Le Gran Bal
Vereint, getrennt und wieder vereint
Europaweit das grösste Treffen rund um den Volks- und Traditionstanz ist «Le Gran Bal», wo sich jeden Sommer Junge und Junggebliebene sieben Tage und acht Nächte lang beim Tanzen begegnen. Man lacht, tauscht sich aus, singt und hat es gut miteinander. Der Film darüber strahlt die pure Lebensfreude von Menschen aus, die sich voll Enthusiasmus der Musik und dem Tanz hingeben. In Gennetines im Département Allier in der Mitte Frankreichs spielen mehr als 500 Musikerinnen und Musiker für die 2000 angereisten Tänzerinnen und Tänzer, tagsüber für Workshops, abends bei Bällen und bis frühmorgens zu Improvisationen.
Unzählige Betreuerinnen und Betreuer, selber motivierte Tänzerinnen und Tänzer, arbeiten auf dem Campingplatz und in den Getränkekiosken und kümmern sich um die über 1000 Essen pro Tag. Der Ball funktioniert allein mit Mund-zu-Mund-Reklame, ohne Subventionen und Werbung. In der Schweiz gibt es ähnliche Tanzveranstaltungen, einen direkten Ableger in Röthenbach im Emmental.
Sich beim Tanzen begegnen
Hineingehorcht
Tanzen ist der Kampf gegen alles,
was uns zurückhält, gegen alle Last,
gegen alles, was uns schwerfällig macht.
Tanzen heisst hinhören, was der Körper uns zuflüstert.
Es bedeutet auch, das Risiko einzugehen,
versetzt oder verärgert zu werden
oder die eigenen Grenzen zu erfahren.
Aber auch das Risiko wagen, süchtig zu werden nach der Ekstase,
denn es gibt Abende, an denen einen Anmut und Harmonie überwältigen.
Der Tanz zu zweit, zu viert oder zu hundert
erzeugt reine Freude.
Die Regisseurin und «Le Grand Bal» ...
Hinhören, was der Körper einem zuflüstert
Frei erzählt nach Aussagen von Laetitia Carton: Damals, beim ersten Ball, war es reine Freude, zusammen zu sein und bis zum frühen Morgen zu tanzen. Lächeln, verschwitzte Hände, Umarmungen am Ende eines Stückes, bevor der Tanz mit neuen Partnern beginnt. Menschliche Wärme umfängt uns. Ein energiegeladener Funke entzündet uns und die Rhythmen beschleunigen die Schritte. Dann folgen nostalgische, melancholische oder schmachtende Melodien, bei denen sich die Paare einander nähern, sich berühren. Die Welt dieser Bälle liebte ich sofort. Ich fühle mich dabei gut und geborgen, und seither gehören sie zu meinem Leben.
Das ist jetzt 15 Jahre her, dass ich das erste Mal den «Grand Bal de l’Europe» besuchte. Für mich war es ein magischer Ort. Man tanzte fast nonstop, Tag und Nacht. Die Musik endete bloss für kurze Pausen. Heute, 30 Jahre nach der Gründung, kommen die Menschen weiter zum Tanzen, auf neun Tanzflächen, an der freien Luft, Mädchen mit Jungen, Frauen mit Frauen und immer mehr auch Männer mit Männern. Man weiss, wie man eine Mazurka beginnt, aber nicht, wie man sie beendet. Diese Emotionen, diese Geselligkeit, diese Energie, die im Kollektiv entstehen, sind kaum mehr irgendwo anzutreffen. Bei diesen Bällen sind wir alle gleichwertige Tanzende, es gibt keine Reichen oder Armen, keine sozialen Klassen und Nationalitäten, die trennen. Die Welt wird in diesen Nächten und Tagen durchmischt. Der Tanz erfüllt uns mit einer alle Fasern durchdringenden Lust, mit den Mitmenschen das Leben zu teilen und gemeinsam Formen auszuleben, die im Alltag zu kurz kommen oder nicht mehr existieren. Bei diesem Festival entdecken wir Gemeinschaft und merken, dass wir ein Teil davon sind. – Diese Erlebnisse, die ich seit Jahren erlebe, verdienen, auch von andern wahrgenommen zu werden.
... wie darüber ein Film entstand
Mit wechselnden Tanzpartnern
Während des Sommers 2016 haben wir mit zwei Equipen, eine am Tag und eine in der Nacht, «Le Grand Bal» gefilmt, damit wir, wie die Tänzerinnen und Tänzer, die Musiker und Musikerinnen, alles am eigenen Leib erfahren konnten. Wir wollen auch andern zeigen, was vor unseren Augen passiert, weil es kostbar ist, wenn man sich traut, einander anzuschauen, einander anzufassen, wenn man wirklich zusammen lebt, wenn man spürt, was hier passiert, wonach wir eigentlich alle streben, weil wir solche Räume, solche Menschen und eine solche Liebe brauchen – und schliesslich, wie schön das Leben ist.
Die Filmemacherin Laetitia Carton
film-documentaire.fr
Die Regisseurin Laetitia Carton, 1974 in Vichy geboren, realisierte nach fünf kurzen und drei langen Filmen «Le Gran Bal». Unterstützt wurde sie von sechs Frauen und Männern an den Kameras und den Mikrofonen und von Rodolphe Molla mit seiner Montage. Der Film dürfte viele Kinogänger mitnehmen in einen wunderbaren Flow; denn er steht für die ewige Sehnsucht der Menschen nach Glück.
Regie: Laetitia Carton, Produktion: 2018, Länge: 90 min, Verleih: LookNow