Heimatklänge

Die Schule kann Erlebnisse vermitteln, die ein Leben lang nachwirken, beim einen oder andern Kind gar den Beruf oder das Leben bestimmen. Ein solches Erlebnis kann der Film «heimatklänge» vermitteln.

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Der Autor Stefan Schwietert, dessen frühere Werke schon, etwa «Accordeon Tribe», Massstäbe gesetzt haben für den Musikfilm, überbietet sich mit seinem neuesten, mehrfach ausgezeichneten wunderschönen Film-Essay über die menschliche Stimme. Nur äusserst selten gibt Filme wie diesen, die zum Weinen schön sind.

Was hat Babygeschrei mit dem Echo eines Jodlers im Gebirge gemeinsam, was der Kopfton von Nomaden in der Mongolei mit der Bühnenshow eines Vokalartisten? Die Antwort: die Stimme. Auf dem Hintergrund trutziger Alp- und modernen Stadtlandschaften dringen «heimatklänge» in die wundersamen Stimmwelten von drei ausserordentlichen Schweizer Stimmartisten ein. Ihr Klangkosmos reicht weit über das hinaus, was wir landläufig als Gesang bezeichnen. Die Musiker sind Teil eines zukunftweisenden Aufbruchs der alpenländischen Vokalkunst. In ihren experimentierfreudigen Auseinandersetzungen mit heimischen und fremden Traditionen wird die Bergwelt mit ihren mächtigen Naturschauspielen ebenso zur Bühne, wie die Landschaften und Geräuschkulissen der modernen Lebenswelt.

Die drei Hauptprotagonisten

Richard Zehnder, der geniale Clown zwischen Verzweiflung und Seligkeit, der exzellente Tüftler, erstaunt mit seinen atemberaubenden Kehlkopfklängen. «Was für mich als Musiker eminent wichtig ist, ist die Frage «Woher komme ich?» oder «Aus was schöpfe ich?». Je weiter ich zurückgehen kann, je verwurzelter das ist, desto mehr Kraft kann das kriegen, desto stärker werde ich im künstlerischen Ausdruck.»

Die Vokalistin Erika Stucky, eine der orginellsten neuen Stimmen der internationalen Jazzszene, mit amerikanischen und schweizerischen Wurzeln, hasst den Mainstream wie der Teufel das Weihwasser. «Ich nehme an, der Mensch hat irgendwann mal Lust gehabt beim Reden, den Genuss noch zu verlängern … Wenn du anfängst, dein Herz auszubreiten, dann wird der Ton länger. Du wirst nicht knapper, wenn du Emotionen hast.»

Aus der Familie der Alder Buebe stammend hat Noldi Alder, der Intellektuelle, stets Grenzen gesprengt, hat traditionell Bewährtes mit «Neumödig»-Anderem zu etwas Ureigenem, Neuen verschmolzen: «Das Allerschönste an der ganzen Sache ist, wenn man singen kann, ohne dass man sich an etwas anlehnen muss. Wir können so frei sein. Wenn wir wüssten, wie frei wir sein könnten, würden wir zerplatzen.»

Das sind Anmerkungen zu und Worte von drei der wichtigsten Persönlichkeiten, die in dem meisterhaften Film von Stefan Schwieters die Möglichkeiten der menschlichen Stimme ausloten, das Bewusstsein dafür sensibilisieren und – wie es nur ganz grosse Kunst vermag – überhaupt das Bewusstsein erweitern. Hier vereinen sich Bild (Kamera Pio Corradi) und Ton zu einem Gesamtkunstwerk. Hier wird «religio» erlebbar als Vermählung des konkret Materiellen mit dem abstrakt Transzendenten.