Et maintenant on va où?
Der Spielfilm «Et maintenant on va où?» der Libanesin Nadine Labaki erzählt, wie in einem Ort im Nahen Osten die Frauen den Männern mit Witz und Humor beibringen, wie man vom Kriegen ablassen kann.
Ein namenloses und sonnenverbranntes Dorf irgendwo im Nahen Osten, wahrscheinlich im Libanon: Die einzige Verbindung zur Aussenwelt bildet eine marode Brücke, die Zufahrt ist von Minenfeldern umgeben, und der Fernsehempfang ist schlecht. Hier leben Moslems und Christen jahrein, jahraus in einer Oase des Friedens, in der zwar gelegentlich über Nichtigkeiten gestritten wird, sonst aber Harmonie und Friede herrscht. Selbst Kirche und Moschee stehen nur einen Steinwurf auseinander, und der Priester und der Imam arbeiten zusammen.
Doch von Zeit zu Zeit eskalieren die Spannungen und Konflikte, gibt es Gewalt der Männer des Dorfes mit den Männern anderer Dörfer. Davon haben die Frauen genug. Das wollen sie mit aller Macht und List verhindern. Sie lassen sich die verrücktesten Dinge einfallen, um die kritischen Situationen zu entschärfen und die Männer auf andere Gedanken zu bringen. Und dabei geschehen Wunder und Zeichen. Ein Trupp ukrainischer Stripperinnen taucht unverhofft im Dorf auf, eingeladen von den Frauen. Der Fernseher bringt anstelle der Kriegsberichterstattung Liebesfilme für die streitlustigen Machos. Und das Essen wird von den Frauen, anstatt mit Zimt und Koriander, mit Haschisch und Schlafmitteln gewürzt, was seine Wirkung zeigt. Die Männer werden high und ausgelassen, dass zumindest für die nächsten Stunden Friede, Freude, Eierkuchen herrscht im Dorf. Die Hähne lassen ab von den streitbaren Gedanken und vergessen ihre Aggressionen. Die freizügig gekleideten sexy Damen bleiben im Dorf, bis ihr Bus, der in Dorfnähe «eine Panne hatte», repariert ist. Während sich die Damen bei den Familien häuslich einrichten, stehen die Männer beim Friseur Schlange, um auch ja eine gute Falle zu machen. Und während sie sich mit den Tänzerinnen vergnügen, nutzen die Frauen des Dorfes nachts die Gelegenheit, um heimlich das Waffenlager ihrer Männer zu plündern und die Waffen unauffindbar zu vergraben.
Nadine Labaki, die Regisseurin, Mitdrehbuchautorin und -schauspielerin des Films, wurde 1974 im libanesischen Baabdat geboren. Ihr Grossvater besass ein Kino, ihr Vater kaufte sich von seinem ersten Gehalt eine Kamera und machte Nadine und ihre jüngere Schwester Caroline, die heute ebenfalls Filmemacherin ist, schon als kleine Mädchen zu Stars seiner Super-8-Filme. Weil die Schwestern während des Bürgerkrieges häufig zu Hause bleiben mussten, guckten sie viel Fernsehen oder liehen sich Videokassetten aus. «Filme erlaubten mir, dem bedrückenden Alltag zu entfliehen», erinnert sich die Regisseurin. Nach dem Abitur schrieb sie sich, unterstützt von ihren Eltern, an der Beiruter Universität für das Filmstudium ein. Danach arbeitete sie in der Videoclip- und Werbebranche. Beim Festival du Film Européen in Beirut lernt sie die französische Produzentin Anne-Dominique Toussaint kennen, die sich spontan bereit erklärte, Nadines Debütfilm «Caramel» und später auch «Et maintenant on va où?» zu produzieren. Die US-Fachzeitschrift «Variety» wählte Nadine Labaki 2007 zu den zehn vielversprechendsten Regisseuren. Obwohl sie an der Universität «vor lauter Schüchternheit» zunächst an der Schauspielerei keinen Gefallen fand, brachte sie das Regieführen auf den Geschmack, und inzwischen hat sie sich auch als Darstellerin einen Namen gemacht.
Vier Jahre nach ihrem wunderbaren, leichten und charmanten Erstling, der in einem Beiruter Schönheitssalon spielt, wo Frauen so ihre augenzwinkernden Anmerkungen zum Islam machen, kehrt Nadine Labaki mit ihrem zweiten Spielfilm zurück und siedelt ihn diesmal in einem namenlosen Land an, das jedoch unschwer als Libanon zu erkennen ist. Mit ihrer märchenhaft anmutenden Tragikomödie «Et maintenant, on va où?» rückt sie den politischen Alltag und die unentrinnbare Gewalt, die sie im ersten Film ausgespart hatte, ins Zentrum der Geschichte. Sie schildert zwar nicht die grossen Kriege, sondern das nach wie vor immer wieder schwierige Zusammenleben von Christen und Moslems. Sie lässt erahnen, dass ein friedliches Miteinander im Nahen Osten ein Zukunftstraum sein könnte, für den es sich zu kämpfen lohnt.
Mit mediterraner Leidenschaft, Farben und einem feinen Gespür für Komik entsteht so das hoffnungsvolle Bild einer Welt, die von Frauen und Mütter regiert wird und in der den Männern den ihnen zustehenden Platz erhalten. Zwischen Pathos und Humor, Poesie und Tempo, Augenzwinkern und Stirnrunzeln gelingt Labaki ein intelligenter, bewegender Film, der mit der Kraft seiner sonnenverbrannten Bilder und der Intensität seiner meist im Dorf lebenden Laiendarstellerinnen fasziniert. «Et maintenant on va où?» ist ein witziges Plädoyer gegen religiösen Fanatismus, Chauvinismus und Gewalt und für Toleranz, Frieden und Vernunft, in Form einer Komödie mit Gesang und Tanz. Ein Film, der sich nicht hinter der schwierigen Realität versteckt, die entstanden ist durch Hass, Intoleranz und der tief sitzenden Überzeugung vieler Männer, dass man Probleme mit Gewalt, nötigenfalls mit Kriegen lösen müsse.