Je suis Charlie!

Daniel und Emmanuel Leconte haben zum 1. Jahrestag des Attentats auf die Redaktion von «Charlie Hebdo» einen Film realisiert, der erinnert, aufwühlt, bewegt und fragt.
Je suis Charlie!

«Hommage aux victims»: mehr als ein Schlagwort

Die Arte-Journalisten Vater und Sohn Daniel und Emmanuel Leconte rekonstruieren in ihrem brandaktuellen Dokumentarfilm den Ablauf des Terroraktes auf die Redaktion von «Charlie Hebdo». Die hektischen Bilder holen nochmals die Ereignisse zurück, machen betroffen und wühlen auf. Ansatzweise bieten sie Gelegenheit, die Ereignisse zu hinterfragen. Und sie zeigen die kurzfristigen Auswirkungen, die das Geschehen auf die französische Gesellschaft und die übrige freie Welt gehabt hat. «Je suis Charlie!» hatte, ausser Konkurrenz, am Filmfestival von Cannes Weltpremiere und lief als offizieller Beitrag Frankreichs am Toronto Filmfestival.

jesuischarlie slogan 
Ein Slogan, der zum Symbol wurde

Ein Ereignis von der Art, wie es wohl noch viele geben wird

Am 7. Januar 2015, 11:30 Uhr, stürmten zwei Terroristen die Redaktion des Satire-Magazins «Charlie Hebdo», unweit der Metro-Station Richard Lenoir, in Paris und richteten ein Blutbad an. Die zwei maskierten Täter, die sich später zu Al-Qaida im Jemen bekannten, drangen in die Redaktionsräume der Zeitschrift ein, töteten elf Personen, verletzten mehrere Anwesende und brachten auf ihrer Flucht einen Polizisten um. Am 9. Januar verschanzten sich die beiden Täter in Dammartin-en-Goële, bis Sicherheitskräfte sie erschossen.

Wer dies alles langsamer als im Film sehen, lesen und so besser verstehen will, dem seien Artikel im Internet empfohlen, zum Beispiel ein Zeit-Online-Beitrag.

Dieses Attentat hat, neben der menschlichen und politischen, eine symbolische Bedeutung; denn es geht dabei um die Presse- und die Meinungsfreiheit, um die Freiheit der Zivilgesellschaft. Ob Satire die religiösen Gefühle von Menschen verletzen darf, steht im Film nicht zur Diskussion. Das Attentat auf «Charlie Hebdo» ist nach meiner Meinung ein Ereignis von der Art, wie es künftig wohl noch vermehrt stattfinden wird. Vielleicht ist das die Form des Krieges im 21. Jahrhundert. In diesem Sinne gehört «Je suis Charlie!» für mich zur Liste jener Filme, die nach dem Sinn des Lebens von heute und morgen fragen und eine künftige «Condition humaine» manifestieren.

Cabu
Einer der Getöteten: der Zeichner Jean Cabut

Wikipedia: «Die Täter erschossen in der Redaktion zehn Personen: den Herausgeber und Zeichner Stéphane Charbonnier ("Charb"), die Zeichner Jean Cabut ("Cabu"), Bernard Verlhac ("Tignous"), Philippe Honoré und Georges Wolinski, den Wirtschaftswissenschaftler und Mitinhaber der Zeitschrift Bernard Maris ("Oncle Bernard"), den Lektor Mustapha Ourrad, den Kultur-Veranstalter Michel Renaud, die Psychiaterin und Psychoanalytikerin Elsa Cayat und den Personenschützer Franck Brinsolaro. Er war als Beamter des Service de la protection der Police nationale für die Sicherheit von Charb zuständig, der seit dem Brandanschlag von 2011 unter Personenschutz stand. Elf Personen wurden verletzt, einige davon schwer, darunter der Zeichner Laurent Sourisseau ("Riss"), die Journalisten Philippe Lançon und Fabrice Nicolino sowie der Webmaster Simon Fieschi. Corinne Rey blieb unverletzt. Der Journalist Laurent Léger konnte sich vor den Attentätern hinter einem Tisch verstecken. Die Kolumnistin Sigolène Vinson wurde von einem der beiden Täter gesehen, aber verschont. Weitere enge Mitarbeiter, so die Zeichner Luz, Willem und Catherine Meurisse, waren zum Zeitpunkt des Attentats nicht anwesend. Die Ermittler fanden 31 Patronenhülsen im Gebäude. Der Überfall dauerte nur etwa fünf Minuten.»

Menschenmassen 
Auf der  Place de la République versammeln sich spontan 35'000 Menschen

Am folgenden 8. Januar wurde im Süden von Paris eine Polizistin von einem weiteren schwer bewaffneten Täter erschossen. Dieser hatte zuvor den Supermarkt «Hyper Cacher» für koschere Waren im Pariser Osten überfallen, vier Menschen getötet und weitere als Geiseln genommen. Der Schütze bekannte sich telefonisch zum Islamischen Staat und erklärte, sein Vorgehen stehe in Verbindung mit dem Anschlag auf «Charlie Hebdo».

Bis zu den sechs Terroranschlägen vom vergangenen November in Paris, bei welchen 130 Menschen getötet und mehr als 350 verletzt wurden, war der Anschlag auf die Redaktion derjenige mit der höchsten Anzahl an Todesopfern in Frankreich seit dem Attentat auf den Schnellzug Strassburg – Paris am 18. Juni 1961, bei dem 28 Menschen starben und 170 verletzt wurden.

Not Afraid 
Demonstration mit Fantasie gegen die Angst und auf der Suche nach Sinn

«Charlie Hebdo» ist eine französische Satirezeitschrift. Sie wurde zunächst von 1970 bis 1981 publiziert und erscheint seit 1992 wieder mit einer regulären, wöchentlichen Druckauflage von rund 60'000 Exemplaren in Paris. Der Name «Charlie» stammt von der Comic-Figur Charlie Brown von den «Peanuts» und verweist auf die Ursprünge der Zeitschrift im Bereich der Comic-Magazine bzw. auf den früheren Präsident Charles de Gaulle, «Hebdo» ist die den Franzosen geläufige Abkürzung für «hebdomadaire» und bedeutet Wochenzeitschrift.

«Charlie Hebdo» wird in Übereinstimmung mit ihrem Selbstverständnis dem politisch linken Spektrum zugeordnet. Eine anfänglich linksradikale Orientierung wurde aufgegeben, man bewegte sich bei vielen Themen in die politische Mitte. Der das Profil prägende scharfe Laizismus und Antiklerikalismus wurde jedoch beibehalten. Die Zeitschrift wurde unzählige Male, meist erfolglos, von rechtsextremen Politikern, Journalisten und religiösen Organisationen verklagt.

Regie: Daniel und Emmanuel Leconte, Produktion: 2015, Länge: 90 min, Verleih: Spoton Distribution