg versprechenden. Fast schon märchenhaft funktionierte alles in ihrem ersten Film «Wadjda», in dem ein zehnjähriges Mädchen, mit Erfolg, für ein Fahrrad kämpfte.

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Maryam im Spital-Einsatz

Der Schlamm vor dem Spital


Maryam, eindrücklich verkörpert von Mila Alzahrani, ist eine stille, eher konservative Frau und Ärztin in einer kleinen Stadt in Saudi-Arabien. Trotz ihrer exzellenten Fähigkeiten muss sie sich jeden Tag neu den Respekt der Mitarbeitenden und mehr noch der Patienten erkämpfen. Wütend macht sie der Zustand der Strasse vor der Klinik. Weil die Stadt die Zufahrt nicht asphaltiert, bleiben die Patienten regelmässig im Schlamm stecken. Sie will eine Veränderung und bewirbt sich gleichzeitig um eine bessere Stelle in Dubai. Doch weil sie keinen männlichen Begleiter hat, darf sie nicht reisen. Bei einem Cousin sucht sie Hilfe. Da dieser, ein Beamter, zurzeit nur Kandidaten für die bevorstehende Stadtratswahl empfängt, kann er ihr nicht helfen. Aus Trotz erklärt Maryam kurzerhand, dass sie für das Amt einer Stadträtin kandidiere. Doch schon bald wird ihr klar, dass sie bei der bürokratischen Willkür und dem herrschenden Zeitgeist kaum eine Chance hat. Dennoch startet sie zusammen mit ihren zwei Schwestern eine aufwendige Kampagne. Doch an jeder Ecke lauern für sie als Frau Restriktionen, weshalb ihre Aussagen lauter, ihre Auftritte mutiger, ihre Forderungen radikaler werden.

Al Mansour

Die Regisseurin und Co-Drehbuchautorin

Die Regisseurin Haifaa Al-Mansour  

Schon als Kind war Haifaa Al-Mansour eine Aussenseiterin. Sie wuchs mit elf Geschwistern in einer Kleinstadt am Persischen Golf auf. Ihre Mutter trug keinen Schleier, ihre Freundinnen durften sie nicht besuchen, weil ihre Eltern als «leichtlebig und liberal» galten. «Mein Vater war Schriftsteller und Poet. Wir wuchsen sehr frei auf. Ich hatte sogar ein Fahrrad.» Obwohl es in Saudi-Arabien keine Kinos gab, kam sie schon früh mit Filmen in Kontakt: «Mein Vater brachte Videos nach Hause. Für mich öffnete sich eine neue Welt. Ich war wie elektrisiert und wollte zum Film. Mit Unterstützung der Eltern verliess ich mit 18 Saudi-Arabien und studierte an der amerikanischen Universität Kairo Literaturwissenschaften. Das war ein Kulturschock. Ich musste erst begreifen, wie das ist, wenn man die Wohnung plötzlich ohne männliche Begleiter verlassen darf. Am Anfang vergass ich oft, den Schlüssel mitzunehmen, ich war nicht gewohnt, an so etwas zu denken.» Danach kehrte sie in ihre Heimat zurück, fand einen Job in einer Ölfirma und produzierte Firmenvideos, um Geld für eigene Projekte zu verdienen. 2005 drehte sie ihren ersten Dokumentarfilm: «Women Without Shadows» über die Situation saudischer Frauen. Bei einer Vorführung wurde der Kulturattaché der USA in Riad beruflich wie privat auf sie aufmerksam. Die beiden heirateten und zogen nach Sydney, wo sie ihren Master in Filmwissenschaft machte. Nach einer Zwischenstation in Washington kehrte das Paar in den Nahen Osten zurück. Heute lebt die Familie mit zwei Kindern in Bahrain, nahe der Grenze zur alten Heimat.

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Maryam mit ihren Schwestern


Innerhalb und ausserhalb der Familie

Wie bei «Wadjda» geht die Regisseurin auch bei «The Perfect Candidate» mit Klugheit und Feingefühl an die Arbeit. Mit einer minimalen Annäherung entlockt sie der bürokratischen Willkür neue Reaktionen. Ihr Blick schafft so etwas wie eine filmische Verneigung vor der Unbezähmbarkeit der engagierten Frauen und eine stillschweigende Akzeptanz der konservativen Rituale der Männer. Dass Männer und Frauen Seite an Seite zusammenarbeiten, ist für die meisten Saudis gewöhnungsbedürftig. Maryam lässt sich deswegen nicht entmutigen und begegnet den Zweiflern mit Selbstbewusstsein. Unerwartet meldet ihr Vater seinen Töchtern, dass er mit seiner Musikgruppe, die bisher vor allem bei Hochzeitsfeiern aufgetreten ist, auf eine dreiwöchige Tournee gehe: eine Chance, auf die er über 20 Jahre gewartet hat. Endlich kann er vor einem echten Publikum spielen und so den Reichtum seiner Folklore bekannt machen.

Immer wieder  verweilt der Film mit langen Einstellungen bei den Frauen, die in geschlossenen Räumen auch mal ihre Abayas, eine Art Überkleid, und ihren Niqab, den Gesichtsschleier, abstreifen, und bei den Konzerten, welche die Männer für die Männer veranstalten. Ihr Alltag und ihre Feste werden jedoch kontrolliert und eingeschränkt durch die allgegenwärtige Religionspolizei. Und alles, was ihr Leben schön machen könnte, gilt als «haram», als Sünde, und ist verboten.  

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Maryams erster politischer Auftritt

Optimistisch oder nicht?

«Wadjda» hand 4elt von einem kleinen MädcheBuchbesprechungn, was als Märchen gedeutet, «The Perfect Candidate» von einer Ärztin, was als Beschreibung der Erwachsenenwelt gelesen werden kann. Mit viel Goodwill nur können die Konzerte als Traditionspflege verstanden werden. Denn wenn ich die Texte der Lieder sowie die Reaktionen des weiblichen und des männlichen Publikums hinterfrage, dann überkommt mich eine grosse Wut: Welch naive, reaktionäre, sexistische Auffassung von Ehe wird hier zelebriert, womit letztlich die Männer verherrlicht und die Frauen erniedrig werden!

Die Regisseurin ging einfühlsam vor und zeigt Nuancen, von denen einige vielleicht optimistisch wahrgenommen werden können. Doch alles, was schon als nachhaltig und hoffnungsvoll bezeichnet wurde, das sind für mich klitzekleinste Ansätze einer Verbesserung der Situation der Frau in Saudi-Arabien. Insofern erscheint mir die Story des Films nicht optimistisch, sondern ziemlich pessimistisch.

Die Qualität des Films von Haifaa Al Mansour ist damit in keiner Weise geschmälert. «The Perfect Candidate» ist ein wichtiges Abbild dessen, was bei den Saudis im Islam aktuell die Tatsachen sind – und das ist nach meiner Meinung von uns zur Kenntnis zu nehmen.

Filme wie dieser motivieren zum Weiterdenken. Eine zufällig entdeckte Buchbesprechung von Guido Kalberer, Tagesanzeiger, 15. 2. 2010, half mir und hilft vielleicht auch Ihnen weiter. Einer der vielen Online-Kommentare dazu bringt es nach meiner Meinung auf den Punkt, was auch der Film zur Diskussion stellt: «Der islamischen Welt fehlt es an Aufklärung».

Regie: Haifaa Al Mansour, Produktion: 2019, Länge: 101 min, Verleih: DCM Film